Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Zweifel gegen Antifaschisten

Vorabdruck. Extremismus: Vom Kampfbegriff zum neuen staatspolitischen Programm. Auszug aus "Das Braune Netz. Naziterror: Hintergründe, Verharmloser, Förderer"

Von Markus Bernhardt *

Dreizehn Jahre lang konnte eine neofaschistische Terrrorgruppe mordend und bombend durchs Land ziehen, bevor sie im November 2011 aufflog. Nach und nach wurden Dimensionen eines Skandals erkennbar, der in der Geschichte der BRD ohne Parallele ist: Nicht nur, daß die Terroristen von Strafverfolgungsbehörden unbehelligt blieben, sie erfreuten sich offenbar sogar aktiver Unterstützung durch deutsche Inlandsgeheimdienste.
jW-Autor Markus Bernhardt leuchtet in einem demnächst im Kölner PapyRossa Verlag erscheinenden Buch die Hintergründe des Zusammenwirkens von militanten Nazis und Nachrichtendiensten aus und nennt Verharmloser, Vertuscher und Förderer beim Namen. Wir veröffentlichen aus dem Band vorab Auszüge aus einem Kapitel, das sich mit der zur Staatsdoktrin erhobenen Extremismustheorie auseinandersetzt.


Die Extremismustheorie, welcher der »originäre Extremismusbegriff« zugrundeliegt, unterstellt, der »Rechts-, Links-« und – ­inzwischen stärker im Blick – »Ausländerextremismus« seien Spielarten einer gegen den demokratischen Verfassungsstaat gerichteten gemeinsamen Strömung. Die »Theorie« leitet sich aus Grundsätzen der »wehrhaften Demokratie« eines starken Staates ab, um »Gegner« der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« zu identifizieren und deren Verhalten sanktionieren zu können. Nun ist es erst einmal nicht verwunderlich, daß sich Staaten gegen ihre »Feinde«, vor allem gegen mißliebige politische Strömungen, zur Wehr setzen. Zu prüfen ist also, warum bei der Identifizierung von tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern des Staates mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Dennoch ergeben sowohl der Begriff als auch die dazugehörende Theorie aus Sicht staatlicher Behörden durchaus Sinn. Was ist also das Problem?

Deutlich erkennbar ist, daß die Extremismustheorie eine staatliche Sicht übernimmt, diese weiterentwickelt und absichert, indem sie den Behörden eine Legitimation verschafft. Grundlage für Studien von Extremismustheoretikern bilden in der Regel Berichte und Lagebilder des Bundesamtes für Verfassungsschutz und dessen Landesbehörden. Diese lassen in manchen ihrer Publikationen ihrerseits Extremismusforscher zu Wort kommen. Geheimdiensterkenntnisse sollen auf diese Weise in der Öffentlichkeit als wissenschaftlich streng »geprüft« und »bestätigt« dargestellt werden. Wissenschaftler wie Wolfgang Wippermann oder Christoph Butterwegge weisen seit Jahren darauf hin, daß die Extremismustheorie ein »politisches Instrument« ist, das vor allem von staatlichen Behörden und mit Hilfe der Medien zur Diskreditierung linker Politik eingesetzt wird. Tatsächliche »Erkenntnis« durch extremismustheoretische Erklärungen kann deshalb nicht erwartet werden. Dessen sollten sich alle bewußt sein, die mit dieser »Theorie« in der Schule, Uni oder Zeitung direkt oder indirekt konfrontiert werden. Nicht zuletzt resultiert die politische Motivation der »Theorie« auch daraus, daß die Verfechter des Konzeptes wie Eckhard Jesse (TU Chemnitz) und Uwe Backes (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden) selbst aus dem ganz rechtskonservativen Spektrum stammen. Ihnen ist es ein zentrales Anliegen, mißliebige, explizit linke Positionen in der Politik und in öffentlichen Debatten zu isolieren. Denn wer redet schon gern mit verhaltensauffälligen »Extremisten«, denen »Demokratiefeindschaft« nachgesagt wird.

