Das seegestützte Raketensystem der USA und der NATO bedroht Russland
In unmittelbarer Nachbarschaft Russlands wird ein ausgeklügelter, mehrschichtiger, gestaffelter Raketenabwehrschild errichtet
Von Vladimir Kozin *
Das Hauptziel der ersten Phase des European Phased Adaptive Approach / EPAA (des
phasenweise angepassten Aufbaus eines Raketenabwehrschildes für Europa, s.
http://www.acus.org/files/ISP/Atlantic%20Council.Final.O%27Reilly.presentation.pdf ) ist
die Erlangung der Fähigkeit, ballistische Raketen von kurzer, mittlerer und sogar etwas
längerer Reichweite (von 3.000 bis 5.500 km) abfangen zu können – durch die Verlegung
des globalen, integrierten, multifunktionalen, seegestützten Aegis-Abwehrsystems (s.
http://de.wikipedia.org/wiki/Aegis-Kampfsystem ) mit seinen Raketen vom Typ SM-2 und
SM-3 vor die Küsten Europas.
Die USA sind seit langem bei der Entwicklung seegestützter Raketenabwehrsysteme führend.
Anfang 2012 besitzt die US-Navy 24 mit dem Aegis-System ausgestattete Kriegsschiffe
(5 Kreuzer der Ticonderoga-Klasse und 19 Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse).
Nach dem auf 30 Jahre (2011-2041) angelegten US-Schiffsbauprogramm sollen insgesamt
84 Schiffe mit dem Aegis-System ausgerüstet werden: 10 von 22 Kreuzern und praktisch
alle 74 Zerstörer.
Ein mit dem Aegis-System ausgestatteter Kreuzer der Ticonderoga-Klasse oder ein Zerstörer
der Arleigh-Burke-Klasse kann bis zu 30 SM-2 oder SM-3 Abwehrraketen verschiedener
Modifizierungen abfeuern. Eine auf 84 Schiffe angewachsene "Abfänger-Flotte"
könnte also über 2.500 Abfangraketen verschießen.
In unmittelbarer Nachbarschaft Russlands wird ein ausgeklügelter, mehrschichtiger, gestaffelter
Raketenabwehrschild errichtet, der sich über Europa und Asien erstreckt. Sein
spezifisches Hauptmerkmal ist seine enge Abstimmung auf das taktische und strategische
Atomraketen-Potenzial der USA und der NATO, die in jeder internationalen Krisensituation
zum Tragen käme.
Als Ergebnis ihres Treffens, das am Rande des Atomgipfels in Seoul stattgefunden hatte
(s. dazu http://www.stern.de/politik/ausland/internationaler-atomgipfel-in-seoul-warnungenfuer-
iran-und-nordkorea-ein-angebot-fuer-russland-1805252.html ), mussten Dmitri Medwedew
und Barack Obama gemeinsam feststellen, das es Ihnen nicht gelungen ist, beim
brennendsten ungelösten Problem mit globalen Auswirkungen – beim Aufbau eines von
Russland, den USA und der NATO gemeinsam betriebenen Abwehrschirmes gegen ballistische
Raketen – also bei der Ballistic Missile Defense / BMD für Europa, voranzukommen.
Der US-Präsident hat um "etwas Zeit" bis nach der Präsidentenwahl gebeten (weitere Infos
dazu unter http://www.focus.de/politik/ausland/ich-werde-wladimir-die-information-uebermitteln-
obamas-geheime-botschaft-von-mikrofonen-aufgenommen_aid_728274.html ).
Er deutet auch an, dass er im Falle seiner Wiederwahl im November bezüglich der bilateralen
Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr "mehr Flexibilität" zeigen könnte.
Dmitri Medwedew und Barack Obama vereinbarten, in den nächsten sechs bis acht Monaten
unter Beteiligung technischer Experten weitere Konsultationen, aber keine direkten
Verhandlungsgespräche durchzuführen.
Im Grunde blieb das Treffen so ergebnislos, wie die Gespräche, die im November 2011 in
Honolulu geführt worden waren und den russischen Präsidenten zu der aufsehenerregenden
Erklärung veranlasst hatten, als Antwort auf die Errichtung des europäischen Raketenabwehrschildes
der USA und der NATO, die Russlands Sicherheitsinteressen ignoriere,
werde er entsprechende militärisch-technische Gegenmaßnahmen veranlassen. (s.
http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_11/LP22511_011211.pdf )
Es ist noch immer nicht bekannt, wie ernsthaft Washington mit Russland über die europäische
Raketenabwehr sprechen will. Die Ende letzten Jahres aufgekommene Hoffnung, es
könnte zu einer konkreten Vereinbarung zwischen Moskau und den USA kommen, ist
nach dem Treffen in Seoul und vor dem nächsten NATO-Gipfel, der im Mai in Chikago
stattfindet, fast erloschen.
