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Eskalation in Dessau

Anschlag auf Polizeiwache / Nazis instrumentalisieren Protest nach Messerattacke

Von Hendrik Lasch, Dessau *

Kurz nach dem umstrittenen Polizeieinsatz bei einer Gedenkdemo für Oury Jalloh ist in Dessau ein Brandsatz auf eine Polizeiwache geworfen worden. Derweil schüren Nazis nach einer Messerstecherei Ausländerhass.

Auf die Polizeiwache in der Wolfgangstraße in Dessau, in deren Keller am 7. Januar 2005 der Flüchtling Oury Jalloh bei einem Feuer ums Leben kam, ist ein Brandanschlag verübt worden. In der Nacht zum Mittwoch flog ein Brandsatz gegen eine Seitentür. Eine Scheibe ging zu Bruch, dichter Rauch drang in das Haus ein. Menschen kamen nicht zu Schaden. An einer Mauer wurde die Parole »Oury Jalloh - das war Mord« vorgefunden.

Wegen scharfer Reaktionen der Polizei auf diesen Slogan war vor knapp zwei Wochen eine Gedenkdemo zum siebenten Jahrestag von Jallohs Tod eskaliert. Es hatte Verletzte gegeben; Mouctar Bah, der Anmelder der Demonstration, musste ins Krankenhaus. Beamte waren rabiat gegen Demonstranten vorgegangen, um Transparente mit dem Spruch zu beschlagnahmen. Dieser wird seit Jahren bei Demonstrationen skandiert und war toleriert worden. Der neue Dessauer Polizeipräsident hatte aber einen härteren Kurs eingeschlagen. Er war dafür im Anschluss von Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) kritisiert worden. Bei Gedenkinitiativen und bei der Opposition hatte der Polizeieinsatz für scharfe Reaktionen gesorgt.

Einhellig verurteilt wurde aber auch der gestrige Anschlag. Stahlknecht, der vormittags den Tatort besichtigte, bezeichnete die Attacke als »Angriff auf unsere Demokratie und unseren Rechtstaat«. Die Stadt sei »keine rechtsfreie Zone«. Er vermutete die Täter in der linksautonomen Szene. Gudrun Tiedge, die rechtspolitische Sprecherin der LINKEN im Landtag, warnte indes vor »voreiligen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Tatmotivation«. Auch sie erklärte aber, der Anschlag sei »durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen«; die Täter müssten schnellstmöglich ermittelt werden. Ein Interesse daran hat auch die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«. Sie verwahrte sich gestern umgehend dagegen, mit dem Anschlag in Verbindung gebracht zu werden. Falls der Brand und die an die Wand gesprühte Parole »in räumlicher und zeitlicher Nähe entstanden seien«, deute das eher auf eine »gezielt gewollte Kriminalisierung der Initiative und ihrer Mitglieder hin«.

Absehbar ist freilich, dass sich mit dem Brandanschlag die Lage in Dessau weiter verschärft. Tiedge befürchtet, dass sich die »Gewaltspirale« weiterdreht. Anlass zu der Befürchtung gibt nicht zuletzt ein Vorfall vom Montag. Dabei hatte es eine Messerattacke auf einen Fußballspieler der ASG Vorwärts Dessau gegeben. Der 29-Jährige wurde dabei schwer verletzt; die Klinge musste ihm in einer Notoperation aus dem Kopf entfernt werden. Er sei inzwischen außer Lebensgefahr, heißt es. Befürchtungen weckt die Straftat vor allem, weil es sich bei dem Täter, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, um einen Afrikaner handelt. Dieser Umstand wurde bei einer Protestdemonstration mit 400 Teilnehmern umgehend instrumentalisiert. Es wurden Parolen wie »Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!« gerufen. Zur Teilnahme sei über »Twitter« zuvor vom militanten Nazinetzwerk »Freies Netz« aufgerufen worden, erklärte Steffen Andersch vom »Projekt Gegenpart«.

Andersch verweist darauf, dass die ASG Vorwärts wiederholt mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wurde. So arbeitete ein Szenemitglied als Jugendtrainer. Der Anmelder der jetzigen Demo sei kürzlich wegen einer mutmaßlich rechtsextrem motivierten Körperverletzung verurteilt worden. Laut Andersch hat sich der Verein bisher nicht von seiner rechten Fanszene distanziert: »Das müsse nun deutlich geschehen.« Zudem dürfe der Angriff »nicht zu pauschaler und rassistischer Stimmungsmache genutzt werden«. Die Protestbewegung müsse angesichts der »fragilen Lage« in der Stadt zu Nazis »politisch, räumlich und strukturell« auf Distanz gehen.

Zwei Tote

In Dessau sind schon zwei Migranten aus Afrika zu Tode gekommen. Im Jahr 2000 wurde Alberto Adriano aus Mosambik im Stadtpark von drei jugendlichen Rechtsextremen ermordet. Fünf Jahre später starb der 21-jährige Oury Jalloh aus Sierra Leone bei einem Feuer in einer Polizeizelle. (hla)



* Aus: neues deutschland, 19. Januar 2011


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