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Einfach nur nützlich

Auf der Suche nach Götz Alys "neidischen" Antisemiten

Von Wolfgang Dreßen *

Nicht erst seit 1999, als Auschwitz dazu herhalten mußte, die deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen, wird der Nazismus dankbar instrumentalisiert. Mit »Warum die Deutschen? Warum die Juden?« hat Götz Aly die neueste Form gefunden, den Holocaust zur Rechtfertigung ökonomischer und politischer Interessen zu benutzen. In Zeiten der »Neiddebatte« warnt er die »zu kurz Gekommenen« vor ihren sozialen Ansprüchen. Im Resümee seines Buches erklärt er Auschwitz mit einer »Ursünde«: »Kain erschlug seinen Bruder Abel, weil er sich von Gott zurückgesetzt und ungerecht behandelt fühlte. Der erste Mord der Menschheitsgeschichte geschah aus Neid und Gleichheitssucht. Die Todsünde des Neides, kollektivistisches Glücksstreben, moderne Wissenschaft und Herrschaftstechnik ermöglichten den systematischen Massenmord an den europäischen Juden.«

Wie von der FDP

Jetzt sollen wir also wissen: Sozialer Neid und Vorstellungen von einem kollektiven Glück führen nach Auschwitz. Den Kernsatz seines Buches könnte Aly aus einem FDP-Programm abgeschrieben haben: »Neid zersetzt das soziale Miteinander«.

Er hat ein Geschichtsbuch für die heutzutage durchökonomisierten Bildungsanstalten geschrieben nach dem Motto: Wer sich anpaßt, gute Noten liefert und einen auskömmlichen Job ergattert, der wird auch kein Antisemit.

Aly stützt sich in seiner Neidargumentation auf die antisemitischen Bewegungen seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Juden wären nach ihrer Emanzipation besonders erfolgreich gewesen und hätten den Neid der übrigen Deutschen geweckt. Wieso aber richtete sich dieser Neid nicht gegen die »deutschen« Unternehmer? Hier hätte Aly das Konstrukt völkischer Befreiung gegen den »Westen«, besonders gegen die Französische Revolution, analysieren müssen. Bekanntlich wurde die bis 1871 unerreichte deutsche Einheit vor allem als völkische Einheit, basierend auf einer mythologisierten Volksgeschichte bis hin zu den Germanen, verstanden. Deshalb warnten die Antisemiten vor den »nicht deutschen« Reichen und versuchten damit gleichzeitig, die »deutsche Arbeit« der Krupp und Co. zu legitimieren.

Ideologisch war nicht der soziale Protest das Problem, wie Aly unterstellt, sondern der völkische Mythos, der eine gesellschaftliche Identität konstruieren half, die die Klasseninteressen verschleierte: »Staatsbürgertum ohne völkische Verpflichtung bedeutet nationalen Untergang« lautete beispielsweise der Titel eines Aufsatzes eines antisemitischen »Wissenschaftlers« in den Schulungsbriefen der Nazis. Zitiert wird er von Horst Junginger in seinem Buch über die »Verwissenschaftlichung der ›Judenfrage‹ im Nationalsozialismus«, das bereits im Februar erschienen ist.

Junginger analysiert die christlichen Wurzeln des sich wissenschaftlich gebenden Antisemitismus; die religiöse Abgrenzung von den Juden entwickelt sich über den Reinheitsmythos eines »unvermischten« Lebens bis zu den Vorstellungen »gesunder« Erbanlagen. Die völkische Einheit ist eine Projektion eines säkularisierten Christentums, jede Gefährdung solcher »Einheit« wurde als tödliche Bedrohung wahrgenommen. Deshalb waren Antisemiten zugleich immer auch Antikommunisten, wie Horst Junginger zeigt. Organisatorischer Vorläufer des »Instituts zum Studium der Judenfrage« war der »Gesamtverband deutscher Antikommunistischer Vereinigungen«. Einer der Organisatoren, Eberhard Taubert, schrieb 1940 das Drehbuch für den Hetzfilm »Der ewige Jude«. Nach dem Krieg wurde er Mitarbeiter der »Organisation Gehlen« und entwarf das berühmte Wahlplakat der CDU mit dem Slogan »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau«.

Profit und Holocaust

Nicht der Neid der »zu kurz Gekommenen« steckt hinter dem deutschen Vernichtungsantisemitismus, wie Götz Aly unterstellt, sondern das sich über völkische Mythen begründende Herrschafts- und Profitinteresse. Eben dieses Interesse hat Diarmuid Jeffreys in seinem Buch »Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben«, das im Mai erschienen ist, untersucht.

Die Herren der Industrie brauchten gar keine ausgesprochenen Antisemiten zu sein, um den Holocaust mit zu organisieren, ganz zu schweigen von einem etwaigen Sozialneid, von dem Aly fabuliert. Für das Kapital war der Antisemitismus einfach nur nützlich. Fritz ter Meer, Mitglied des Vorstands der IG Farben und 1948 als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt (von denen er nur fünf absaß) und ab Mitte der 50er Jahre Aufsichtsratvorsitzender der Bayer AG, erschien die Nazipartei als Pöbel, er hätte keine Lust gehabt, »auf Versammlungen meines Ortvereins Vorträge von Leuten anzuhören, die gesellschaftlich weit unter mir standen«. Das hatte ihn allerdings nicht daran gehindert, aktiv an der Standortsuche für das »KL« Auschwitz mitzuwirken und in diesem Komplex Monowitz, ein werkeigenes Konzentrationslager, zu errichten, alles eine Frage der »Kosteneffizienz« und der »Auftragslage«. Jeffreys schreibt: »Die IG-Aufseher trieben in ihrer Terminnot die erschöpften und ausgemergelten Häftlingsarbeiter ohne Erbarmen immer schärfer an und verwandelten so (…) Monowitz in eine Hölle auf Erden.« Jeffreys erzählt auch, wie sich die Mitglieder des früheren IG-Farben-Vorstands 1959 zu einem festlichen »Wiedersehensbankett« trafen: »Den ganzen Abend lang (…) Wein, Kameradschaft und gute Laune.«

»Modell Auschwitz«

In Auschwitz waren auch Facharbeiter der IG Farben beschäftigt. Waren sie die neidischen Antisemiten, von denen Götz Aly schreibt? Bei der Antwort auf diese Frage hilft das letztes Jahr erschienene Buch von Annegret Schüle »Industrie und Holocaust. Topf&Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz«. Dieser Erfurter »Familienbetrieb« baute seit 1878 Öfen. 1939 erweiterten sich die Geschäftsmöglichkeiten. Die Firma entwarf einen »fahrbaren, ölbeheizten Topf-Einäscherungsofen«, der im KZ Buchenwald im Probebetrieb aufgestellt wurde. Ein Häftling aus Buchenwald anschließend: »Den Vertretern der Firma (…) war bekannt, daß diese fahrbaren Krematorien zur Liquidierung von ganzen Gemeinden in Polen bestimmt sind. Sie haben die Kapazitätsberechnungen durchgeführt.«

Nachdem die Öfen auch in Auschwitz verwendet wurden, bezeichnete sie die Firma als »Modell Auschwitz«. 1942 hatte die Firma das Patent für den »kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb« angemeldet. Firmenmitarbeiter überwachten vor Ort Aufstellung und Betrieb. Auch entwickelten sie Entlüftungsanlagen für die Gaskammern. Antisemitische Äußerungen der Angestellten sind nicht bekannt, wohl aber genaue Lohnabrechnungen. Schüle berichtet über einen solchen Angestellten in Auschwitz: »Während er die Technik für den schnellen Erstickungstod von Hunderttausenden installierte, häufte Messing in sieben Tagen 35 Überstunden an, die er säuberlich vermerkte.« Der antisemitische Vernichtungszweck wurde von den Angestellten »pflichtgetreu« geleistet, er war unhinterfragter Teil ihres Arbeitsalltags.

Neidische Antisemiten? In der faschistisch-»deutschen« Wissenschaft suchten säkularisierte Christen nach dem »reinen Blut«, die IG Farben häufte ihre Profite an und die Angestellten von Topf&Söhne machten ihre Arbeit. In der von den Nazis inszenierten »Volksgemeinschaft« gab es offiziell keine Klasseninteressen. Haß und Verfolgung trafen die Menschen, die an die Lüge erinnerten. Dafür standen Kommunisten, Sozialdemokraten und Anarchisten. Juden waren ununterscheidbar und sollten doch verschieden sein. Ein willkommener Grund, warum trotz aller Bemühungen um »Volksgemeinschaft« das allgemeine Glück nicht gelang.
  • Götz Aly: Warum die Deutschen? Warum die Juden? - Gleichheit, Neid und Rassenhass. Fischer, Frankfurt/Main 2011, 352 Seiten, 22,95 Euro
  • Horst Junginger: Die Verwissenschaftlichung der »Judenfrage« im Nationalsozialismus, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, 480S., 55,90 Euro
  • Diarmuid Jeffreys: Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben, Karl Blessing, München 2011, 688 S., 34,95 Euro
  • Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf&Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz, Wallstein, Göttingen 2010, 464 S., 29,90 Euro
* Aus: junge Welt, 19. Oktober 2011


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