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Verdinglichte Sühne

Von Interessen und Befindlichkeiten. Anmerkungen zu den deutsch-israelischen Beziehungen

Von Moshe Zuckermann *

Das von Deutschen an Juden im 20. Jahrhundert Verbrochene hat die Beziehungen zwischen beiden Kollektivitäten seit 1945 nachhaltig geprägt. Die Feststellung ist trivial: Zu erdrückend das Grauen des »Zivilisationsbruches«, zu unfaßbar »das schwarze Loch Auschwitz«, als daß es anders hätte sein können. Die Ohnmacht der Begriffslosigkeit fürs präzedenzlose Ereignis griff indes so sehr um sich, daß die Monstrosität des jüngst Geschehenen zunächst von beiden Kollektivitäten weitgehend beschwiegen wurde. Ob dies Beschweigen seine Notwendigkeit darin hatte, daß es für Überlebende wie Täter möglicherweise zu früh war, sich dem Unfaßbaren zu stellen, muß hier unerörtert bleiben. Psychisch – auch kollektivpsychisch – ist durchaus nachvollziehbar, daß der »Neubeginn« für Täter und Opfer, das Aufschlagen einer »neuen Seite« im je eigenen Leben als Individuen oder als Gesellschaft, mit einer zumindest temporären Geschichtsvergessenheit einherging. Das muß man nicht goutieren, um es dennoch begreifen zu können.

Über diese elementare Einsicht hinaus ist allerdings bis heute unreflektiert geblieben, daß die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen seit 1945 einem spezifischen Tabu unterworfen wurden, namentlich dem eines für moralisch ausgegebenen Paradigmas. Das mag sich zunächst selbstverständlich ausnehmen: Wo die historische Rollenverteilung von Tätern und Opfern so eindeutig in Erscheinung getreten war, wo die von Menschen an Menschen begangenen Gewaltverbrechen so unerhört gewesen waren, zwingt sich die Sinnwelt von Schuld, Schuldzuweisung und Schuldbekenntnis nachgerade von selbst auf. Und doch darf in Zweifel gezogen werden, daß Moral der Auseinandersetzung mit der Unsäglichkeit von Auschwitz je adäquat war. Nicht von ungefähr hat gerade Adorno, der den neuen kategorischen Imperativ für die Menschen »nach Auschwitz« formulierte – »ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe« –, die diskursive Begründung dieses Postulats infrage gestellt, indem er aufs Geistferne, den »unerträglichen physischen Schmerz«, verwies, und Moral, wenn überhaupt, nur im Abscheu vor diesem, also im schieren Materiellen, zulassen wollte: »Nur im ungeschminkt materialistischen Motiv überlebt Moral«. Das hatte viel mit der Forderung einer Einrichtung von Gesellschaft, in der die sozialen Strukturen von Herrschaft und Gewalt historisch überwunden wären, zu tun. Was aber konnte dies für die konkrete Beziehung zwischen Deutschen und Juden »nach Auschwitz« bedeuten? Welche andere Maßgabe durfte man ihr entnehmen, als die triviale, daß Juden von deutscher Hand kein Leid mehr widerfahren dürfe? Und weil die Banalität dieser Konsequenz zum Himmel schrie, der Beginn der »Aufarbeitung der Vergangenheit« zudem noch in weiter Ferne lag, tabuisierte man das Moralische, indem man es im Dunstbereich des Unberührbaren, mithin Unreflektierbaren beließ, »die Juden«, die ja aus Deutschland verschwunden waren, abstrahierte und die Beziehung zu ihnen auf eine Ebene lenkte, die sich im Wortsinne auszahlte.

