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Die Geschichtsverfälscher blieben in der Unterzahl

"GehDenken": Tausende wehren sich in Dresden gegen Nazi-Aufmarsch / Rechte Szene mobilisiert 6000 Anhänger

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Unter dem Motto »GehDenken« haben in Dresden Tausende Menschen gegen einen Nazi-Aufmarsch protestiert, mit dem die Erinnerung an die Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945 vereinnahmt werden soll und zu dem diesmal 6000 Anhänger kamen.

Wolfgang Stumph blickt von der Bühne auf dem Dresdner Theaterplatz auf die bunte Menschenmenge zwischen Semperoper, Zwinger und Schloss. Hier haben sich drei Demonstrationszüge getroffen, die das Bündnis »GehDenken« Stunden zuvor an verschiedenen Stellen in der Stadt in Marsch gesetzt hatte. Stumph blickt auf die Fahnen, Ballons und fröhlichen Gesichter und sagt einen Satz, der die Licht- und Schattenseiten dieses Februartages in Dresden zusammenfasst: »Der Ministerpräsident wäre stolz, könnte er das sehen.«

Sehen könnte der sächsische Regierungschef den bislang umfangreichsten Protest gegen den so genannten Trauermarsch, mit dem die rechtsextreme Szene seit 1999 versucht, das Gedenken an die Opfer der Zerstörung Dresdens durch alliierte Bomber am 13. / 14. Februar 1945 zu vereinnahmen. Über 12 500 Menschen, so schätzt der Dresdner DGB-Chef Ralf Hron, sind der Aufforderung eines Bündnisses namens »GehDenken« gefolgt, sich den Nazis in den Weg zu stellen. »Wir haben geschafft, was wir uns vorgenommen hatten«, sagt Annetta Kahane von der mitveranstaltenden Amadeo-Antonio-Stiftung: »Wir sind mehr als die Nazis.«

Wolfgang Stumphs knappe Anmerkung hat aber auch eine bittere Seite: Im Gegensatz zu Bundesprominenz von SPD, Grünen, LINKE und Gewerkschaften ist der sächsische CDU-Ministerpräsident an diesem Nachmittag nicht auf dem Theaterplatz, ebensowenig wie die CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz. Sie hatte am Mittag zu einer separaten Veranstaltung geladen, einem schweigend absolvierten Spaziergang von der wieder aufgebauten Frauenkirche zum Neumarkt. Bei der Einweihung einer Erinnerungstafel an die dortige Verbrennung von 6000 Opfern der alliierten Bombardements fand Orosz zwar wie schon tags zuvor beim traditionellen Gedenken auf dem Heidefriedhof deutliche Worte: Man werde Versuche von Rechtsextremen nicht dulden, das Andenken an die Kriegsopfer zu »besudeln«, sagte Orosz und zitiert vor einigen hundert Zuhörern, viele davon CDU-Politiker, die Aufschrift der Tafel, wonach 1945 ein Krieg »in unsere Stadt zurückkehrte«, den zuvor Deutsche in die Welt getragen hätten -- Sätze, mit denen die Rechtsextremen stärker als in früheren Jahren auf Distanz gehalten werden sollen.

Tatsache ist aber: Auch an diesem 14. Februar gehen die bürgerlichen und linksliberalen Demonstranten in Dresden getrennte Wege, während die rechte Szene geschlossen marschiert. Kameradschaften, NPD-Funktionäre, Altnazis sind auf den Beinen; der Marsch, der sich am Hauptbahnhof unter schwarzen Fahnen und mit Losungen wie »Gedenken an die Bombenholocaust-Opfer« oder »Gestern Dresden, heute Gaza« formiert, vereint nach Polizeiangaben 6000 Anhänger -- mehr als anlässlich des 60. Jahrestags vor vier Jahren. Der düstere Zug, der sich langsam zwischen gut besuchten Kaufhäusern in der Innenstadt hindurchschlängelt, bekräftigt die Einschätzung von »GehDenken«, wonach es sich um den europaweit größten Nazi-Aufmarsch handelt. Von der NPD, die hinter den Anmeldern von der »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen« der eigentliche Organisator ist, dürfte der Marsch als guter Auftakt im sächsischen Wahljahr empfunden werden. Wie um die Geschlossenheit zu bekräftigen und Meldungen über einen internen Machtkampf demonstrativ zu widerlegen, ließen sich NPD-Bundeschef Udo Voigt und sein Herausforderer Andreas Molau Seite an Seite neben Sachsens Fraktionschef Holger Apfel sehen.