Es sieht so aus, als wolle Washington nur Zeit schinden, um weiterhin ungestört die Errichtung
des Raketenabwehrschildes auf dem europäischen Kontinent und darüber hinaus
fortsetzen und die Vertagung einer Vereinbarung mit Russland zu seinem Vorteil nutzen
zu können. Die Pläne (für den Raketenabwehrschild) wurden ja schließlich schon vor längerer
Zeit entwickelt und beschlossen.
Erstens ist es noch nicht entschieden, ob Barack Obama überhaupt Staatsoberhaupt und
Oberkommandierender der US-Streitkräfte bleibt und wie er sich nach seiner Wiederwahl
in Bezug auf die Raketenabwehr verhalten würde. Könnte er nicht einfach seine gegenwärtige
"Verschleppungstaktik" fortsetzen?
Zweitens, was würde geschehen, wenn ein Republikaner die Wahl gewinnt? Fast alle republikanischen
Senatoren haben sich gegen Änderungen bei der geplanten Raketenabwehr
und gegen eine entgegenkommende Vereinbarung mit Russland ausgesprochen.
Erst kürzlich haben 43 von 47 republikanischen Senatoren einen warnenden Brief unterzeichnet,
in dem sie Obama mitteilen, dass sie keine Einschränkungen bei der Raketenabwehr
hinnehmen wollen, falls die gegenwärtige Regierung Pläne dafür vorlegen werde.
Wir sollten uns auch daran erinnern, dass Barack Obama während der Beratungen über
die Ratifizierung eines neuen Vertrages zur Reduzierung strategischer Waffen / New
START (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Strategic_Arms_Reduction_Treaty ) den Senatoren
versichert hat, dass er keinesfalls eine "qualitative oder quantitative" Beschränkung der
BMD-Pläne oder der nationalen Sicherheit der USA zulassen werde.
Die erste Phase des Plans für einen European Phased Adaptive Approach / EPAA (einen
phasenweise angepassten Aufbau eines Raketenabwehrschildes für Europa) wurde 2011
erfolgreich realisiert; damit ist die Grundlage für den weiteren Aufbau (des Raketenabwehrschildes)
gelegt (weitere Informationen dazu unter http://www.luftpost-kl.de/luftpostarchiv/
LP_12/LP03512_040212.pdf ).
Das Hauptziel der ersten Phase des EPAA (s. http://www.acus.org/files/ISP/Atlantic
%20Council.Final.O%27Reilly.presentation.pdf ) ist die Erlangung der Fähigkeit, ballistische
Raketen von kurzer, mittlerer und sogar etwas längerer Reichweite (von 3.000 bis
5.500 km) abfangen zu können – durch die Verlegung des globalen, integrierten, multifunktionalen,
seegestützten Aegis-Abwehrsystems (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Aegis-
Kampfsystem und http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_11/LP19211_271011.pdf )
mit seinen Raketen vom Typ SM-2 und SM-3 vor die Küsten Europas.
Die USA sind seit langem bei der Entwicklung seegestützter Raketenabwehrsysteme führend.
Anfang 2012 besitzt die US-Navy 24 mit dem Aegis-System ausgestattete Kriegsschiffe
(5 Kreuzer der Ticonderoga-Klasse und 19 Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse).
Nach dem auf 30 Jahre (2011-2041) angelegten US-Schiffsbauprogramm sollen insgesamt
84 Schiffe mit dem Aegis-System ausgerüstet werden: 10 von 22 Kreuzern und praktisch
alle 74 Zerstörer.
Die seegestützte Komponente der Raketenabwehr gewinnt in der gesamten Raketenabwehr-
Architektur ständig an Bedeutung. Die bestehenden Pläne sehen eine Steigerung
der Anzahl von SM-3 Abfangraketen von 111 im Jahr 2011 auf 436 im Jahr 2015 und auf
515 im Jahr 2020 vor – nicht erst im Jahr 2050, wie einige russische Experten meinen! Ein
mit dem Aegis-System ausgestatteter Kreuzer der Ticonderoga-Klasse oder ein Zerstörer
der Arleigh-Burke-Klasse kann bis zu 30 SM-2 oder SM-3 Abwehrraketen verschiedener
Modifizierungen abfeuern. Eine auf 84 Schiffe angewachsene "Abfänger-Flotte" könnte
also über 2.500 Abfangraketen verschießen.
