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Blockierer in Dresden vor Gericht

Sächsische Justiz überfordert - Antifaschisten planen für 2012

Von Michael Bartsch, Dresden *

Während die juristische Aufarbeitung der Demonstrationen gegen den Dresdner Naziaufmarsch vom 19.Februar noch die Gerichte beschäftigt, planen die Nazigegner bereits Aktionen für 2012.

Wie ein brutaler Gewalttäter sah er nicht gerade aus. Eher schüchtern saß der junge Daniel H. am Mittwoch (12. Okt.) auf der Anklagebank im voll besetzten Saal des Dresdener Amtsgerichtes. Er gehörte zu jenen Blockierern der geplanten Nazi-Aufmärsche am 19.Februar dieses Jahres, deren Personalien die Polizei auf der Fritz-Löffler-Straße feststellen konnte. Nun sollte er wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilt werden.

Doch nach knapp zwei Stunden setzte Amtsrichter Falk das Verfahren vorerst aus, nachdem er lange mit dem Staatsanwalt und der Verteidigung hinter verschlossenen Türen konferiert hatte. Die Ermittlungsgrundlage sei viel zu dünn, kommentierte Verteidigerin Kristin Pietrcyk aus Jena, die auch den bekannten Jenaer Pfarrer Lothar König vertritt. Spekuliert wird über einen erneuten Termin im Dezember. Eine ursprünglich für Montag angesetzte Verhandlung gegen einen anderen Demonstrationsteilnehmer war wegen der unsicheren Rechtslage abgesagt worden. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte jüngst eine Strafbarkeitslücke für den Zeitpunkt der angeblichen Tat entdeckt, weil das Sächsische Versammlungsgesetz vom Landesverfassungsgericht kassiert worden war und wegen eines Formfehlers auch das Bundesgesetz in Sachsen nicht galt. Im Fall H. nahm die Staatsanwaltschaft dennoch Zuflucht im Paragrafen 29 des Bundesversammlungsgesetzes. Danach begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer der Aufforderung der Polizei zum Verla ssen des Platzes nicht nachkommt.

Wegen ähnlicher Vorwürfe, das Jahr 2010 betreffend, sollte am Mittwoch auch die Immunität des LINKEN-Fraktionsvorsitzenden im Sächsischen Landtag, André Hahn, aufgehoben werden. Der Landtag entschied am Morgen auch mit den Stimmen der Grünen, den späten letzten Tagesordnungspunkt nicht abzusetzen, wie von der Linksfraktion gefordert.

Bereits in der Vorwoche hatte das Amtsgericht Dresden hingegen bestätigt, dass die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei im Dresdner »Haus der Begegnung« am Abend des 19.Februar rechtswidrig war. Damit korrigierte das Amtsgericht seine ursprüngliche Entscheidung vom Mai dieses Jahres, nachdem im Juli das Landgericht Dresden die Durchsuchung bereits als rechtswidrig festgestellt hatte.

Mit der Durchsuchung der Parteizentrale der Dresdner LINKEN wollte die Polizei Beweise für die angebliche Organisation von Gewalttaten bei den Demonstrationen sichern. Alle Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft erwiesen sich bislang als haltlos.

In die Aufarbeitung der Dresden-Demonstrationen greift nun auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie ein. Am vergangenen Sonntag bildete es eine »Untersuchungskommission 19.Februar«. Daran sollten Bürgerrechtler, Rechtsanwälte und Parlamentarier mitwirken.

Inzwischen hat das Bündnis »Dresden-nazifrei« eine erneute bundesweite Mobilisierung im Umfeld des Dresden-Gedenkens am 13.Februar 2012 angekündigt. Dabei werde es nicht nur um die Verhinderung der Nazi-Aufmärsche, sondern auch um Bürgerrechte und Repression gehen, sagte Henning Obens von der Interventionistischen Linken bei einer Aktivierungskonferenz an der Dresdner Universität (TUD). Umstritten blieb auf der Konferenz allerdings der Umgang mit Gewalttätern und eingeschleusten Provokateuren. Universitätsrektor Prof. Hans Müller-Steinhagen, der an der Konferenz teilnahm, würdigte zwar den Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit und Extremismus, hatte aber einen Workshop »Blockadetraining« untersagt.

* Aus: neues deutschland, 13. Oktober 2011


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