Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Gefahr der Verharmlosung besteht"

Was unterscheidet "Rechtspopulisten" von offen neofaschistischen Parteien? Ein Gespräch mit Phillip Becher *


Phillip Becher ist Sozial­wissenschaftler an der Universität Siegen.


F: Sie haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit »Rechtspopulismus« beschäftigt. Was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Ich habe versucht, eine Bestimmung des Sozialwissenschaftlers Reinhard Opitz auf den heutigen Rechtspopulismus zu übertragen. In den 1970er Jahren analysierte Opitz die durch den CSU-Politiker Strauß repräsentierten Kräfte. Genau wie er verstehe ich Rechtspopulismus als eine Bewegung, die eine parlamentarische Basis für eine administrativ-autoritäre Politik im Spannungsfeld zwischen Sammlungsbewegung und Partei herzustellen versucht.

Leider wird Opitz allzu oft in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der extremen Rechten übersehen. Ich halte seine Ansätze nach wie vor für beachtenswert und versuche, sie zur Anwendung zu bringen. Auch wenn ich mir durchaus vorstellen könnte, daß Opitz den Begriff Rechtspopulismus abgelehnt hätte und die von mir untersuchten Entwicklungen wohl unter »Neofaschismus« subsumiert hätte. Seine sehr berechtigte Kritik an einigen prominenten Vertretern der Populismusforschung in den frühen 1980er Jahren deutet darauf hin. Mir geht es jedoch auch darum, Unterschiede zwischen verschiedenen Segmenten der extremen Rechten aufzuzeigen.

F: Natürlich existieren Unterschiede zwischen offen neofaschistischen Parteien wie der NPD und maßgeblich antimuslimischen Gruppierungen wie »Pro Deutschland«. Verharmlost der Begriff Rechtspopulismus aber nicht trotzdem den expliziten Rassismus, der die politische Programmatik besagter Gruppierungen prägt, und wird dadurch nicht suggeriert, daß diese noch zum Spektrum der »demokratischen« Parteien gehören?

Die Gefahr der Verharmlosung besteht natürlich. Die Akteure selbst haben das in einer gewissen Weise erkannt. Die »Pro«-Parteien benutzen den Begriff des Rechtspopulismus beispielsweise zum Teil als Selbstkennzeichnung. Ich sehe die Sache jedoch folgendermaßen: Der Rechtspopulismus ist eine Strömung der extremen Rechten neben dem Neofaschismus. Der Rechtspopulismus unterscheidet sich in organisatorisch-struktureller, ideologischer und funktionaler Hinsicht von neofaschistischen Parteien. Organisatorisch sind die rechtspopulistischen Formationen eher bewegungsförmig und stark auf den jeweiligen Führer fixiert, während sich beispielsweise die NPD nach wie vor als »Weltanschauungspartei« begreift.

So krude das auch klingen mag, verweist dies doch auf die historische Konzeption des Faschismus als einer antisozialistischen Bürgerkriegspartei. Ideologisch hat der Rechtspopulismus zahlreiche Ideen der sogenannten Neuen Rechten aufgesogen. Zwar hat die auch im Neofaschismus ihre Spuren hinterlassen, dort ist der Bezug zum 20. Jahrhundert jedoch noch immer Legion. Funktional versucht sich der Rechtspopulismus an einer autoritären Verschiebung der Koordinaten des jeweiligen politischen Systems. Der Neofaschismus entspricht hingegen tatsächlich dem offenen Antidemokratismus, wenn es auch dort Mobilisierungsversuche für vermeintliche »direkte Demokratie« gibt.

Daß es neben Unterscheidungen auch Übereinstimmungen gibt, soll überhaupt nicht bestritten werden. Ganz im Gegenteil: Es gibt politisch-ideologische Gemeinsamkeiten, die sowohl die NPD als auch »Pro Deutschland« als gleichermaßen rechts, und damit im Kern antidemokratisch, qualifizieren. Hiermit sind jedoch im Einzelnen verschiedene Grundannahmen und Zielvorstellungen verbunden.

F: Obwohl das Gros der rechtspopulistischen Parteien bemüht ist, sich in der Öffentlichkeit ein bürgerliches Antlitz zu verleihen, waren nicht wenige Funktionäre zuvor in neofaschistischen Parteien aktiv oder pflegten intensive Kontakte zu diesen. Wie glaubwürdig sind die Distanzierungen etwa der Führungskader von »Pro Deutschland« nach ganz rechtsaußen?