Im Rahmen der EPAA-Planung wurden in der ersten Phase bereits Kommando- und Kontrolleinrichtungen
geschaffen (s. dazu auch http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_12/
LP03512_040212.pdf ), Frühwarnsysteme ausgebaut und neue Radaranlagen installiert.
Im Unterschied zu anderen militärischen Programmen ist die Raketenabwehr in den USA
und in Europa nicht von Budgetkürzungen betroffen, die Ausgaben dafür werden sogar
weiter wachsen.
Außer Washingtons NATO-Partnern Großbritannien, Spanien, den Niederlanden, Polen
und Rumänien beteiligen sich auch andere Verbündete an dem Programm. Zum Beispiel
hat Japan, ein (angeblich) neutraler Staat, der schon lange zur westlichen Allianz zu rechnen
ist, mit neuen technologischen Erkenntnissen zur Verbesserung (der Treffsicherheit)
der Abfangraketen beigetragen. Die USA haben die (japanische) Technologie erfolgreich
zu ihrem Vorteil genutzt. Auch Australien und Südkorea sind als langfristige Partner an der
Raketenabwehr beteiligt.
In unmittelbarer Nachbarschaft Russlands wird ein ausgeklügelter, mehrschichtiger, gestaffelter
Raketenabwehrschild errichtet, der sich über Europa und Asien erstreckt. Sein
spezifisches Hauptmerkmal ist seine enge Abstimmung auf das taktische und strategische
Atomraketen-Potenzial der USA und der NATO, die in jeder internationalen Krisensituation
zum Tragen käme.
Unter diesen Umständen muss Russland bei der Verteidigung seiner nationalen Sicherheitsinteressen
eine härtere und entschlossenere Haltung einnehmen. Washingtons Versuche,
Diskussionen über taktische Atomwaffen in die Verhandlungen über die Raketenabwehr
einzubeziehen, sollten zurückgewiesen werden. Die Errichtung eines Raketenabwehrschildes,
an dem neben NATO-Partnern auch US-Verbündete im asiatisch-pazifischen
Raum beteiligt sind, sollte hingegen Teil künftiger Gespräche über eine weitere Reduzierung
der strategischen Waffen werden.
Außerdem sollte Russland als Reaktion auf das Vorgehen der USA seine militärisch-technischen
und diplomatisch-politischen Gegenmaßnahmen beschleunigen, falls Washington
nicht endlich begreift, welche Gefahr für die Welt es heraufbeschwört, wenn es weltweit
Komponenten seines Raketenabwehrschildes installiert, um die strategische Wirksamkeit
der US-Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen zu erhöhen (weil damit die nach einem
US-Erstschlag noch gestarteten russischen Interkontinentalraketen abgefangen werden
könnten). Die langjährige Erfahrung aus Abrüstungsgesprächen besagt doch, dass
Washington die höfliche Sprache der Diplomatie nicht versteht, sondern nur auf praktische
militärisch-technische Aktionen reagiert, die ihm zeigen, dass auch seine eigene Sicherheit
bedroht ist.
Wenn sich technische Experten aus Russland und aus den USA bis zum Ende dieses
Jahres über einzelne Aspekte des Raketenabwehrschildes unterhalten, wäre es doch
sinnvoll, dem Weißen Haus – falls das noch nicht geschehen ist – folgenden Vorschlag zu
machen: Der weitere Ausbau des europäischen Raketenabwehrschildes der USA und der
NATO sollte so lange ausgesetzt werden, bis die Arbeit der Experten getan ist. Das würde
deren Bemühungen sicher befruchten.
* Vladimir Kozin ist ein führender Experte des Russischen Institutes für Strategische Studien
/ RISS und Mitglied des Expertenrates der unter Vorsitz des Präsidenten der Russischen
Föderation tagenden Arbeitsgruppe zu den Auswirkungen der NATO-Raketenabwehr.
Originaltitel: US-NATO Sea-based Missile System Threatens Russia; ( http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=30058 )
Übersetzung aus dem Englischen und mit ergänzenden Links versehen: LUFTPOST;
Aus: LUFTPOST, Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein, LP 082/12 – 23.04.12
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