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Mit Blick nach Dresden

Der Untergang einer Stadt und was dem vorausging: Worüber es am 13. Februar nachzudenken lohnt

Von Kurt Pätzold *

Es gibt Szenen in einem Leben, die sich unverlierbar einprägen, wie lange es danach auch immer dauern mag. Eine davon verbindet sich mir mit dem Görlitzer Bahnhof. Die deutsche Kriegsniederlage war eine Frage von Wochen allenfalls noch von einigen Monaten geworden. Westwärts ergoß sich ein Flüchtlingsstrom aus Schlesien. Zehntausende passierten die Stadt an der Neiße. Wer nicht wußte, wohin sich wenden, erhielt in der Bahnhofshalle eine Eisenbahnfahrkarte nach einem Ort, beispielsweise irgendwo in Bayern, und die Abfahrtszeit des Zuges genannt, der ihn dorthin bringen sollte. Am Abend des 12. Februar 1945 staute sich eine Menschenmenge auf dem ihr bezeichneten Bahnsteig. Auch die Treppen dahin waren vollgestopft. Mütter mit großen und kleinen Kindern, Alte und Gebrechliche, die in dem beängstigenden Gewühl nach Luft rangen. Das machte, daß ich aufgab und nicht mit dem Zug in Dresden ankam, als über dessen Himmel die Bombenflugzeuge der Royal Air Force (RAF) eintrafen. An die Menschen, die es »geschafft« und sich in die Waggons gedrängt und gekämpft hatten, mußte ich denken, als ich Ahnungslose, das ist eine milde Bezeichnung, mit der Losung marschieren sah »Keine Träne für Dresden«. Da entstehen mir dann auch wieder die Bilder des Trümmerhaufens, durch den ich einige Wochen später ging. Es lassen sich die deutschen Opfer dieses Angriffs wie Millionen andere deutsche Kriegstote beklagen, ohne aus den Deutschen, die Zeitgenossen des Zweiten Weltkrieges waren, ein einziges Opfervolk zu machen oder gar sich den Neobraunen zuzugesellen, von denen nur von Fall zu Fall entschieden werden kann, ob sie dumm sind oder auf die Dummen rechnen.

Geschichte des Luftkriegs

Wer von dem 13. Februar 1945 und Dresdens Zerstörung spricht und darüber zu Urteilen gelangen will, tut gut, sich ein wenig um die Geschichte des Luftkriegs zu kümmern, denn hier wie in vielen anderen Fällen gilt, daß man eine Sache erst dann kennt, wenn man auch um ihre Geschichte weiß. In Kürze: Der Luftkrieg beginnt im Ersten Weltkrieg. Aus dem Rückblick erscheint, was damals geschah, als ein bloßer Auftakt. Den Deutschen wurde er aber nicht als eine Warnung erklärt, sondern romantisiert. Manfred von Richthofen, Max Immelmann, Oswald Boelcke, das waren Namen in vieler Munde. Zu den für die Jugend bestimmten Erzählungen gehörte eine Sammlung »Helden der Luft«. Die Kampfflieger wurden als eine Art moderner Ritter hingestellt, die sich Mann gegen Mann maßen, nicht auf Pferden und gepanzert mit Lanze und Schwert, sondern in ihren ungepanzerten Flugapparaten und mit Maschinengewehren. Weniger Aufhebens wurde um den Bombenkrieg aus der Luft gemacht, den Flugzeuge und Zeppeline führten. Lüttich wie London bildeten deutsche Angriffsziele. Schon damals wurde die Frage aufgeworfen, ob diese Kriegführung, was geschah, auf Zivilisten ausgedehnt werden oder nur militärischen Zielen gelten dürfe. So wenig der Luftkrieg für den Verlauf und das Ergebnis dieses Krieges noch bedeutete, den Militärs war klar, daß hier eine neue Waffengattung im Entstehen begriffen war. An ihrer Entwicklung wurde international fieberhaft gearbeitet. In Deutschland illegal, denn der Besitz von Luftstreitkräften war dem Reich im Versailler Vertrag ausdrücklich verboten worden. Zugleich scheiterten in den zwanziger Jahren die internationalen Bestrebungen, nach dem Beispiel des See- und Landkriegsrechtes auch ein Luftkriegsrecht zu vereinbaren. Die Armeeführungen waren desinteressiert und dies um so mehr, als sich mit der Vervollkommnung dieser Waffe weitreichende, ja phantastische Vorstellungen über eigene Vorteile im nächsten Krieg verbanden. Und mit den immer komplizierteren Apparaten zum Angriff wie zur Abwehr ließen sich erhebliche Gelder verdienen, angefangen von den Produzenten des Aluminiums bis zu denen des feinmechanisch-optischen Geräts.

So entstand zwischen den beiden großen Kriegen als dritte Waffengattung die Luftwaffe. Ihre Existenz in Deutschland wurde 1935 öffentlich demonstriert. An »Tagen der Wehrmacht« begaben sich Tausende auf Flugplätze und begeisterten sich an dem dort vorgeführten Gerät. Bei Paraden, wie anläßlich von Hitlers 50. Geburtstag, brausten Maschinen im Tiefflug mit ohrenbetäubendem Lärm über die Straßen deutscher Städte. Die Luftwaffe galt als die Krone aller Waffen, Konkurrenz machten ihr allenfalls die Unterseeboote. Spielfilme waren für sie Reklame, so 1939 der Streifen »D III 88«, der noch in Manöversituationen spielte. Das setzte sich im Kriege mit »Kampfgeschwader Lützow« und »Quax, der Bruchpilot« fort.

