Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Russland und NATO im Clinch

Keine Einigung im Streit um eine Raketenabwehr

Von Olaf Standke *

Die NATO-Staaten und Russland konnten ihren Streit über den geplanten Raketenabwehrschild des Nordatlantik-Paktes bei einem Außenministertreffen am Donnerstag (8. Dez.) in Brüssel nicht beilegen.

Viel erwartet vom gestrigen NATO-Russland-Rat hat Generalstabschef Nikolai Makarow wohl nicht. Wie der Donnerstagausgabe der Zeitung »Rossijskaja Gaseta« zu entnehmen ist, informierte er am Vorabend des Treffens Militärattachés der Botschaften in Moskau darüber, dass die russische Armee bereits mit Maßnahmen gegen den Aufbau der »europäischen« Raketenabwehr begonnen habe. Nach einem modernen Frühwarnsystem würden nun auch Flugabwehrraketen in der Ostsee-Exklave Kaliningrad stationiert. Das System S-400 Triumph soll in Kürze nach einem Manöver verlegt werden.

Geplant ist zudem die Stationierung von Boden-Boden-Raketen des Typs Iskander in der Region zwischen den NATO-Staaten Polen und Litauen. Präsident Dmitri Medwedjew verband damit die Hoffnung, dass beide Seiten ihre »allseits bekannten Schwierigkeiten überwinden« könnten.

Die gestrigen Gespräche der 28 Außenminister der Allianz mit ihrem russischen Amtskollegen machen da wenig Hoffnung für die eigentlich angestrebte Zusammenarbeit. Einigkeit habe nur darin bestanden, »dass wir es weiterhin versuchen sollten, dass wir weiter miteinander reden müssen«, fasste Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Runde zusammen. Moskaus Vertreter Sergej Lawrow beklagte, dass die NATO erst gar nicht auf Russlands Bedenken eingegangen sei: »Als wir Änderungen vorgeschlagen haben, sagte man uns, es gebe bereits einen Plan, an dem wir teilhaben könnten. Wir hätten gern etwas mehr Respekt für unsere intellektuellen Fähigkeiten.« Russland beharre darauf, dass verbindliche und objektive Kriterien für jene Bedrohungen festgelegt werden, gegen die eine Raketenabwehr gedacht sei. Dabei müsse klar gemacht werden, dass es nur um Flugkörper gehe, die nicht in Europa abgefeuert werden. Moskau fordert »klare Garantien«, dass der Raketenschild nicht gegen die russischen »strategischen Fähigkeiten« gerichtet sein werde.

Inzwischen haben sich Rumänien und Polen bereit erklärt, Abfangsysteme auf ihrem Territorium zu installieren; die Türkei will entsprechende Radaranlagen errichten. Die USA gedenken nach Moskauer Erkenntnissen, nicht nur im Mittelmeer, sondern auch im Schwarzen Meer sowie in der Barentssee, Nordsee und Ostsee Kriegsschiffe zu stationieren.

Rasmussen dagegen vermutete in Brüssel »ein grundlegendes Missverständnis hinsichtlich der Größe und des Zwecks unserer Raketenabwehr«. Er hofft nun auf eine Einigung bis zum nächsten NATO-Gipfel im Mai kommenden Jahres.

* Aus: neues deutschland, 9. Dezember 2011


Vertrauensfrage

Von Olaf Standke **

Deutlich länger als geplant sprachen gestern die Außenminister der NATO und Russlands in Brüssel am gemeinsamen Ratstisch. Geholfen hat es nicht, denn offensichtlich redet man aneinander vorbei. Ob NATO-Generalsekretär Rasmussen oder US-Außenministerin Clinton, immer wieder betonen Vertreter der Allianz, dass die geplante Raketenabwehr nicht gegen Russland gerichtet sei. Doch Moskau glaubt den Worten nicht. Zu nah an den eigenen Grenzen sollen die Silos mit den Abfangraketen errichtet werden. Und wenn der Schild doch gegen iranische Raketen schützen will, was sollen dann US-Kriegsschiffe in der Ostsee? Moskau will rechtsverbindliche Garantien, dass all die Waffen- und Radarsysteme nicht gegen die eigene Sicherheit gerichtet sind. Und man fordert bei der vereinbarten gemeinsamen Raketenabwehr auch einen gemeinsamen Gefechtsstand und nicht zwei separate Systeme.

Dagegen sträubt sich die NATO, die die zweitgrößte Atommacht ohnehin erst nach heftiger Kritik aus Moskau eingebunden hat. Die Folgen sind nicht nur in der Ostsee-Enklave Kaliningrad zu beobachten, wo sich Russland für den Fall der Fälle rüstet. Nachdem schon der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), ein Grundpfeiler der Rüstungskontrolle, Opfer dieses Streits geworden ist, könnte bei einer weiteren Zuspitzung bald auch der neue START-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen zur Disposition stehen.

** Aus: neues deutschland, 9. Dezember 2011 (Kommentar


Zurück zur Raketenabwehr-Seite

Zur NATO-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage