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Piraterie als Geschäftsfeld?

Publizist Eigel Wiese über den Piratenboom im Zeitalter der Globalisierung / Wiese (62) ist Schifffahrtsjournalist, Buchautor und Afrikakenner


ND: Piraterie schien ein romantisch verklärtes Phänomen vergangener Tage zu sein. Nun boomt sie wieder. Vor wenigen Tagen attackierten Piraten ein deutsches Frachtschiff vor Nigeria. Der Preis für Welthandel und Globalisierung?

Wiese: Es ist nicht der Preis. Doch es besteht ein gewisses Risiko, wenn man Güterströme durch die Welt transportiert und wenn man mit diesen reichen Güterströmen an Gegenden vorbei fährt, in denen dieser Reichtum nicht vorhanden ist. Das weckt Begehrlichkeiten.

Karibik, die Straße von Malakka, Nigeria, Somalia – Sie zeigen in Ihrem neuen Buch, dass Piraterie an vielen Küsten vorkommt.

Was wir heute an Piraterie vor Somalia erleben, ist hart und straff organisierte Kriminalität. Dahinter stecken ähnliche Organisationen wie die Drogenkartelle.

Kritiker geben Europa am Boom eine Mitschuld; Stichworte Überfischung oder Giftmüllverklappung.

Ich halte den »armen Fischer aus Somalia« für ein vorgeschobenes Argument. Die Wahrheit ist, dass Fischer früher nicht einmal in der Lage waren, einen fremden Fischtrawler aus ihrem Küstengebiet zu vertreiben. Dieselben Leute können angeblich heute plötzlich Riesentanker überfallen.

In eine Hamburger Reederei wurde eingebrochen, um Informationen über Schiffe zu erhalten; Hacker knackten das EU-Piratenwarnsystem. Eine neue Strategie?

Die Informationsströme in Metropolen wie London, Frankfurt oder Dubai sind klar erkennbar. Außerdem bilden die Kriminellen Kartelle aus. Nicht in Form von Trainingscamps, aber sie sagen den Leuten, probiert dieses oder jenes mal aus und schaut, wie die Seeleute reagieren. Das wurde für mich deutlich, als die EU-Mission Atalanta begann und die Piraten austesteten, wie weit die Deutschen in ihren Reaktionen gehen. Seither gibt es immer wieder solche Aktionen. Da wirken im Hintergrund Fachleute und in den entscheidenden Kreisen sitzen wohl auch ehemalige Soldaten. Darauf lässt das Vorgehen schließen.

Internationale Profikriminelle haben also die Seeräuberei als neues Geschäftsfeld entdeckt?

Ja. So waren anfänglich die Lösegeldforderungen weit niedriger als heute. Längst probiert man aus: »Ach, was kriegen wir denn?« Auch Piraten handeln eben nach dem uralten kaufmännischen Prinzip: »Wie kriege ich den höchsten Preis für meine Ware?«

Gehörten Handel und Freibeuterei nicht schon immer zusammen?

Vor 500 Jahren war der Unterschied zwischen einem Kaufmann und einem Piraten nicht sehr groß.

USA, NATO, EU, China und Indien zeigen mit Kriegsschiffen Flagge am Horn von Afrika. Geht es auch um geopolitische Interessen?

Die geopolitischen Interessen einzelner Staaten spielen eine Rolle. Militärs und Politiker haben aber erkannt, dass eine einzelne Nation wenig ausrichten kann. China hat das erste Mal nach Jahrhunderten außerhalb seiner Hoheitsgewässer wieder Kriegsschiffe entsandt. Das zeigt, wie wichtig dieser Seeweg und damit die Handelsroute für China ist.

Ist das Militär die Lösung?

Man muss sich dem Gedanken stellen, dass es sich bei dieser Piraterie um Organisierte Kriminalität handelt, die von hoch spezialisierten Leuten gelenkt wird. An die muss man ran und etwa die Finanzströme der Lösegelder verfolgen. Dafür ist Geheimdienstarbeit notwendig. Ansätze für ein solches Vorgehen sind durchaus erkennbar.

Fragen: Hermannus Pfeiffer

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2010

[Website von Eigel Wiese: www.eigel-wiese.de]


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