Pekuniärer Tauschvertrag

Die 1948 erfolgte Errichtung Israels als Judenstaat spielte in diesem Zusammenhang eine gravierende Rolle. Daß die BRD diese nationale Neugründung als Partner zur Aushandlung eines Tauschwerts für das zu »bewältigende« historische Grauen auserkor, galt von Anbeginn als unhinterfragbar. Der bedenkenswerte Umstand, daß es sich bei Israel um einen Staat handelte, der zur Zeit des Menschheitsverbrechens noch gar nicht existiert hatte, fern von den Orten der Verbrechen errichtet wurde und nachmals nur einen Teil der überlebenden Opfer zu seinen Bürgern zählen sollte, wurde von der geschichtsträchtigen zionistischen Deutung des Gründungsaktes als Erschaffung einer nationalen Zufluchtsstätte für das verfolgte jüdische Volk, dessen historische Leiderfahrung in Auschwitz zur Kulmination gelangt war, ideologisch verschlungen. Die Shoah hatte sozusagen den empirischen »Beweis« für die Berechtigung des zionistischen Postulats einer Aufhebung allen jüdischen Lebens in der Diaspora erbracht, mithin die Ausrufung eines Judenstaates zur geschichtlichen Notwendigkeit werden lassen.

Ob der Zionismus im nachhinein seiner historischen Mission gerecht geworden ist, soll hier nicht erörtert werden; 60 Jahre israelischen Bestehens lassen im Hinblick darauf zunehmend Bedenken aufkommen. Als klar dürfte hingegen gelten, daß die 1952 abgeschlossenen Abkommen zwischen dem westdeutschen Staat und Israel zunächst und vor allem auf eine Materialisierung der Sühne hinausliefen. Daß sich Nachkriegsdeutschland dabei im moralischen Schein vermeintlicher »Wiedergutmachung« sonnen durfte, ist die eine Sache; daß der Judenstaat sich darauf einließ, die andere. Bedenkt man zudem, daß das selbst noch vielerorts in Ruinen liegende Deutschland gar nicht so sehr erpicht darauf war, »das viele Geld« zu zahlen, und daß die Annahme des pekuniären Handels auch im öffentlichen Diskurs der jungen israelischen Gesellschaft mitnichten glatt verlief (Ben-Gurion sah sich gar genötigt, seinen Verhandlungspartner als ein »anderes Deutschland« zu preisen), erhebt sich doch die Frage, wie es dazu kam, daß das Land der Täter, welches Auschwitz verbrochen hatte, und das Land der Opfer, das sich als Zufluchtsstätte aller verfolgten Juden der Welt verstand, ganze sieben Jahre nach der Befreiung von Auschwitz zu einem solchen Tauschvertrag gelangten.

Mit Moral hatte dies nur in einem zynischen ideologischen Sinne etwas zu tun. Denn was auf der Tagesordnung stand, war die im Rahmen des ausgebrochenen Kalten Krieges zu befestigende Neuordnung der Welt und die mit dieser neuen Weltteilung einhergehende Ortsbestimmung Deutschlands, welches es freilich alsbald zweifach geben sollte. Einzig aus diesem geopolitischen Zusammenhang ist zu erklären, daß nicht Henry Morgenthaus Vision, Deutschland zum Agrarland degenerieren zu lassen, sondern George C. Marshalls Plan, dem westlich besetzten Deutschland wirtschaftlich wieder zum Aufschwung zu verhelfen, Gehör und Aufnahme fand. Die westdeutsche Republik sollte als Bastion des Westens gegen den expandierenden Kommunismus errichtet und gestärkt werden. Mit dieser Funktionalisierung Deutschlands im Kontext der Konsolidierung des globalen Blocksystems ging allerdings einher, daß das jüngst erst als Naziregime zusammengebrochene Deutschland wieder als geläutertes in die »Völkergemeinschaft« aufgenommen werden mußte, was – abgesehen von diversen »Entnazifizierungs«-Maßnahmen und anderen äußeren Purifizierungspraktiken – nicht zuletzt auch mit dem staatsoffiziellen Willen zur »Wiedergutmachung« des an den Juden Verbrochenen demonstriert werden sollte. Der gerade zu jenem Zeitpunkt gegründete Judenstaat bot sich dafür wie von selbst an. Abgesehen von den privaten »Entschädigungen« konnte an ihm das Verlorene abbezahlt werden.

Israels objektive Abhängigkeit

Und Israel? Wie reagierte das Land, das aus der Shoah entstanden war? Nun, Israel konnte das Geld nur zu gut gebrauchen. Eine bald schon einsetzende Masseneinwanderung (vor allem aus den orientalischen Ländern), die Notwendigkeit, schnellstmöglich eine Infrastruktur für das zivile Leben zu schaffen, nicht minder aber auch der Bedrohung durch die feindlichen arabischen Nachbarländer mit der Bildung einer schlagkräftigen Armee zu begegnen, steigerten Israels objektiv vorgegebene Abhängigkeit von massivem Kapitalimport zur akuten Krise, die ihre katastrophale Wirkung auch auf die schiere Existenzfähigkeit des Landes haben mochte. Es ist, so besehen, nachvollziehbar, daß Ben-Gurion pure Zweckrationalität walten ließ und sich weder von den emphatischen Demonstrationen gegen die Abkommen auf seiten der rechten Revisionisten der israelischen Politlandschaft, Begins Cherut-Partei, noch von den lautstarken Protesten der sozialistischen Zionisten und antizionistischen Kommunisten beirren ließ. Die Finanzierung des zionistischen Staatsprojekts mußte für ihn, den Gründer und führenden Staatsmann Israels jener Jahre und pragmatischen Führer einer aktivistischen politischen Tradition, den absoluten Vorrang vor jedweder moralischen Erwägung wahren.

Nur verständlich also, daß man sich beidseitig auf den Handel einließ: Deutschland zahlte, und Israel ließ sich bezahlen. In der spezifischen Konstellation jener Tage war besagte Instrumentalisierung von Vergangenem für ein Gegenwärtiges, das sich dem jüngst Geschehenen zu entschlagen suchte, vielleicht sogar unumgehbare Notwendigkeit. Zu verurteilen war dies nur sehr bedingt. Nur muß man sich dabei stets klar vor Augen halten, daß das, was als Basis der Beziehung beider Staaten gelegt worden war, mutatis mutandis auch das Grundmuster für die folgenden Jahrzehnte geschaffen und verfestigt hat. Beziehungen, die auf zweckrationalem Tausch basieren und objektiv vorherrschende Ressentiments, Mißtrauen und Haß bewußt in Klammern setzen, dürfen nicht als etwas apostrophiert sein, was sie nicht sind und vielleicht über viele weitere Jahrzehnte nicht sein werden: Sie haben nichts mit Moral zu tun, sondern nur mit ihrer Ideologisierung und der Verdinglichung von Schuld, Schande und Scham durchs Tauschprinzip, das tendenziell alles austauschbar werden läßt. Wenn also die deutsche Kanzlerin im Jahre 2008 vor der israelischen Knesset proklamiert, die historische Verantwortung, mithin Israels Sicherheit, sei Teil der Staatsräson ihres Landes, dann stimmt das insofern, als dieses Ideologem in der Tat die Politrhetorik (West)deutschlands in den letzten 60 Jahren bestimmte, ist aber im übrigen hohles Gerede: Deutschland hat die Möglichkeit, seine historische Verantwortung (Juden gegenüber) zu bezeugen, sechsmillionenfach verwirkt; es kann (an Juden) nichts »wiedergutmachen«, schon gar nicht, wenn es meint, »Juden« mit »Israel« gleichsetzen bzw. umtauschen zu dürfen. Was Deutschland kann, ist, funktionale bilaterale Beziehungen zu Israel unterhalten, wobei noch zu erörtern wäre, was für ein »Israel« in diesem Zusammenhang gemeint ist: das reale Israel, das unter anderem seit über vierzig Jahren ein brutales Okkupationsregime betreibt, mithin von großen Widersprüchen und Zerrissenheiten durchsetzt ist, oder das »Israel«, das sich abstrakt aus der »historischen Verantwortung« (den »Juden« gegenüber) ableitet, daher auch als Abstraktes zur Projektionsfläche für Befindlichkeiten von Deutschen, die mitunter noch immer nicht wissen, wo sie mit der »Dauerpräsentation unserer Schande« (Walser) hin sollen, gerät.