Sie sind insofern glaubwürdig, als man die genannten Strategiewechsel und ideologischen Veränderungen, auch in der politischen Auseinandersetzung, ernst nehmen muß. Unglaubwürdig sind sie natürlich dann, wenn suggeriert werden soll, daß man mit der extremen Rechten nichts zu tun hat. Ein Beispiel hierfür ist ein Interview, das Manfred Rouhs von »Pro Deutschland« der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit im September 2011 gegeben hat. Der Interviewer spricht Rouhs unter anderem auch auf die NPD-Vergangenheit einiger Mitglieder seiner Organisation an. Rouhs, der ja selbst eine Vergangenheit bei den »Jungen Nationaldemokraten« hat, spricht dann in der dritten Person von Menschen, die politische Irrtümer eingesehen hätten. Der Interviewer hakt allerdings auch nicht nach, scheint also entweder mitzuspielen oder nicht informiert zu sein.

F: Führende Köpfe von »Pro NRW« haben sich in der Vergangenheit für Israel und auch die Rechte von Lesben und Schwulen stark gemacht. Welche Strategie verfolgt die Partei mit diesen für die politische Rechte relativ ungewöhnlichen Positionierungen?

Kurz gesagt geht es darum, die bisher erkämpften Rechte von Homosexuellen rechts aufzuladen. Es wird suggeriert, daß diese Rechte von den sogenannten Unterprivilegierten und Migranten bedroht werden. Der Westen als ideologisches Konstrukt steht dann als moralisch überlegen da. Reale Emanzipation ist also keineswegs das primäre Antriebsmoment. Der Einsatz für Israel folgt geopolitischen Erwägungen und sieht den Staat als Vorposten der »westlichen Welt« im Nahen Osten. Die Rechte stilisiert die Auseinandersetzungen dort dann zu einem zwischenstaatlichen Kulturkampf.

F: In der Schweiz und Österreich sind rechtspopulistische Parteien – Stichwort SVP und FPÖ – deutlich erfolgreicher als in der Bundesrepublik. Die deutschen Rechtspopulisten sind bemüht, die Zusammenarbeit mit diesen zu intensivieren. Droht hier eine Art »rechtspopulistische Internationale«?

Bisher sind noch die allermeisten Versuche einer längerfristigen organisierten internationalen Kooperation von rechtsaußen gescheitert. Die ohnehin bestehenden Kontakte zwischen einzelnen Parteien über Ländergrenzen hinweg konnten bis dato auf keine höhere Stufe, etwa in Form eines europäischen Parteienzusammenschlusses, gehoben werden. Das liegt zum einen an unterschiedlichen Führungsansprüchen. Zum anderen spielt aber auch eine Rolle, daß verschiedene Verständnisse von Seriosität existieren. Es »schickt« sich aus Sicht der einen Rechtspartei nicht, mit einer bestimmten anderen in Verbindung gebracht zu werden.

Jüngst hat auch der Niederländer Geert Wilders einige Absagen einfahren müssen bei seinem Versuch, eine Allianz der rechten Europa-Kritiker für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 zu schmieden. Zur Zeit gibt es im EU-Parlament eine Gruppe namens »Europa der Freiheit und der Demokratie«. Sie umfaßt unter anderem die dänischen, die finnischen und Teile der italienischen Rechtspopulisten. Bedeutende Parteien wie die FPÖ oder der Front National fehlen dort aber. Inwieweit die Rechtspopulisten darüber hinaus etwa eine gemeinsame Plattform zu den Wahlen vorlegen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer zu sagen. Entsprechende Resonanz in den Medien könnte ein solcher Zusammenschluß aber in jedem Fall erwarten. Ich vermute, daß die potentiellen ausländischen Partner versuchen, vor allem solche Akteure in Deutschland in eine Kooperation einzubinden, von denen sie sich erfolgreiche Wahlergebnisse und öffentlichen Widerhall versprechen.

Interview: Markus Bernhardt

Im Kölner PapyRossa-Verlag erschien von Phillip Becher in der Reihe »Basiswissen« der Band »Rechtspopulismus« (123 Seiten, 9,90 Euro)

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. November 2013 (Beilage)


Zurück zur Seite "Rassismus, rechtsradikalismus, Rechtspopulismus"

Zurück zur Homepage