Schirm für Israel
Teheran kritisiert türkische Beteiligung an NATO-Raketenabwehr. Vorwurf der Ausspionierung iranischen Luftraums
Von Knut Mellenthin *
Iran hat seine Kritik an der türkischen Entscheidung, sich am »Raketenschirm« der NATO zu beteiligen, bekräftigt. In einem Interview mit der ägyptischen Tageszeitung Al-Akhbar sagte Präsident Mahmud Ahmadinedschad am Montag, die Zustimmung sei der Türkei von den USA »aufgenötigt« worden und schade ihren Interessen.
Die türkische Regierung hatte am 2. September bekanntgegeben, daß im Bezirk Kürecik eine Radaranlage stationiert werden soll, die Teil des NATO-Systems zur Raketenabwehr sein wird. Die Anlage soll Ende dieses Jahres betriebsbereit sein. Ahmadinedschad hatte schon Anfang Oktober kritisiert, daß das System Israel helfen würde, »falls sie militärisch gegen Iran vorgehen und wir mit Raketenangriffen zurückschlagen«.
Iranische Medien verurteilten die Entscheidung Ankaras zum Teil noch schärfer. So schrieb die Tageszeitung Jomhuri Islami: »Die Türkei glaubt, daß ihr diese Flexibilität auf lange Sicht zugute kommen könnte, aber das wirkliche Ziel der Stationierung des NATO-Radarsystems besteht darin, den iranischen Luftraum auszuspionieren und zu überwachen.« Die türkische Regierung, so kritisierte das Blatt, »hätte nicht zustimmen dürfen, ihre Grenze zum Iran zu einer feindlichen zu machen«.
Grundsätzlich hatte die Türkei dem »Raketenschirm« schon beim Lissaboner Gipfeltreffen der NATO im November 2010 zugestimmt und einen eigenen Beitrag zugesagt. Der einzige Einwand richtete sich dagegen, in diesem Zusammenhang einzelne Länder – gemeint war selbstverständlich Iran – als Ausgangspunkt der angeblichen Raketengefahr namentlich zu nennen.
Die türkische Regierung behauptet nun, sie habe ihren Standpunkt weitgehend durchgesetzt. Richtig ist daran aber lediglich, daß in den offiziellen Erklärungen, die anläßlich der Zustimmung zur Stationierung des Radarsystems abgegeben wurden, die namentliche Erwähnung Irans konsequent vermieden wurde. Andererseits läßt die US-Regierung aber schon seit Jahren weltweit ausschreien, daß sich das »Raketenabwehr«-Programm ausschließlich gegen Iran richte, und sie wird das zweifellos auch künftig tun. Zumal, da dies ein wesentliches Argument oder wohl viel mehr Schein-argument gegen die russische Kritik an dem Projekt ist.
Eine zentrale Frage ist in diesem Zusammenhang, ob die von dem künftig in der Türkei stationierten Radarsystem ermittelten Daten direkt an das israelische Militär weitergeleitet werden. Türkische »Regierungsbeamte«, die aber stets im Schutz der Anonymität bleiben, versuchen über die Medien zu suggerieren, daß genau das dank der standhaften Verhandlungsführung Ankaras nicht der Fall sein werde. Andererseits versichern US-amerikanische »Offizielle«, die in der Regel aber auch nicht den Schatten der Namenlosigkeit verlassen, daß Israel selbstverständlich Zugriff auf die Daten haben werde.
In einem Brief an Präsident Barack Obama forderten sechs einflußreiche Senatoren aus beiden Parteien am 19. September von der Administration eine »schriftliche Zusicherung, daß die Daten, die von der in der Türkei stationierte Radaranlage gesammelt werden, in Echtzeit an den Staat Israel übermittelt werden, um dessen Verteidigung gegen einen eventuellen iranischen Raketenangriff zu stärken«. Unterschrieben ist der Brief von den Demokraten Charles (»Chuck«) Schumer, Mark Warner und Joe Manchin, vom Unabhängigen Joe Lieberman sowie von den Republikanern Mark Kirk und Scott Brown.
Über eine Antwort Obamas ist nichts bekannt. Anscheinend soll das Thema mit Rücksicht auf die Türkei möglichst still behandelt werden. Da die Radaranlage aber von US-Personal betrieben werden wird, ist davon auszugehen, daß im Rahmen der bestehenden Kooperation sämtliche Daten sofort an die israelischen Partner weitergegeben werden. Das wäre im Fall eines Krieges gegen Iran von erheblicher Bedeutung.
* Aus: junge Welt, 9. November 2011
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