Regressive Reaktionen

Das will mitnichten besagen, daß es keine alternative, kleininstitutionelle, private und individuelle Auseinandersetzungen mit der verbrecherischen deutschen Vergangenheit und den aus ihr bezogenen Moralkategorien gegeben habe. Die nicht zuletzt lebensweltlich bedeutende historische Leistung von »Aktion Sühnezeichen« soll nicht in Abrede gestellt werden. Ja, man kann durchaus auch die zentrale Ausrichtung der massenbewegten studentischen Revolten in der BRD der 1960er Jahre dazu zählen (zumindest die Fragen, die man diesbezüglich an die wirtschaftswunderlich »normalisierte« Generation der Eltern zu stellen wagte). Aber selbst die ehrlich Bemühten und Wohlmeinenden kamen nicht aus dem Zirkel des in den Anfangsjahren Israels und Westdeutschlands richtungsweisend etablierten Musters von zweckrationalem Tausch, befindlichkeitsgesteuerter Projektion und zu starrer Ideologie verkommener Moral heraus. Und wenn heute sogenannte Antideutsche glauben, ihre nationalen Identitätsprobleme als in Deutschland lebende Deutsche durch eine überspannte »Israel-Solidarität«, abstruses Schwenken von Israel-Fahnen und sonstiges ideologisches Getue, das durch ein falsch verstandenes Nie-wieder-Deutschland über »Israel« an den »Juden« etwas historisch »wiedergutzumachen« vermeint, überwinden zu können, dann sind das im besten Fall gutwillige Ignoranten, im großen Ganzen aber doch eher Gesinnungsschmarotzer, die ihr unreflektiertes Identitäts- und Befindlichkeitsdefizit in eine moralisch sich wähnende, letztlich regressive politische Reaktion kanalisieren, ohne sich bewußt zu werden, daß sie durch die Ersetzung des Antisemitismus durch Islamophobie gerade das Andenken jener mißbrauchen und kontaminieren, in deren Namen sie meinen, sprechen zu dürfen und derer sie sich projektiv bedienen, um sich selbst zu setzen.

Aber in Deutschland tobt doch wieder der Antisemitismus! – hört man die Empörung aus ihren Reihen schallen. Wobei man freilich bei ihrer Verwendung des Begriffs »Antisemitismus« unwillkürlich an Charlie Chaplin gemahnt wird, der in »Der große Diktator«, Hitlers rhetorisches Gehabe karikierend, beim Wort »die Juden«, welches er gerade selbst ausgesprochen und sich vorgegeben hat, in einen überschäumenden Tobsuchtsanfall gerät. Um es vorweg klarzustellen: Antisemitismus hat es in der alten Bundesrepubik wie im nunmehr vereinten Deutschland immer gegeben. Er tobt nicht wieder, vor allem aber tobt er nicht, sondern hält sich eben in den Grenzen jener offenbar unausrottbaren Dimension, die es ihm ermöglicht fortzuwesen, ohne aber einem einzigen in Deutschland lebenden Juden in den Sinn kommen zu lassen, Deutschland seinetwegen verlassen zu wollen. Ganz im Gegenteil hat sich die Anzahl der Juden in Deutschland seit Zusammenbruch des Sowjetkommunismus in den letzten achtzehn Jahren vermehrfacht.

Abgekartetes Spiel

Antisemitismus in diversen Formen gibt es in Deutschland, aber er ist ein gezügelter, weil tabuisierter Antisemitismus. Will man sich mit einem realen sozialen, freilich nicht nur Deutschland betreffenden Problem auseinandersetzen, so wären die gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Zusammenhänge der in Deutschland grassierenden Fremdenfeindschaft (samt der ihr inhärierenden rassistischen Tönungen) zu konfrontieren. Wenn nun aber der Bundestag meint, einen besonderen Antisemitismus-Beauftragten einsetzen zu sollen, dann scheint dies mit vielerlei zu tun zu haben, nur nicht mit einer vom real herrschenden Antisemitismus ausgehenden Bedrohung, geschweige denn mit einer ernstzunehmenden Absicht, diese zu bekämpfen. Denn der Antisemitismus läßt sich weder in Deutschland noch sonstwo in der Welt administrativ, mithin durch einen offiziell vollzogenen Verwaltungsakt, angehen. So wie sich das Stammtischgedröhn stets einen feuchten Kehricht um anti-antisemitische Gutmenschlichkeit deutscher Bürger geschert hat, so wird der latente oder auch manifeste Antisemitismus seine miese Fratze zu wahren wissen, ohne sich mit seinem bürokratisch-legalen Verbot anzulegen.

Indes, selbst die beabsichtigte Antisemitismus-Resolution des deutschen Bundestags fördert zutage, wes Geistes Kind hier am Walten ist und welche fremdbestimmten Motive die vermeintlich resolute politische Tathandlung antreiben: Bedrohung der Juden schon, Antisemitismusbekämpfung auch, aber doch nicht so sehr, daß man sich überwinden könnte, die Beteiligung der Linksfraktion an einer parteiübergreifenden Initiative zuzulassen. Antisemitische Kräfte gebe es in der Linkspartei, tönt es aus den Reihen der CDU. Gysi zeigt sich enttäuscht über das Verhalten von SPD, FDP und den Grünen. Und er hat allen Grund dazu: Haben nicht gerade er und andere führende Personen seiner Fraktion in den letzten Monaten den linken kritischen Kurs in der Nahost- bzw. Israelfrage zu moderieren, wenn nicht gar gänzlich zu entsorgen gesucht? Hat nicht gerade er die Einsicht bezeugt, daß man keinen Einzug in den gesamtdeutschen Konsens erhoffen darf, wenn man nicht die Hürde dezidierter Israel-Solidarität nimmt und letztere wortstark und gesinnungsgestählt proklamiert? Beim Antrag geht es zwar um die Antisemitismusbekämpfung in Deutschland, aber ausdrücklich wird in ihm zugleich – wie selbstverständlich – die Solidarität mit Israel als »unaufgebbarer Teil der deutschen Staatsräson« hervorgehoben. »Wer an Demonstrationen teilnimmt, bei denen Israel-Fahnen verbrannt und antisemitische Parolen gerufen werden, ist kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Die Solidarisierung mit terroristischen und antisemitischen Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah sprengt den Rahmen zulässiger Kritik an der israelischen Politik.«

Verabschiedet werden sollte der Antrag bekanntlich vor dem 9. November, dem 70. Jahrestag der Pogromnacht, und so wird – deutschbefindlich wie eh und je – alles mit allem vermengt, ersetzt und ausgetauscht. Denn wenn der Antisemitismus so virulent ist, bedarf seine Konfrontation keines staatstragenden geschichtlichen Datums. Geht es aber um die Symbolhandlung geschichtlichen Gedenkens, dann hat die krämerische parteipolitische Rangelei zu verstummen. Aber es geht eben weder ums eine noch ums andere, weder um die Bekämpfung des Antisemitismus noch um die Erinnerung an mörderische Gewalt und historische Leiderfahrung – um alte Abrechnungen der Rechtskonservativen mit »den Linken« geht es auf der einen Seite, und um die Eroberung eines legitimen Platzes am nationalen Stammesfeuer Deutschlands auf der anderen. Und was eignete sich dafür besser, als »Antisemitismus« und »Israel«, unabhängig davon, was diese Begriffe mittlerweile bezeichnen und beinhalten, zum bestgeprüften Kriterium deutscher Staatsräson avancieren zu lassen. Es gab Zeiten, in denen es Altkommunisten noch zur Ehre gereicht hätte, von der raunenden CDU ausgegrenzt zu werden. Die Zeiten sind vorbei. Die CDU setzt sich selbst, indem sie die Linkspartei ausgrenzt, und die Linkspartei gibt sich offizieller Gekränktheit darüber hin, daß sie konsensuell ungeliebt bleibt – ein abgekartetes Spiel, bei dem die Rollenverteilung von vornherein festgelegt und bekannt ist.

