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"Wir haben Grund, stolz auf unsere Tradition zu sein"

Vor sechs Jahrzehnten wurde die Fédération Internationale des Résistants gegründet. Jubiläumsfeier in Wien. Gespräch mit Ulrich Schneider *

Dr. Ulrich Schneider ist Generalsekretär der Fédération Internationale des Résistants – Association antifasciste (Internationale Förderation der Widerstandskämpfer – Bund der Antifaschisten).

Die Fédération Internationale des Résistants (FIR) besteht seit 60 Jahren und hat vor wenigen Tagen in Wien mit mehr als 130 Delegierten und Gästen ihr Gründungsjubiläum gefeiert. Welche Rolle spielt der antifaschistische Kampfverband heute noch? Viele der ehemaligen Widerstandskämpfer sind ja bereits tot.

Zunächst wollen wir das politische Vermächtnis der ehemals Verfolgten und der Kämpfer gegen den Faschismus bewahren und an kommende Generationen weitergeben: »Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg«. Weiterhin versuchen wir, unsere Erkenntnisse zu vermitteln, wie man den Faschismus verhindern und bekämpfen muß.

Die FIR bezeichnet sich als »antifaschistischer Kampfverband mit langer Tradition«. Schaut der Verband nur auf eine kämpferische Tradition zurück, oder ist er es heute noch?

Natürlich haben wir Grund, stolz auf unsere Tradition zu sein. Die FIR ist in der Zeit des Kalten Krieges gegründet worden und hat auch den Dissens überstanden zwischen Verbänden, die eher kommunistisch orientiert sind und solchen mit liberal-bürgerlicher Ausprägung. Natürlich sind wir historisch orientiert – aber nicht im Sinne von »früher war alles besser«. Wir stellen uns heute neuen Aufgaben. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Demokratie­feindlichkeit und Friedensgefährdung in vielen Teilen der Welt. In dieser Weise sind wir aktiv, gemeinsam mit den Partnern und Mitgliedsorganisationen, die wir in den verschiedenen Ländern haben.

Welche Themen stehen zur Zeit im Mittelpunkt?

Wir fragen uns etwa, wie wir der Rechtsentwicklung in Ungarn entgegenwirken können. Unsere dortigen Mitgliedsverbände berührt das existentiell, sie müssen sich gegen rechtspopulistische Politikkonzepte zur Wehr setzen. Eines der wichtigen Themen ist auch der Kampf gegen den Rassismus, der zur Zeit Sinti und Roma trifft, und das nicht nur in ungarischen, slowakischen und rumänischen Regionen: Auch unsere französischen Mitgliedsverbände haben damit zu tun.

Wir gehen dagegen an, daß jetzt insbesondere in Staaten der früheren Sowjetunion versucht wird, die Geschichte umzuschreiben, indem beispielsweise ehemalige faschistische Kollaborateure zu Freiheitskämpfern gemacht werden. Wir stellen klar: Diese Leute haben mitnichten für die angebliche Freiheit ihrer Nation oder ihres Volkes gekämpft, sondern sich an den Massenverbrechen der Nazis gegen Juden und Partisanen beteiligt. Nicht zuletzt wehren wir uns überall dort, wo Kriegspolitik den Frieden bedroht.

Werden Demokratiedefizite und Faschismusgefahr in der FIR generell mit antikapitalistischem Engagement in Verbindung gebracht?

Klar ist, daß diejenigen, die eine antikapitalistische Orientierung haben, integraler Bestandteil der FIR sind. Aber: Wie im antifaschistischen Kampf insgesamt muß das Bündnis so breit sein, daß unterschiedliche Politikkonzepte ihren Platz finden. Wir haben nicht nur Organisationen als Mitglieder, die den Kapitalismus als Ursache für die Entstehung des Faschismus sehen, sondern auch solche, die sich zunächst für den Erhalt von Demokratie und Freiheit einsetzen. Das ist das Besondere, das die FIR ausmacht: Zu unserer Gemeinschaft gehören Partner in 25 Ländern mit sehr verschiedenen Grundsätzen. Natürlich wird gestritten – aber dann heißt es: Jetzt müssen wir den gemeinsamen Kampf weiterführen.

So war es auch zur Wahl des neuen Präsidenten, bei der zugleich auch zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten zu entscheiden war. Die Konferenz hat sich mehrheitlich für ein breites Bündniskonzept ausgesprochen, das unser jetziger Präsident Vilmos Hanti vertritt. Unsere Freunde aus Griechenland hatten hingegen deutliche Kritik am Imperialismus formuliert und an der Rolle, die die Europäische Union dabei spielt, weil dies ursächlich für den Abbau von demokratischen Rechten und Freiheiten sei. Die Frage war: Wollen wir uns wirklich zum Ziel setzen, vorrangig den Internationalen Währungsfonds und die EU zu bekämpfen – oder haben wir andere Zugänge. Die Konferenz hat sich für letzteres entschieden.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2011


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