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US-Raketenabwehr vor dem Ende?

Pentagon-Gremium bezweifelt Effizienz der Pläne von Präsident Obama *

Der Wissenschaftsrat des US-Verteidigungsministeriums stellt die Effizienz der geplanten Raketenabwehr in Europa infrage. Das schrieb die Moskauer Zeitung »Kommersant«.

Pentagon-Experten befürchten dem Zeitungsbericht zufolge, dass die Abfangraketen dieses Systems nicht in der Lage sind, Raketen in den ersten Flugphasen abzuschießen. Das könnte US-Präsident Barack Obama dazu zwingen, seine Raketenabwehrpläne in Europa zu korrigieren.

In der vergangenen Woche hatte der Wissenschaftsrat einen Entwurf seines Berichts in den US-Senat eingebracht. Das Dokument ist großteils vertraulich, aber die Auskünfte der Experten schockierten die Senatoren.

»Alles, was uns bisher die Vertreter der Raketenabwehragentur sagten, war einfach nicht vertrauenswürdig«, erklärte Senator Richard Shelby (US-Bundesstaat Alabama) in einer Sitzung des Rüstungsunterausschusses. Shelby brachte seine »äußerste Enttäuschung« über den Bericht der Pentagon-Experten zum Ausdruck. »Man hat uns die ganze Zeit ein System aufgezwungen, das nicht funktioniert«, konstatierte er.

Die 2009 von Obama verkündete Raketenabwehrstrategie soll in vier Phasen von 2012 bis 2020 umgesetzt werden. Bis 2015 ist die Errichtung von Abwehrsystemen auf dem Festland geplant. Die Berichte der Raketenabwehragentur hatten das Weiße Haus zum Verzicht auf die bereits vorhandenen bodengestützten Abwehrsysteme GBI in Alaska und Kalifornien bewegt.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


Prager Lösung

Von Olaf Standke **

Dass sich die Regierung in Prag unlängst mit dem »großen Bruder« in Washington darauf geeinigt hat, das ursprünglich angestrebte Frühwarnzentrum für einen Raketenabwehrschirm endgültig zu den Akten zu legen, war eine weise Entscheidung. Nicht nur, weil sich 70 Prozent der Tschechen in Meinungsumfragen gegen eine solche Anlage in ihrem Land ausgesprochen haben. Die Begründung von Verteidigungsminister Alexandr Vondra, die Pläne seien »überholt«, könnte bald allgemeingültig werden. Denn selbst der Wissenschaftsrat des Pentagons stellte jetzt Sinn und Zweck des politisch ohnehin umstrittenen Raketenabwehrsystems der NATO in Europa infrage. Er bezweifelt, dass es technisch kann, was doch seine Hauptaufgabe sein sollte: anfliegende feindliche Raketen in den ersten Flugphasen abzuschießen. Ein Fiasko, das an USA-Präsident Roland Reagans hoch fliegende und später still und leise begrabene Sternenkriegspläne erinnert.

Im US-amerikanischen Senat, der den Report bestellt hatte, zeigte man sich schockiert. Alles, was die zuständige Raketenabwehragentur bisher präsentiert habe, erweise sich in diesem Licht als nicht vertrauenwürdig. »Man hat uns die ganze Zeit ein System aufgezwungen, das nicht funktioniert«, stellte Richard Shelby in einer Sitzung des Rüstungsunterausschusses empört fest. Und das zudem für neue Belastungen in den Beziehungen zu Russland sorgt und mit dem START-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen gleich noch einen der wenigen abrüstungspolitischen Erfolge der jüngeren Vergangenheit gefährdet. Das alles ruft nach einer Prager Lösung.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011 (Kommentar)


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