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Mit deutscher Beteiligung? Wie der Westen das Piraterie-Problem vor Westafrika in den Griff bekommen will

Ein Beitrag von Christoph Rasch in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Vor der somalischen Küste ist die Piraterie drastisch zurückgegangen – aufgrund des Einsatzes von privaten Sicherheitsteams auf Frachtern sowie der Präsenz von Kriegsschiffen. Vor Westafrika haben die Aktivitäten von Piraten dagegen erheblich zugenommen. Wie man im Golf von Guinea das Problem in den Griff bekommen will – dieser Frage ist Christoph Rasch nachgegangen.


Manuskript Christoph Rasch

Deutsche Reeder können eigentlich aufatmen: Endlich dürfen sie bewaffnete Sicherheitskräfte zur Piraten-Abwehr auf Schiffen mit deutscher Flagge einsetzen – wenn die Dienstleister zuvor vom zuständigen Bundesamt zertifiziert wurden. Vor der Küste Westafrikas aber – dem neuen Hotspot der Piraterie – nützt diese Regelung allerdings herzlich wenig. Denn die dortigen Anrainerstaaten wie Nigeria, Ghana oder Guinea verbieten generell den Einsatz von Bewaffneten auf Handelsschiffen, sagt Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder.

O-Ton Nagel:
„Deshalb ist dieses Instrument, das wir ja sehr stark im indischen Ozean einsetzen, dort verbaut. Und insofern bleibt es am Ende dabei, dass nur staatliche Kräfte, die Küstenstaaten und dann auch möglichst in Kooperation mit internationalen Marinekräften, dort für mehr Sicherheit sorgen.“

Der Ruf nach einem internationalen Marineeinsatz nach dem Vorbild der Somalia-Mission Atalanta wird immer lauter. Und seit Monaten schon wird darüber debattiert – und spekuliert –, wie eine solche militärische Kooperation aussehen sollte – und in welcher Form sich auch die Bundesrepublik militärisch an der Piraten-Bekämpfung vor Westafrika beteiligt. Nun ist klar: Die Deutsche Marine wird Mitte April kommenden Jahres Kriegsschiffe in den Golf von Guinea entsenden – um gemeinsam mit den US-Streitkräften afrikanische Sicherheitskräfte zu trainieren. Vom zuständigen Marinekommando in Rostock heißt es auf NDR-Nachfrage schriftlich:

Zitat:
„An der Übung beabsichtigt sich der Einsatz- und Ausbildungsverband mit zwei Fregatten zu beteiligen. Es ist geplant, dass an der Übung weiterhin ein Einsatzgruppenversorger der Marine teilnehmen wird.“

Jährliche Großmanöver sind für den deutschen Einsatz- und Ausbildungsverband grundsätzlich Routine. In den Vorjahren wurden die Trainings-Flotten vor die Küste Großbritanniens, nach Südafrika oder ins Mittelmeer entsandt, um dort gemeinsam mit anderen Marinen ins Manöver zu gehen. Dass der Verband nun aber in ein aktuelles Krisen-Gewässer verlegt werden soll, wo sich inzwischen mehrmals wöchentlich Piraten-Überfälle auf Handelsschiffe ereignen – das erscheint zumindest außergewöhnlich. Dennoch betont das Marinekommando:

Zitat:
„Das Hauptziel der Übung ist, einen Beitrag zur Ertüchtigung der Anrainerstaaten als auch der dortigen afrikanischen Regionalorganisationen in der eigenständigen Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Maritimen Sicherheit zu leisten. Die deutschen Einheiten haben während der Übung vor Westafrika keinen Auftrag zur Piraterie-Bekämpfung.“

Doch allen Beteiligten ist klar: Die deutschen Fregatten agieren vor der westafrikanischen Küste nicht im luftleeren Raum – sondern sollen, quasi als gewünschter Nebeneffekt, auch militärische Stärke der westlichen Industrieländer demonstrieren. Ralf Nagel vom Reederverband:

O-Ton Nagel:
„Deshalb würde uns eine Präsenz von Marineeinheiten dort sicher helfen, denn Militärpräsenz wirkt abschreckend. Aber der zweite Ansatz, nämlich dass die Staaten dort – und das sind anders als in Somalia grundsätzlich funktionierende Staaten mit Küstenwachen – dass man also dort die Küstenwachen in die Lage versetzt, den Schutz der Schiffe sicherzustellen. Und insofern ist der Ansatz aus unserer Sicht sehr zu begrüßen.“

Was aber, wenn die deutschen Kriegsschiffe vor Ort zufällig Zeuge eines Piraten-Überfalls in der Nähe werden? Der zuständige Marine-Sprecher möchte sich zu dieser Frage nicht äußern. Für den ehemaligen Marine-Offizier und heutigen Sicherheits-Berater Heinz-Dieter Jopp allerdings ist klar:

O-Ton Jopp:
„Dann müssten wir auch eingreifen.“

Die militärische Schlagkraft wäre gegeben – denn der Einsatz- und Ausbildungsverband ist zugleich so etwas wie die Reserve-Flotte der Deutschen Marine und innerhalb kürzester Zeit für maritime Einsätze verfügbar, weiß Marine-Experte Jopp:

O-Ton Jopp:
„Bisher ist das ganze ja erst mal in einem Status des Planens. Das heißt, es bleibt abzuwarten: Wie ist die Situation tatsächlich, wenn dieser Verband losgeschickt wird? Und dann geht es darum – was aber auch Standard ist – im Zweifelsfall entsprechende Rules of Engagement festzulegen: Was darf die Deutsche Marine dort und was darf sie nicht?“

Was für ein Einsatz erwartet die Deutschen also im Golf von Guinea? Klar ist: Das geplante Manöver ist Teil einer langfristigen US-Mission namens „African Partnership Station“ – und firmiert unter dem Namen OBANGAME, übersetzt heißt das so viel wie „Zusammenarbeit“.