Die »Theorie« und einzelne Versatzstücke, die einem im Alltag begegnen, können als Instrumentarium zur Verblendung und Verschleierung von Realität betrachtet werden. Mit dem Extremismusansatz werden die eigentlich unübersehbaren Schwächen der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus in der Totalitarismustheorie reproduziert und gesteigert, zumal – und das ist der Trick – auf tatsächliche Vergleiche verzichtet wird oder aber Unterschiede eingeebnet werden. Denn was nicht paßt, wird passend gemacht. Während Jesse und Backes die Bedeutung des »Rechtsextremismus« an die Höhe der Wählerzustimmung für Parteien wie die NPD koppeln, um zur Schlußfolgerung zu gelangen, daß die »extreme Rechte« unbedeutend sei, sieht die Sache beim »Linksextremismus« anders aus. Deshalb finden sich aus ihrer Sicht »Grauzonen« bzw. Übergänge zur bürgerlichen Mitte vorrangig auf der linken Seite des »Hufeisens«. Überschneidungen zwischen Konservatismus und »extremer Rechter« werden kaum thematisiert, eher tabuisiert. Die realen Gräben zwischen rechts und links werden zwar nicht von allen Extremismustheoretikern ignoriert, in ihrer Bedeutung jedoch immer relativiert. Auch Backes und Jesse postulieren zwar (inzwischen), daß »unverkennbare Gemeinsamkeiten der Extremismen« Unterschiede nicht verdecken dürften. Gerade sie und ihre Zöglinge sind es jedoch, die das Gegenteil praktizieren und damit Bewertungskriterien für Wissenschaft und Öffentlichkeit festlegen. Dabei handelt es sich um eine Methode, die in dem Konzept angelegt ist.

Willkürliche Ausgrenzung

Wie bereits erwähnt, finden sich nach Ansicht von Extremismustheoretikern Sympathisanten von »Linksextremisten« bereits am linken Rand der SPD, während »rechtsextreme« Bestrebungen nie an den Rändern von CDU/CSU ausgemacht werden. Angewandt wird dabei auch die Charakteristik für »Linksextremismus«, die deutlich machen soll, was diesen vermeintlich auszeichnet. Die Definition heißt »Kapitalismusfeindlichkeit« oder »grundlegende Kapitalismuskritik«. Dabei werden bewußt verschiedenste linke Strömungen »in einen Topf« geworfen. Die Extremismustheorie könnte durchaus einen gewissen Erklärungswert beanspruchen, wären mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen »extremen Rechten« und radikalen Linken vorhanden. Doch rechte und linke Bewegungen weisen mehr fundamentale Unterschiede als Übereinstimmungen auf. Ähnlich verhält es sich mit dem »Ausländerextremismus«. Letzteres haben Extremismusforscher inzwischen auch eingestanden. Soweit sich Ausländerextremismus nicht in das Links-Rechts-Schema des Hufeisen-Modells einordnen läßt, muß die neue Sonderkategorie »grüner Extremismus« herhalten, um die »großen Gefahren«, die laut Backes und Jesse von islamistischen Bewegungen ausgehen, zu fassen.

Das Extremismuskonzept ist vor allem auch deshalb zu kritisieren, weil Organisationen und Bewegungen als »rechtsextrem« oder »linksextrem« bezeichnet werden, welche sich allzu weit von einem (angeblich vorhandenen) »demokratischen Konsens« der »Mitte« der Gesellschaft wegbewegen. Deshalb verläuft die Ausgrenzung willkürlich, weil entsprechende Maßstäbe vom Selbstverständnis des Betrachters und seinen Werturteilen abhängen. Darum gibt es in der Forschung, aber auch in der öffentlichen Meinung (noch) unterschiedliche Auffassungen, welche Personen, Parteien oder Gruppen als »extremistisch« einzustufen sind. Wären Extremismustheoretiker ihren eigenen Kategorien verpflichtet, müßten z.B. die früheren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) ganz klar als »Extremisten« identifiziert werden. Denn schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht deren Gesetzesvorlagen mehrfach für verfassungswidrig und als Verstoß eben gegen jene »freiheitliche demokratische Grundordnung« erklärt, die im Zentrum der Extremismustheorie steht. Wenn sich also auf eine demokratietheoretische Diskussion eingelassen wird, läßt sich feststellen, daß es vor allem die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat sind, die »verfassungsrechtliche Pflichten« mißachten. Mehrfach erklärten oberste Verfassungsrichter Gesetze oder Teile davon für verfassungswidrig – Beispiele sind das »Anti-Terror-Paket« von Schily, das Flugsicherheitsgesetz oder Urteile zur »Hartz-IV«-Gesetzgebung. Wo bleibt hier der Aufschrei gegen die bösen »Extremisten«?