Von den Protesten bekamen die aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Tschechien und der Slowakei angereisten Rechtsextremen wenig mit: Ein Großaufgebot von 4000 Polizisten schirmte sie von den Gegenveranstaltungen, zu denen auch eine 3500 Teilnehmer zählende Antifa-Demo unter dem Slogan »No pasarán« (Sie kommen nicht durch) gehörte, ab. Nur sporadisch gab es Protestrufe; die insgeheim von einigen Gegendemonstranten gehegte Idee, den rechten Aufmarsch zu blockieren, wurde durch die Polizeitaktik vereitelt.

Dennoch blieb den Besuchern der »GehDenken«-Veranstaltung die Genugtuung, zahlenmäßig überlegen gewesen zu sein und bundesweite Aufmerksamkeit auf das braune Spektakel gelenkt zu haben. Es handle sich schließlich »nicht um ein Dresdner, sondern um ein deutsches und europäisches Problem«, sagte Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen. Die Dresdner dürften mit dem Thema »nicht allein gelassen werden«, sagte auch Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Bundestages.

Um das zu verdeutlichen, waren prominente Politiker von LINKEN, SPD und Grünen sowie Gewerkschaftsvertreter nach Dresden gekommen. Auf der Abschlusskundgebung erklärte Gregor Gysi, der Fraktionschef der LINKEN im Bundestag, die Bomben auf Dresden seien schlimm gewesen und die Trauer sowie Verzweiflung berechtigt: »Heute wäre so etwas ganz klar völkerrechtswidrig.« Allerdings hätten sich die Alliierten in einem Verteidigungskrieg gegen den »Aggressor Deutschland« befunden, fügte Gysi hinzu. Man trauere um alle Opfer des Krieges, sagte SPD-Parteichef Franz Müntefering: »Aber wir wissen auch, wer ihn begonnen hat.« Der vom NS-Regime losgetretene II. Weltkrieg habe 60 Millionen Menschenleben gekostet, sagte DGB-Chef Michael Sommer. Neben Dresden dürften auch Städte wie Coventry, Rotterdam oder Kiew nicht vergessen werden: »Wir teilen unsere Trauer mit den Nazis nicht.«

Den Rechtsextremen müsse, darin waren sich die Redner einig, nicht nur die Deutungshoheit über die Geschichte verwehrt bleiben: Die »militante, aggressive NPD gehört endlich verboten«, verlangte Gysi. Müntefering forderte, diese zunächst aus Parlamenten zu verbannen. Die sächsischen Wähler rief er mit Blick auf die Landtagswahl am 30. August auf: »Macht die Sache klar, wählt sie raus!« Die »braune Soße« dürfe »keine Chance mehr haben«; darin müsse man sich auch mit den Parteien einig sein, die »heute hier nicht dabei sind«. Vielleicht zum letzten Mal, hofft Wolfgang Stumph: »Nächstes Jahr geht mehr.«

* Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2009


Nach Neonazi-Überfall an Autobahn fahndet Polizei nach drei Schweden **

Nach dem brutalen Parkplatz-Überfall von Neonazis auf Teilnehmer einer Dresdner Demonstration gegen Rechtsextremismus wird jetzt per Haftbefehl nach drei Schweden gefahndet. Sie saßen nach Angaben der Polizei in Thüringen vom Montag in dem Bus, den Beamte bei der Suche nach den Tätern stoppte.

Zu dieser Zeit sei nicht klar gewesen, wie schwer eines der Opfer verletzt war. Der 42- Jährige aus Hessen liegt mit schweren Kopfverletzungen in der Uni- Klinik in Jena. Angehörige einer 41-köpfigen Neonazi-Gruppe hatten am Samstagabend laut Polizei auf dem Rastplatz Teufelstal an der Autobahn 4 Dresden-Eisenach fünf Menschen verletzt. Ob sich die drei Schweden an den Ausschreitungen beteiligt haben, ist noch nicht geklärt.

Auch die Chemnitzer Polizei ermittelt zu einer Attacke mutmaßlicher Neonazis am Samstag auf eine Gruppe aus Weimar (Thüringen) an der Raststätte Rabensteiner Wald. Dort seien vier Menschen leicht verletzt worden. Laut Stadtverwaltung Weimar sprachen die Opfer von Flaschenwürfen und Tritten ins Gesicht. Die Polizei stoppte nach eigenen Angaben kurz danach einen Bus mit zwölf Insassen und nahm die Verdächtigen in Gewahrsam.

In Dresden hatten am Samstag 10 000 Menschen gegen Rechtsextremismus und Geschichtsverfälschung demonstriert. Gleichzeitig waren 6000 Neonazis aufmarschiert.

