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Minister versetzt Beamten nach Demo-Einsatz

Beschlagnahme eines Plakats mit der Aufschrift "Oury Jalloh, das war Mord" ungerechtfertigt *

Nach dem Polizeieinsatz gegen die Demonstration zum Jahrestag des Todes von Oury Jalloh am vergangenen Samstag (7. Jan.) zog Innenminister Stahlknecht nun personelle Konsequenzen.

Der umstrittene Polizeieinsatz bei der Gedenkfeier für Oury Jalloh in Dessau-Roßlau hat personelle Konsequenzen. Ein Dezernatsleiter der Polizeidirektion Ost sei versetzt worden und solle nun an einer anderen Stelle der Landesverwaltung arbeiten, teilte das Innenministerium am Montag in Magdeburg mit. Zunächst war von einem Abteilungsleiter die Rede gewesen. Hintergrund ist, dass die Polizei am Wochenende ein Plakat beschlagnahmt hatte, auf dem der Spruch »Oury Jalloh, das war Mord« stand.

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) distanzierte sich von der Beschlagnahme. »Ich hätte als Jurist diese Entscheidung nicht so getroffen«, sagte er am Montag. Die Grünen wiesen in einer Mitteilung darauf hin, dass das Landgericht Magdeburg bereits 2006 entschieden habe, dass derartige Plakate vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien.

Inzwischen habe der Polizeipräsident der Direktion nach erneuter Prüfung entschieden, keinen Strafantrag zu stellen, erklärte das Innenministerium. »Das halte ich für die richtige Entscheidung, weil wir auf Deeskalation aus sein sollten«, sagte Stahlknecht. Er verwahre sich aber dagegen, dass Polizisten des Landes als Mörder dargestellt würden.

Zugleich sprach sich der Minister für eine lückenlose Aufklärung des Vorwurfs aus, wonach ein Polizist mit Helm einen Demonstranten mit einem Stoß gegen den Kopf verletzt haben soll. Stahlknecht sagte, er habe sich Videoaufzeichnungen angesehen, die diesen Vorwurf nicht bestätigten. Sie zeigten aber, wie der Demonstrant versuche, mit der Faust auf Beamte einzuschlagen.

An dem Protestzug hatten rund 150 Menschen teilgenommen. Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 bei einem Brand in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben gekommen. Die genauen Todesumstände gelten bis heute als ungeklärt. Vor dem Landgericht Magdeburg läuft der Prozess gegen einen früheren Dienstgruppenleiter des Dessauer Reviers. Er soll dem Mann aus Sierra Leone bei dem Brand in der Zelle nicht rechtzeitig geholfen haben.

Die LINKE forderte die Landesregierung auf, die Vorfälle bei der Gedenkveranstaltung lückenlos aufzuklären. Im Zentrum stehe dabei die Frage, ob der Einsatz der Polizei angemessen war, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Gudrun Tiedge, in Magdeburg. Die Grünen verurteilten »aufs schärfste das gewaltsame Vorgehen der Einsatzkräfte der Polizei«. Demonstrationsteilnehmer seien nach der Veranstaltung von Polizisten angegriffen und verletzt worden.

Auch der Migrantenrat von Dessau-Roßlau forderte eine öffentliche und lückenlose Aufklärung des Polizeieinsatzes. Mit Bestürzung habe man erfahren, dass ein Mitglied des regionalen Migrantennetzwerkes von Polizisten schwer verletzt worden sei, hieß es in einer Erklärung am Montag. Razak Minhel, Koordinator des Migrantenrates, betonte, dass weiterhin Gesprächsbereitschaft bestehe. »Wir wollen den Dialog weiterführen, auch das Gespräch mit der Polizei«, sagte er. Laut Minhel leben in Dessau-Roßlau rund 2000 Migranten.

Unterdessen geht der Prozess um den Feuertod Jallohs bis zum Frühjahr weiter. Weil die Nebenklage am Montag am Magdeburger Landgericht eine Vielzahl von Beweisanträgen gestellt habe, seien weitere Termine bis zum 13. März festgelegt worden, teilte ein Gerichtssprecher mit.

Der Prozess am Montag wurde nach Angaben der Polizei in Magdeburg von etwa 30 Demonstranten begleitet, die Transparente zeigten. Sie fordern seit Prozessbeginn eine Änderung der Anklageschrift. Aus ihrer Sicht handelt es sich um Mord.

* Aus: neues deutschland, 10. Januar 2012


Rassistischer Korpsgeist

Polizeiprügel vor Oury-Jalloh-Prozeß

Von Ulla Jelpke **


Vor sieben Jahren verbrannte Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam. Als es nach zwei Jahren endlich zu einem Prozeß gegen die beiden diensthabenden Polizisten kam, lautete die Anklage nicht etwa auf Mord, sondern auf »fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge«. Die Beamten hätten ein Feuerzeug übersehen, mit denen sich der an Händen und Füssen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze liegende Asylbewerber aus Sierra Leone selbst angezündet hatte, lautete die abstruse These des Oberstaatsanwalts. Offensichtlich von höherer Stelle sorgfältig einstudierte Polizeizeugen deckten die im Jahr 2008 freigesprochenen Angeklagten. Selbst der Bundesgerichtshof in Karlsruhe rügte die unglaubliche Urteilsbegründung als lückenhaft, die Beweisführung des Gerichts als nicht nachvollziehbar und das Verhalten der Polizisten als nicht pflichtgemäß.

Seit dieser Woche werden die Todesumstände von Oury Jalloh in einem Revisionsverfahren vor dem Landgericht Magdeburg erneut verhandelt. Der damalige Dienstgruppenleiter Andreas S. ist wegen »fahrlässiger Tötung« angeklagt. Daß es soweit kam, ist auch der »Initiative im Gedenken an Oury Jalloh« zu verdanken, die bis heute auf eine lückenlose Aufklärung des Todes und die Bestrafung der Verantwortlichen drängt.

Weil afrikanische Demonstranten die Parole »Oury Jalloh, das war Mord!« riefen, wurden sie am Samstag auf einer Gedenkdemonstration in Dessau von der Polizei krankenhausreif geprügelt. Das Oberverwaltungsgericht Leipzig hatte zuvor erklärt, eine Strafbarkeit der Behauptung, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, könne »nicht im Vorhinein, sondern nur dann beurteilt werden, wenn die Äußerungen konkret vorliegen. Bis dahin obliegt es der Meinungsfreiheit des Einzelnen, aber auch seinem Risiko, derartige Äußerungen in einer Art und Weise zu tätigen, daß er sich damit nicht strafbar macht.«

Im Klartext: Wenn sich ein Polizist von dieser Behauptung beleidigt fühlt, obliegt es einem Gericht, die Strafbarkeit dieser Äußerungen anschließend zu klären. Derartige rechtsstaatliche Gepflogenheiten scheinen nach Ansicht der Dessauer Polizei für Schwarze nicht zu gelten. In Kolonialherrenmanier wurde mit Knüppeln und Pfefferspray kurzerhand Selbstjustiz gegen unliebsame Wahrheiten geübt.

Unter den Opfern befand sich auch der Initiator der Proteste, Mouctar Bah, der wesentlichen Anteil an der Bewegung für die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh hat. Er ist schon in der Vergangenheit mit Maßnahmen der Polizei überzogen worden, die ihn ganz offensichtlich einschüchtern sollten.

Die Dessauer Polizei rückt zusammen, wenn es um den Rassismus aus ihren Reihen geht. Dieser Sumpf muß endlich ausgetrocknet werden. Eine mögliche Verurteilung des Dienstgruppenleiters reicht nicht aus, solange sich rassistische Mörder in Uniform weiterhin des Korpsgeistes ihrer Kollegen sicher sein können.

** Aus: junge Welt, 10. Januar 2012 (Kommentar)


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