Es ist also kein Zufall, daß, je mehr die Aushöhlung verfassungsmäßiger Substanz des Staates sich durch eine zunehmend verselbständigte Exekutive »von innen« heraus vollzieht, auch die Extremismustheorie an Konjunktur gewinnt. Schließlich geht es darum, von tatsächlichen Gefahren der Aushebelung rechtsstaatlicher Prinzipien abzulenken. Die Extremismustheorie läuft daher prinzipiell auf die Unterstützung eines autoritären Staates hinaus, der Abweichungen von der jeweils neu definierten politischen »Mitte« sanktioniert. Eine Schlußfolgerung kann deshalb nur lauten: Es ist grundsätzlich davor zu warnen, daß »Gefahren für eine Demokratie« von den »Rändern« (im Hufeisen-Modell: zwei Gegenpolen) kommen. Sie kommen in der Regel »von oben« (staatlichen Institutionen) oder direkt aus der »Mitte der Gesellschaft«. Genau dort entstehen sie auch, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Der deutsche Faschismus kam nicht allein und nicht in erster Linie wegen seiner Stärke, sondern vorrangig wegen der vorausgegangenen Schwäche der Demokratie und ihrer mangelnden Verankerung im gesamten politischen Spektrum der Weimarer Republik an die Macht. Die Schwäche der Demokratie war also weniger die Folge, sondern vielmehr eine wichtige Ursache des Aufstiegs der Nazibewegung – ein Umstand, den Extremismus- und Totalitarismustheoretiker absichtlich vernebeln wollen.

Neonazismus kleingeredet

Gleichsetzung von Neonazismus und radikaler Linken in einer ­Wan Gleichsetzung von Neonazismus und radikaler Linken in einer ­Wanderausstellung des niedersächsischen Landesverfassungsschutzes Die Virulenz einer sozialen Bewegung der »extremen Rechten« sowie rassistische, nationalistische und antisemitische Stereotype in einem erheblichen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung werden von Extremismusforschern zumeist ignoriert oder bagatellisiert. So erklärt sich auch die noch vor ein paar Jahren vor allem von Jesse vertretene Auffassung, die NPD sei »notorisch isoliert«. Diese Partei – so Jesse weiter – werde in Zukunft keinerlei Wahlerfolge erringen, es gebe keine Anzeichen für einen »rechten Mainstream« in der Jugendkultur einiger Regionen Deutschlands, Gewalttaten könnten NPD-Mitgliedern erst recht nicht angelastet werden. Umso absurder war es, daß die damalige rot-grüne Bundesregierung ausgerechnet Jesse zuvor zum Sachverständigen im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gemacht hatte. Da die Extremismusforschung nicht in der Lage ist, die Relevanz rechter Ideologie zu fassen, fällt die Bewertung der Gefahren manchmal sogar hinter die Verfassungsschutzbehörden zurück. Die Extremismustheorie wird außerdem oft bei aktuellen öffentlichen Diskussionen über die Aufgaben des Verfassungsschutzes dazu genutzt, den »linken« gegen den »rechten Extremismus« auszuspielen. So geraten regelmäßig Personen unter »Extremismusverdacht«, die auf die tatsächlichen Gefahren rechter Ideologie und Organisierung sowie auf einflußreiche Netzwerke von Konservativen und »extremen Rechten« aufmerksam machen. Angegriffen werden dabei besonders die Kritiker des Extremismuskonzeptes aus Wissenschaft und kritischer Öffentlichkeit. Sie verweisen – vereinfacht gesagt – auf einen »Extremismus der Mitte«, also auf eigentlich gut erkennbare Interaktionen zwischen »extremen« und »gemäßigten« Rechten sowie der »Mitte«, wodurch »Rechtsrucke« in der Politik erklärbar werden.

Das Extremismuskonzept befindet sich auf dem Vormarsch – in Politik, Wissenschaft, Öffentlichkeit und Gesellschaft. Es profitiert dabei ohne Frage von seiner vermeintlichen Logik. (…) Daß dies überhaupt möglich war, liegt unter anderem daran, daß seit Jahren Unmengen staatlicher Mittel für diese politisch motivierte Forschung bereitgestellt werden.