Zu der am Rastplatz Teufelstal überfallenen Reisegruppen aus Hessen und Nordrhein-Westfalen gehörten 80 Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der Linkspartei und Friedensaktivisten. Die Polizei bestätigte am Sonntag entsprechende Angaben von Linkspartei und DGB.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Bodo Ramelow, berichtete, dass zwei Opfer der brutalen Überfälle eine zertrümmerte Kniescheibe und eine Schädelfraktur erlitten habe. Die Polizei bestätigte am Sonntagnachmittag, dass entsprechende Verletzungen inzwischen angezeigt worden seien und wollte dies überprüfen. Zunächst war nur von fünf Leichtverletzten die Rede.

Die zwei Busse mit Demonstranten waren auf der Rückfahrt von der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden. Sie machten gegen 19 Uhr Rast. Während dieser Pause kam nach Angaben der Polizei ein dritter Reisebus mit 41 Rechtsextremisten auf dem Parkplatz an. Diese stammten aus Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und aus Schweden. Sie beschimpften die Gewerkschafter, Politiker und Friedensaktivisten zunächst und schlugen schließlich auf sie ein. Dabei kamen nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler keine Waffen zum Einsatz.

Die Polizei sei 19.25 Uhr alarmiert worden. "Beim Eintreffen der Beamten an der Raststätte hatte der Bus diese bereits verlassen. Er konnte etwa 15 Kilometer weiter in Höhe von Jena gestoppt werden", sagte ein Polizeisprecher. Anschließend seien von den Rechten die Personalien aufgenommen worden.

"Teilnehmer haben mir von schlimmen Jagdszenen berichtet, die sich am Samstagabend auf der Autobahnraststätte abgespielt haben. Hier haben die Neonazis ihr wahres Gesicht und ihre Gewaltbereitschaft gezeigt", sagte der Thüringer Linkspartei-Spitzenkandidat Ramelow. Er warf der Polizei und den Sicherheitsbehörden Versagen vor. "Es ist unverständlich, wie die Abreise dieser gefährlichen Schläger von der Polizei unbeobachtet erfolgen konnte. Es war klar, dass die Fahrt durch Thüringen führt." Er kündigte deshalb eine Untersuchung im thüringischen Landtag an.

Auch die hessische Linkspartei verurteilte den Angriff scharf. "Die immer häufiger und brutaler werdenden Gewalttaten von Neonazis erschrecken mich. Alle Verantwortlichen fordere ich auf, endlich wirksam gegen die Neonazi-Szene vorzugehen", erklärte der hessische Linkspartei-Chef Ulrich Wilken in einer Mitteilung. "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich." Der DGB Dresden als Mitveranstalter der Demonstration "Geh Denken" nannte den Überfall einen Gewaltakt von erschreckendem Ausmaß.

Die Opfer der Schlägerattacke von Neonazis erhoben am Sonntag schwere Anschuldigungen gegen die Angreifer. Drei oder vier der Angreifer hätten auf einen am Boden liegenden Mann gemeinsam eingetreten, berichtete am Sonntag ein Sprecher der angegriffenen DGB-Reisegruppe aus Kassel. Dieser habe die Schädelfraktur erlitten, die am Montag operiert werden soll.

** Quelle: Dresdner Neueste Nachrichten (DNN), online, 16. Februar 2009


NachDenken

Von Hendrik Lasch ***

Das GehDenken in Dresden ist gelungen. Obwohl die extreme Rechte am Sonnabend zu ihrem »Trauermarsch« in Dresden 6000 Anhänger mobilisieren konnte und damit mehr Neonazis unter kruden Parolen marschierten als zum 60. Jahrestag der Zerstörung der Stadt, blieben die Geschichtsverdreher in der Minderheit: Ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Vereinen versammelte deutlich mehr Menschen, die der Toten des 13. Februar 1945 gedachten, sich aber gegen Parolen vom »Bombenholocaust« verwahrten.

Hoffnung macht auch, dass Protest gegen die Revisionisten nicht mehr nur von links laut wird: Die CDU-Rathauschefin hielt die braunen Trittbrettfahrer beim Totengedenken mit erfreulich klaren Worten auf Distanz. Helma Orosz hat erkannt, dass die Dresdner Tradition des schweigenden Gedenkens zu einer Beliebigkeit geführt hatte, die von den Braunen seit Jahren schamlos ausgenutzt wurde.

Dem GehDenken muss in Dresden nun aber das NachDenken folgen. Erneut gingen die Demokraten am Trauertag getrennter Wege, weil man im bürgerlichen Lager ein geeintes Auftreten gegen die rechten (und in Dresden stets geschlossen marschierenden) Anti-Demokraten mit Wahlkampf verwechselte. Dringend zu überlegen wäre außerdem, ob es nicht doch Wege gibt, den braunen Aufmarsch zu unterbinden. Denn die halbe Dresdner Innenstadt gehörte am Sonnabend erneut den Rechtsextremen -- auch wenn sie diesmal in der Unterzahl waren.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2009 (Kommentar)


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