Anmaßung der CDU

Was aber hat die Pogromnacht von 1938 (in Israel ein eher unterbelichtet gebliebenes Geschichtsereignis) mit dem heutigen Antisemitismus zu tun? Will man allen Ernstes behaupten, es bestehe eine von der »Reichskristallnacht« über Auschwitz bis zum Antisemitismus heutiger Couleur führende lineare Verbindung? Will man wirklich suggerieren, die Verbrennung israelischer Fahnen durch Hamas- und Hisbollah-Anhänger ließe sich auch nur entfernt mit den Exzessen vom November 1938 vergleichen? Weiß man in Deutschland wirklich nicht, daß der Rassenantisemitismus der NS-Faschisten, der in Deutschland fortwesende Antisemitismus im Jahre 2008 und der (eventuell auch antisemitisch durchsetzte) Antizionismus der Hamas und der Hisbollah aus grundverschiedenen historischen Konstellationen und Kontexten erwachsen sind? Ist man mit der Banalisierung von Auschwitz (und selbst noch des organisierten Pogroms von 1938) inzwischen schon so weit, daß der aktionistische Politfurz einer Verbrennung der (israelischen) Nationalfahne zum Kriterium gedenkender Geschichtserinnerung, welches sogar in eine staatsoffizielle Resolution gegen den Antisemitismus Eingang finden soll, erhoben wird?

Wer noch immer nicht den Unterschied zwischen Judentum, Zionismus und Israel, mithin zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik begriffen hat, wird zwangsläufig miteinander vermengen, was auseinandergehalten gehört. Israel führt einen erbitterten Kampf gegen Hamas und Hisbollah; dieser hat seinen historischen Ursprung sowie seine aktuelle Begründung in der nahöstlichen Geopolitik und im israelisch-palästinensischen Konflikt, nicht im Antisemitismus als solchem, schon gar nicht in einem dem abendländischen vergleichbaren Antisemitismus. Traditionell war der Antisemitismus primär Erbteil rechter politischer und sozialer Gesinnung; es gab ihn zwar auch in der Linken, aber in keinem mit dem, was er im »Nationalsozialismus« an Verbrechen gezeitigt hat, annähernd vergleichbaren Ausmaß. Die CDU, unter deren Regime während der restaurativen Adenauer-Ära der 1950er Jahre beträchtliche Teile der wirtschaftlichen, politischen und akademischen Eliten des NS-Faschismus gleitend in die »Normalität« der alten BRD übergehen durften, ist die letzte Partei, die es sich leisten kann, linke Institutionen von der Unterzeichnung einer, wie immer gearteten, Resolution zur Bekämpfung des Antisemitismus auszugrenzen. Eine solche Resolution ist kein geeignetes Forum für das ideologische Nachspiel einer anachronistischen Spätaufarbeitung der Teilung Deutschlands. Vor allem aber sollten sich resolutionsfreudige Deutsche davor hüten, ihre befindlichkeitsgeschwängerte Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus über ein fetischisiertes »Israel«-Bild und eine interessengeleitete Abstraktion von Juden und Zionismus zu betreiben. Allzu leicht könnten sie sich (wieder einmal) in jenem sich seit 60 Jahren reproduzierenden ideologischen Muster verfangen, welches weder zum Besten der Juden noch zu dem des realen existierenden Israel gereicht.

* Der Soziologe Prof. Moshe Zuckermann lehrt seit 1990 am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (Universität Tel Aviv) und war von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm »Zeit der Lemminge. Aphorismen«, Passagen Verlag, Wien 2007, 144 S., 16,90 Euro (dieser und andere Titel des Autors auch im jW-Shop erhältlich)

Aus: junge Welt, 29. November 2008



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