Die staatsoffiziell gewünschte Durchsetzung der Extremismustheorie in Zeiten der Krise ist einmal mehr Ausdruck einer Ausgrenzung von Konzepten gesellschaftlicher Veränderung, die antikapitalistische Positionen einbeziehen. Neue Programme des Bundesfamilienministeriums unter der Leitung der CDU-Politikerin Kristina Schröder, die gegen »Linksextremismus« gerichtet sind, sowie die zunehmende Fokussierung auf »linke Gewalt« sprechen eine deutliche Sprache. Die Ansage ist klar: Unter der »schwarz-gelben« Regierungskoalition wird sich der Druck auf linke Organisationen auch zukünftig noch verschärfen. Dies schließt erheblichen Druck auch auf die Partei Die Linke mit ein. Von ihr wird gefordert, daß sie sich in den »Verfassungsbogen« zu integrieren habe. Dafür wird als notwendig erachtet, daß sie sich von der Thematisierung der Eigentumsfrage und »Schmuddel-Bündnispartnern« löst. Ein Hauptziel bleibt auch, daß die Herstellung einer breiten Akzeptanz extremismustheoretischer Ansätze garantieren soll, daß Zusammenhänge zwischen der Verschärfung der Krise sowie dem Abbau demokratischer Rechte und der damit einhergehenden Zunahme von sozialer Ausgrenzung, Nationalismus und Rassismus verschleiert werden.

Ideologische Wegbereiter

Seit Bestehen der Bundesrepublik gehören ein aggressiver Antikommunismus und die gegen linke politische Bewegungen gerichtete Repression zur Staatsdoktrin. Während Nazigegner im Rahmen des im Jahr 2000 vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ausgerufenen »Aufstands der Anständigen« Opfer der Umarmungsstrategie der selbsternannten Demokraten wurden, werden sie aktuell mittels der »Extremismustheorie« mit Neofaschisten gleichgesetzt.

Eine der einflußreichsten Zusammenkünfte, die sich angeblich dem Einsatz für die Demokratie verpflichtet fühlen, ist der sogenannte »Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie«, dessen Anhänger sich seit 1990 zweimal im Jahr treffen. Organisiert werden die Tagungen des »Veldensteiner Kreises« von den bereits erwähnten »Extremismusforschern« Jesse, Backes und Werner Müller (Universität Rostock). Als »Ort wissenschaftlicher Diskussion« hat sich der unter anderem aus Zeithistorikern, Politik- und Sozialwissenschaftlern bestehende Zirkel – eigenen Angaben zufolge – dem Ziel verschrieben, die »vergleichende Extremismusforschung« zu fördern. Dieses Ziel verbinde der »Veldensteiner Kreis« mit »dem Engagement für den demokratischen Verfassungsstaat«, heißt es auf der Internetseite der illustren Vereinigung, bei der sich unter anderem so hochkarätige Referenten tummeln wie der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Joachim Gauck, der Leiter der Stasi-Gedenkstädte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe oder Patrick Moreau, der in der Vergangenheit Pamphlete unter anderem gegen die damalige PDS in Thüringen veröffentlichte und dabei Pseudonyme (Peter Christian Segall, Hermann Gleumes) benutzte, um sich selbst zu zitieren.

Moreau trat mehrfach auf Veranstaltungen des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz auf und veröffentlichte in der Heron Verlagsgesellschaft, einem Tarnunternehmen der Spitzelbehörde, das 1997 vom damaligen Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Helmut Roewer unter dem Decknamen Stephan Seeberg gegründet worden war. Roewer gilt, wie bereits beschrieben, als eine der Schlüsselfiguren im größten Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte (der Mordserie des »NSU«, d. Red.). (…)

Wes’ Geistes Kind die Gründer des »Veldensteiner Kreises« sind, wird auch deutlich, wenn man beachtet, daß etwa Jesse, der im Rahmen des Verbotsverfahrens gegen die NPD vor Gericht gegen deren Verbot aufgetreten war, in seinen Büchern von der These ausgeht, daß die Linkspartei und ihr von ihm so bezeichneter »weicher Extremismus« gefährlicher seien, als die NPD. (…)

Die braune »Mitte«

Während satte 74 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa von November 2011 zufolge der Meinung sind, daß der Staat zu wenig gegen Neonazis unternehme, setzt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ihren Feldzug gegen deren Gegner dessenungeachtet fort. Es ist der Extremismus der selbsterklärten politischen Mitte, der sich in der Realität selbst am rechten Rand der Gesellschaft verorten läßt, der ein ausgeprägtes gesellschaftliches Engagement gegen faschistische Mörderbanden und Hetzer be-, wenn nicht gar verhindert und mündigen Bürgern verbieten will, über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus auch nur nachzudenken.

