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NATO schaltet gegenüber Russland auf stur

Raketenschild wird nach Paktgipfel ausgebaut *

Trotz andauernden Streits mit Russland hat die NATO ihre Entschlossenheit zum Ausbau ihres geplanten Raketenabwehrschildes betont.

Nach dem NATO-Gipfel in Chicago Ende der Woche werde die Militärallianz das System bis zur »vollen Einsatzfähigkeit« ausbauen, schrieb NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in einem Beitrag für das »Wall Street Journal«. Ein erstes Kommando- und Kontrollsystem stehe bereits, für die kommenden Monate und Jahre erwarte er »weitere Bekanntgaben«.

Die NATO will bei ihrem Gipfeltreffen vom 20. bis 21. Mai in Chicago den Beginn einer »beschränkten Einsatzfähigkeit« des Raketenschilds verkünden. Laut Rasmussen handelt es sich um eine limitierte, aber unmittelbar verfügbare Fähigkeit zur Abwehr von ballistischen Flugkörpern. Die sei ein »erster, aber echter Schritt« in Richtung einer vollständigen Absicherung des gesamten europäischen NATO-Territoriums.

Der Raketenschild soll Europa Schutz vor einer möglichen Bedrohung durch Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometer etwa aus Iran bieten. Russland hat massive Vorbehalte geäußert und fühlt sich durch das Rüstungsprojekt der Militärallianz bedroht.

Moskau fordert bisher eine rechtlich bindende Garantie der NATO, dass sich der Abwehrschild nicht gegen Russland richtet. Dies gilt jedoch unter anderem in den USA als nicht durchsetzbar.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. Mai 2012


In der Rüstungsspirale

Von Olaf Standke **

Der Ton wird rauer zwischen Nordatlantik-Pakt und Russland. Wenige Tage vor dem NATO-Gipfel in Chicago hat Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Entschlossenheit des größten Militärbündnisses der Welt betont, in Europa einen Raketenschild zu errichten - mag Moskau noch so sehr intervenieren, nachdem auf dem Lissabonner Gipfel 2010 Zusammenarbeit auf diesem Feld vereinbart worden war. Doch die Verhandlungen stecken inzwischen in der Sackgasse. Dagegen steht bereits ein erstes Kommando- und Kontrollsystem der NATO. In dieser Woche hat die US-amerikanische Missile Defense Agency eine für das Vorhaben modernisierte Rakete aus der Baureihe Standard Missile-3 (SM-3) erfolgreich getestet. Ein erster Versuch im vergangenen September war noch fehlgeschlagen. Flugkörper dieses Typs sollen bis 2015 in Rumänien stationiert werden. Schon auf dem Gipfel will man jetzt eine »beschränkte Einsatzfähigkeit« des Schilds zur Abwehr ballistischer Raketen verkünden.

Da die Führung in Moskau solche Gefährdungen durch Drittstaaten aber nicht akut ausmachen kann, sieht man sich selbst und die eigenen strategischen Arsenale als Ziel des Rüstungsprojekts - was Rasmussen öffentlich am Urteilsvermögen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zweifeln lässt, der vor allem wegen dieses Raketenstreits seine Teilnahme am G8-Gipfel in den USA abgesagt hat. Die von Russland geforderte rechtsverbindliche Sicherheitsgarantie jedoch soll es auch nicht geben. So schaukelt man sich gegenseitig hoch, und Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow wiederholte jetzt die Drohung, dass man der befürchteten Veränderung des Kräftegleichgewichts mit operativ-taktischen Raketen vom Typ Iskander zur Vernichtung einzelner Teile des NATO-Raketenabwehrsystems begegnen könnte. Zugleich ließ Moskau wissen, dass die Entwicklung von flugzeuggestützten Laserwaffen zur Luft- und Raketenabwehr fortgesetzt werde, während das Pentagon derartige Kampflaser inzwischen lieber auf unbemannten Drohnen installieren möchte. Das alles sind überaus kostenintensive Waffenprojekte, mit denen an der Rüstungsspirale gedreht wird, als wäre der Ost-West-Konflikt nicht vor zwei Jahrzehnten zu den historischen Akten gelegt worden. Einen NATO-Russland-Gipfel wird es 15 Jahre nach Abschluss des Kooperationsabkommens in Chicago dagegen nicht geben.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. Mai 2012 (Kommentar)


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