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"Keineswegs nur Stadt der Opfer"

Rechtzeitig vor dem 13. Februar porträtiert ein Sammelband über "Braune Karrieren" zahlreiche Dresdner NS-Täter

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Ein neues Buch zeigt, wie Vertreter vieler Berufe in Dresden das NS-Regime stützten. Es bekräftigt, dass am 13. Februar 1945 keine »unschuldige« Stadt bombardiert wurde.

Die Attribute, mit denen »Das harte Geschlecht« versehen wurde, sind klar. Einen »blutsatt durchtränkten Nordlandroman« nannte das NS-Hetzblatt »Völkischer Beobachter« im Frühjahr 1933 das Machwerk von Will Vesper. Der Autor diente sich dem Regime aber nicht nur literarisch an. Als sich am 10. Mai 1933 an der TH Dresden Studenten in SA- und SS-Uniformen sammelten, war es Vesper, der in einer Rede die Gefahr der »Allerweltsgeistigkeit des internationalen Judentums« beschwor - bevor auf einer Anhöhe am Stadtrand Bücher ins Feuer flogen.

Will Vesper ist einer von 50 Porträtierten in einem Sammelband, der »Braune Karrieren« in Dresden vorstellt. Anhand von Vertretern aus NSDAP und SA, aber auch aus Wirtschaft und Justiz, Medizin, Kunst und Kirche wird gezeigt, wie das NS-System in allen Lebensbereichen Fuß fassen konnte. Vorgestellt werden Täter, die an Mordaktionen beteiligt waren, aber auch Menschen, die, wie Mitherausgeberin Christine Pieper formuliert, zur »Stabilisierung und Dynamisierung des Systems beigetragen haben«. Als Rädchen im Getriebe funktionierten der IHK-Chef, der jüdische Firmen »arisierte«; der Kirchenmann, der Verweise auf die jüdischen Wurzeln des Christentums aus dem Neuen Testament strich; der Mediziner, der »Rassenhygiene« als Lehrfach an der Technischen Hochschule etablierte.

Auf solche Protagonisten stützte sich die NS-Herrschaft, die in Sachsen vor allem von »Sachsen-Führer« Martin Mutschmann verkörpert wurde. Der Textilfabrikant aus Plauen, der früh durch fanatischen Antisemitismus auffiel, brachte es zu einer im Dritten Reich beispiellosen Machtfülle, wie der Historiker und Co-Herausgeber Mike Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut betont. Mutschmann war nicht nur Gauleiter, Reichsstatthalter und Ministerpräsident; er ließ Gegner auch mit besonderer Härte verfolgen. Selbst NS-Größen wie Göbbels nannten ihn einen »Fanatiker«.

Unauffälliger versahen Männer wie Albrecht Fernholz den Dienst; ein Beamter, der im Abschnitt »Fachleute der Vernichtung« vorgestellt wird. Als Chef der Ministerialabteilung »Volkspflege« koordinierte Fernholz die Euthanasie: Er ließ psychisch Kranke aushungern und schickte Behinderte auf dem Pirnaer Sonnenstein ins Gas, darunter 1226 Dresdner. »Nicht brauchbare« Kinder ließ er in Krankenhäusern töten. Zudem war er zuständig für die Zwangssterilisierung von 700 Frauen im Dresdner Klinikum Friedrichstadt. Auf diese Weise, sagt Boris Böhm, Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, »wurden bereits lange vor den Bombenangriffen Verbrechen an Dresdnern verübt«.

Böhm weist damit auf eine Intention des Bandes, der nicht zufällig kurz vor dem 13. Februar präsentiert wurde. Es handelt sich nicht nur um den für Dresden erstmaligen Versuch, anhand von Biografien zu zeigen, welcher Art die Stützen des NS-Systems waren. Die Publikation soll auch die Legende weiter unterminieren, wonach die Bomben im Februar 1945 eine »unschuldige Kunst- und Kulturstadt« getroffen hätten.

Dresden, betont Christine Pieper, sei »keineswegs nur eine Stadt der Opfer« gewesen, sondern eine wichtige Gauhauptstadt, in der das NS-System fest Fuß gefasst hatte. Die Mitgliederzahl der NSDAP war zwischen 1931 und 1935 von 6000 auf 32 500 emporgeschnellt, ein Anteil so hoch wie in München. Die Verbrechen - wie heutige Nazis die Bombardements vom Februar 1945 bezeichnen - fanden schon zuvor statt. Sie konnten, das zeigt der Porträtband eindrucksvoll, geschehen, weil sich auch in Dresden viele willige Vollstrecker für den braunen Ungeist fanden.

Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Nationalsozialismus. Sandsteinverlag Dresden 2012, 19,80 Euro.

* Aus: neues deutschland, 2. Februar 2012


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