Schröder selbst stammt ausgerechnet aus dem hessischen CDU-Landesverband, der maßgeblich von der sogenannten Stahlhelmfraktion, also dem nationalkonservativen Flügel der CDU, geprägt wurde. Insofern verwundert es nicht wirklich, daß die Hessen-CDU nur kurze Zeit nach den Enthüllungen über die »NSU«-Mordserie im November 2011 selbst in die Schlagzeilen geriet. So soll Daniel Budzynski, bis zur Enthüllung des Skandals Schriftführer des CDU-Bezirksverbandes Kassel-Nord, seit Jahren bei der vom Verfassungsschutz beobachteten neofaschistischen Kameradschaft »Freier Widerstand Kassel« aktiv gewesen sein und unter Pseudonym seit geraumer Zeit rechte Propaganda im Internet verbreitet haben. Offenbar aus Solidarität mit der »NSU«-Terrorgruppe soll Budzynski, Medienberichten zufolge, am 17. November die Comicfigur Paulchen Panther auf seine Seite bei dem »sozialen Netzwerk« Facebook gesetzt haben. Also jene Comicfigur, die die Mitglieder und Sympathisanten des »NSU« im Rahmen ihrer Bekenner-DVD verwendet hatten, mittels derer sie sich zu den Morden an den neun Migranten und der Polizistin Michèle Kiesewetter bekannten. (…)

Praktische Konsequenzen

Ungeachtet der aus der selbsternannten politischen Mitte stammenden geschilderten Aktivitäten fordert das Bundesfamilienministerium unter Leitung von Frau Kristina Schröder seit 1. Januar 2011 von allen Initiativen, die sich gegen Neofaschismus engagieren, ein Bekenntnis zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«. Um überhaupt die Chance zu haben, Fördermittel aus dem Topf »Maßnahmen für Extremismusprävention« zu erhalten, werden die Initiativen nicht nur genötigt, sich qua Unterschrift zur herrschenden politischen Ordnung zu bekennen, sondern sollen vielmehr auch ausschließen, daß etwaige Bündnispartner »extremistisch« seien.

»Hiermit bestätigen wir, daß wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahme haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, daß die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewußt, daß keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, daß eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird«, heißt es in der zu unterzeichnenden Erklärung. Was soll das sein, wenn nicht eine unverhohlene Aufforderung, andere Nazigegner auszuforschen?

Kritikern der von ihr ins Leben gerufenen Praxis hielt Schröder entgegen: »Wer würde denn allen Ernstes einem bekennenden Pyromanen ein Feuerzeug in die Hand drücken, nur weil der sich auch bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert? Genauso wenig werden wir extremistische Gruppen unterstützen, nur weil sie sich auch gegen andere Extremisten wenden.« (…)

Indes startete das Schröder-Ministerium weitere Angriffe auf diejenigen, die sich tagtäglich dem Kampf gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus verpflichtet fühlen. Keineswegs macht die Bundesfamilienministerin dabei vor demokratischen Presseerzeugnissen halt. So förderte das Familienministerium mit insgesamt 120000 Euro eine Broschüre mit dem fadenscheinigen Titel »Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern« der »Zeitbild Stiftung«, die sich angeblich der »Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die in sozial schwierigen Verhältnissen in Deutschland aufwachsen«, verpflichtet fühle, wie sie auf ihrer Internetseite betont. »Wissenschaftlich« begleitet wurde die Publikation – welch Wunder – von Prof. Dr. Eckhard Jesse, dessen Porträt im Informationsheft gleich mehrfach abgebildet ist.

Das Vorwort dieser Broschüre, die sich ausgerechnet an Schüler und Lehrer wendet und in einer Auflage von 25 430 Exemplaren gedruckt wurde, demonstriert eindrucksvoll das hierzulande bestehende Bildungsproblem. »Unsere Demokratie lebt vom Meinungsaustausch und vom Streit um die beste Lösung. Deshalb braucht die Demokratie Menschen, die sich aktiv einmischen und sich vernehmbar zu Wort melden«, schwadroniert Köhler in dem von ihr verfaßten Einleitungstext, um dann Personenkreise, die sich politisch einbringen – wie etwa Antifaschisten – als »Extremisten« zu verunglimpfen, die »scheinbar einfache Antworten und schnelle Lösungen – auf Kosten unserer demokratischen Werte und unserer rechtsstaatlichen Grundprinzipien« – böten.

Markus Bernhardt: Das Braune Netz. Naziterror: Hintergründe, Verharmloser, Förderer, PapyRossa Verlag, Köln 2012, 117 Seiten, brosch., 9,90 Euro, erscheint zur Leipziger Buchmesse.

* Aus: junge Welt, 6. März 2012


Zurück zur Seite "Rassismus, Neonazismus, Fremdenhass, Antifaschismus"

Zurück zur Homepage