Zivilbevölkerung als Ziel

Als der Krieg 1939 von der faschistischen Führung eröffnet wurde, erfreuten sich die Szenen mit den herabstürzenden Sturzkampfflugzeugen und den Bombenabwürfen über polnischem Land unter Zuschauern besonderer Beliebtheit. Schon im ersten Bericht des deutschen Oberkommandos wurde bekanntgegeben, Geschwader der Luftwaffe seien »zum Niederkämpfen militärischer Ziele« gestartet. Die Deutschen mochten diese erste in der langen Reihe von Lügen in den Berichten der folgenden Jahre glauben. In Wahrheit hatte die polnische Kleinstadt Wielun zu den Angriffszielen gehört. In ihr wurden bei dem Überfall von 87 deutschen Sturzkampfbombern wenige Stunden nach Kriegsbeginn 1200 Zivilisten (von etwa 16000 Einwohnern) getötet und 70 Prozent der Stadt zerstört. Auch in den weiteren offiziellen Mitteilungen blieb die Fiktion gewahrt, Ziel der Luftattacken seien militärisch bedeutsame Ziele. Doch konnten selbst nach den Filmberichten und den Erzählungen zurückkehrender Soldaten Zweifel am Charakter des Luftkrieges nicht mehr sein. Zu seinen Zielen gehörte es, unter der Zivilbevölkerung Schrecken und Resignation vor der deutschen Übermacht zu verbreiten.

Kaum jemand im Reich machte sich Gedanken darüber, wofür das ein Anfang war. Zwar begann die Verdunkelung der Städte, die Einrichtung von Luftschutzkellern, die »Entrümpelung« der Hausböden, die Anschaffung von allerlei Gerätschaften zur Brandbekämpfung und die Mobilisierung der Luftschutz-Organisation. Doch noch glaubten die Deutschen. daß die Vorsorge angesichts der Verläßlichkeit der eigenen Luftabwehr eigentlich überflüssig sei.

Seinen Höhepunkt erreichte der Luftkrieg nach der Kapitulation Frankreichs im Sommer und Herbst 1940 über den Britischen Inseln. Er zielte, nachdem der vage Plan einer Invasion aufgegeben war, auf die Zerstörung wirtschaftlicher, darunter Rüstungsanlagen, und die Zermürbung der britischen Bevölkerung. Aus deutschen Radioapparaten tönte regelmäßig das Lied »Bomben! Bomben! Bomben auf Engelland«, in dem es hieß: »Wir halten Gericht. Ein Weltreich zerbricht.« Den gnadenlosen Luftkrieg begrüßten viele Deutsche als den direktesten Weg zum Kriegsende. Gleichzeitig wurde zu diesem Zeitpunkt vielen Bewohnern deutscher Städte klar, daß sie vor den Schlägen der Gegner nicht vollkommen geschützt waren. Im Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 26. August 1940 hieß es, in der vergangenen Nacht überflogen »zum ersten Mal seit Kriegsbeginn einige feindliche Flugzeuge Berlin und warfen am Stadtrand mehrere Brandbomben«. Sachschaden sei nicht angerichtet worden. Dann verging, wenn das Wetter es nicht verbot, kein Tag, an dem die Flugzeuge der RAF nicht über dem Reichsgebiet auftauchten. Planmäßig und planlos würden vom Gegner Wohngebiete angegriffen, hieß es. Das war ein Vorspiel nur. Noch ging man am Sonntag bei einem Spaziergang die Bombentrichter bestaunen ...

Und dann kamen Lübeck, Hamburg, Köln, die Verwandlung der Städte des Ruhrgebiets und eben auch Berlins in beispiellose Trümmerhaufen. Keine Attacke aber hat sich dem Gedächtnis so tief eingeprägt wie die auf Dresden. Wegen der umstrittenen Zahl der Toten? Weil die Stadt mit Flüchtlingen vollgestopft war? Weil sie als das Florenz an der Elbe galt? Weil es bis zum Ende des Krieges nur noch ein knappes Vierteljahr dauerte und die Alliierten ihn schon sicher gewonnen hatten? Sie hätten, so das verbreitete Urteil, da mit dem von den Deutschen begonnenen Bomben doch aufhören müssen.

Hätten nicht eher die deutschen Generale nach dem Beispiel ihrer Vorgänger im Ersten Weltkrieg »aufhören« müssen, als sie wußten, daß sie geschlagen waren, spätestens also, als sie an den Reichsgrenzen standen? Und mußten, da die Deutschen selbst in ihrer aussichtslosen Lage nicht kapitulieren wollten, die Alliierten nicht zu jedem Mittel greifen, das das Ende näher brachte und die eigenen Leute schonte? Wer, so viele waren es nicht, von Stalingrad bis ins schlesische Lauban gelangt war, wollte den Tag nicht erleben, an dem er sich sagen konnte: Friede! Wer, der von der Normandie bis an den Rhein sich vorgekämpft hatte, wollte nicht an diesem ersehnten Tage einer Mutter nach Arizona oder Montana schreiben: Ich lebe! Die Deutschen haben ihre Frauen und Kinder und alten Menschen nicht zu schützen vermocht. Das konnten sie nicht, indem sie, wie ihnen befohlen, weiter schossen, sondern nur umgedreht hätten indem sie die Gewehre umdrehten. Darüber gilt es beim Blick in die grausige Geschichte von Dresdens Untergang nachzudenken.

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2011


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