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Seeräuber soll über die Planke gehen

Klage eines Somaliers gegen seine Abschiebung zurückgewiesen / »Rückführung« zur Zeit ausgeschlossen

Von Angela Dietz, Hamburg *

Das Hamburger Verwaltungsgericht hat die Ausweisung eines somalischen Piraten für rechtens erklärt. Er war 2012 zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Ein verurteilter somalischer Staatsangehöriger klagte vor dem Verwaltungsgericht gegen die dem Strafurteil folgende Ausweisungsverfügung durch die Ausländerbehörde. »Ich habe damit gerechnet«, kommentiert Anwältin Gabriele Heinecke die Entscheidung des Gerichts. Ihr Mandant war im Strafprozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Die Anwältin will vor dem Oberverwaltungsgericht gegen das Urteil in Berufung gehen.

Das Gesetz sieht für ausländische Straftäter, die zu mindestens drei Jahren Gefängnis verurteilt wurden, die Ausweisung vor. Der heute 30-Jährige war im April 2010 an dem Angriff gegen den Containerfrachter »Taipan«, der unter deutscher Flagge für die Hamburger Reederei Komrowski fuhr, vor der somalischen Küste beteiligt gewesen. 2012 verurteilte das Landgericht Hamburg die zehn Angeklagten im ersten sogenannten Piratenprozess seit 400 Jahren zu zwei bis sieben Jahren Haft. Der Strafprozess war mit mehr als 100 Verhandlungstagen einer der längsten in der deutschen Justizgeschichte.

Alle zehn wegen des Angriffs auf den Frachter verurteilten Männer haben eine Ausweisungsverfügung erhalten; alle fechten diese vor dem Verwaltungsgericht an. Neun von ihnen vertritt Anwalt Björn Stehn. »Die Ausweisungen sollen Straftaten im Bundesgebiet verhindern«, schildert er den gesetzlichen Hintergrund. Die Männer seien in Somalia aus größter Not kriminell geworden, nicht in Deutschland: »Das passt doch überhaupt nicht.« Die Ausweisung ihres Mandanten hält auch Anwältin Heinecke für eine »Doppelbestrafung«, Humanität spiele keine Rolle. »Das ist menschenrechtswidrig«, kritisiert sie. Mit der Ausweisung würde verhindert, dass ihr Mandant jemals ein Bleiberecht aus humanitären Gründen erhalten könne.

»Eine Abschiebung ist auf absehbare Zeit trotzdem nicht möglich«, sagt Heinecke jedoch. Seit mehr als 20 Jahren herrscht Bürgerkrieg in Somalia, einen funktionierenden Staat gibt es nicht. Ihr Mandant würde nun aber bestenfalls eine befristete Duldung erhalten, die ständig erneuert werden muss. Und der 30-Jährige muss immer damit rechnen, doch noch abgeschoben zu werden.

Auch Dietrich Gerstner hält Abschiebungen nach Somalia derzeit weder für zumutbar noch für durchführbar. Der Referent für Menschenrechte und Migration beim Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche hat als Beobachter am Strafprozess gegen die Seeräuber teilgenommen. »Die verurteilten Männer könnten persönlich gefährdet sein«, vermutet Gerstner: »Denn sie haben dem Gericht Erkenntnisse über Leute geliefert, die in Somalia im Hintergrund agieren.«

Doch der Hamburger Ausländerbehörde geht es um etwas anderes. Eine Vertreterin hatte laut NDR vor Gericht erklärt, es dürfe nicht das Signal gesendet werden, wer einen deutschen Frachter überfällt und erwischt wird, dürfe anschließend in Deutschland bleiben.

Der 30-jährige Somalier sitzt derzeit im Gefängnis. Er hat laut Heinecke Deutsch gelernt und sich sogar vor dem Verwaltungsgericht in deutscher Sprache geäußert. Die Perspektivlosigkeit für ihn sei deprimierend. Der Mann hoffe, demnächst in den offenen Vollzug zu kommen. In rund einem Jahr seien außerdem zwei Drittel seiner Haftstrafe abgegolten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könnte er dann aus dem Gefängnis entlassen werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. März 2014


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