„OBANGAME Express 2014“, so viel ist vom für Afrika federführenden US-Kommando zu erfahren, soll „speziell auf die jüngsten Piraterie-Vorfälle in der Region Bezug nehmen“ – und vor allem die Kooperation zwischen Marinen und Küstenwachen aus Benin, Kamerun und Togo trainieren. Bisher sind auch Brasilien und Belgien an der Vorbereitung beteiligt. Bei der letzten OBANGAME-Übung im Frühjahr 2013 vor Kamerun waren 12 Schiffe aus 10 Staaten beteiligt - auch die niederländische Marine war mit dabei. In einem Manöver-Film erklärte der Kommandant des Flaggschiffs ROTTERDAM damals:

O-Ton Kommandant (overvoice):
„Ein aufregender Einsatz für uns, denn Westafrika ist keine Region, in die wir oft gelangen. Für uns ist außerdem interessant, dass es hier um kombinierte Aktionen und Übungen geht – auch bei uns an Bord sind Marinesoldaten aus vielen Nationen.“

Dass nun auch die deutsche Marine an das OBANGAME-Manöver andocken will – das wird von Verteidigungs-Experten fast unisono begrüßt. Ausbildungshilfe sei in Westafrika das Mittel der Wahl, sagen sie – zumal man hier, anders als in Somalia, auf bestehende staatliche Strukturen der Anrainerländer aufbauen kann. Doch es gibt auch Skepsis.

O-Ton Staack:
„Es ist zwar eine internationale Mission – aber eine Mission, die ganz klar ausgeht von den USA und ihrem Afrika-Kommando. Also, sie ist nicht ganz so international, wie man sich das vielleicht wünschen würde...“

...sagt Michael Staack, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in Hamburg.

O-Ton Staack:
„...weil die USA natürlich wie in anderen Bereichen auch sehr viel spezifischere Interessen verfolgen, als das bei uns der Fall ist. Also, spezifischere Interessen in den betreffenden Ländern, bei der Unterstützung von Regierungen – und andererseits natürlich auch wirtschaftliche Interessen, die nicht unbedingt deckungsgleich sind mit dem Interesse Deutschlands, das sich tatsächlich auf freie Schifffahrt und Sicherheit der Seewege konzentriert.“

Die Interessen der USA hinter ihrem militärischen OBANGAME-Programm sind klar: Die Amerikaner – noch immer der wichtigste Handelspartner für Staaten wie Nigeria – wollen vor allem die Piraten-Überfälle auf ihre schwerfälligen Tanker stoppen. Erst Ende Oktober wurden zwei US-Seeleute als Geiseln genommen. Sicherheits-Experte Heinz-Dieter Jopp:

O-Ton Jopp:
„Insbesondere in Nigeria geht es natürlich um die Ölvorkommen. Hier erklärt alleine Nigeria, dass jährlich ein Schaden in der Größenordnung von zwei Milliarden US-Dollar entsteht – und hier wollten die Amerikaner helfen, dass der Staat Nigeria künftig in der Lage ist, dort auch die Ölförderung besser zu schützen.“

Könnten aber auch für Deutschland noch andere, wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen? Dient der Besuch des deutschen Ausbildungsverbandes in der Region vielleicht auch als Türöffner für die Industrie? Schließlich brauchen die westafrikanischen Marinen und Küstenwachen dringend modernes Gerät – erst 2011 hatte Bundeskanzlerin Merkel sich persönlich für den Export von deutschen Patrouillenbooten nach Angola eingesetzt. Fachleute sehen aktuell allerdings keinen direkten Zusammenhang zwischen anstehender Übungs-Mission und möglichen Waffen-Exporten. Professor Michael Staack:

O-Ton Staack:
„Ich denke nicht, dass deutsche Rüstungsexport-Interessen dort handlungsleitend sind. Sondern man muss da eben sehr genau hinschauen, falls solche Anfragen auf den Tisch kommen, um was es geht. Es ist allerdings sicherlich auch ein Zusammenhang mit der deutschen Unterstützungsmission für Mali zu sehen – und einer generell etwas stärkeren Zuwendung Deutschlands in diese Region.“

Die aber dürfe nicht allein in militärischen Ausbildungsmissionen bestehen, sagt Valerie Wilms. Die grüne Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin für die Maritime Politik fordert flankierende Aufbau- und Entwicklungshilfen für die Anrainerstaaten am Golf von Guinea – denn die Lektion aus Somalia sei: Piraterie ist immer auch ein Armutsproblem, so Wilms.

O-Ton Wilms:
„Da ist es angezeigt, dass wir uns auch tatsächlich den Verpflichtungen, die wir uns selber auferlegt haben, nämlich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auch tatsächlich für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, dass wir das endlich mal erfüllen. Davon sind wir noch deutlich entfernt. Also, wir sollten auch dort etwas reinstecken – und nicht nur in die Ertüchtigung der Sicherheitsbehörden vor Ort.“

Allzu oft, sagt Wilms, werde vergessen, wie stark die Region auch durch die Industriestaaten ausgebeutet werde – von Ölfirmen, die im Nigerdelta aktiv sind. Oder von westlichen Fischereiflotten, die den westafrikanischen Fischern die Fanggründe streitig machen. Auch die EU, die in den kommenden Wochen ein eigenes Strategiepapier für die Piraterie-Bekämpfung im Golf von Guinea vorlegen will, müsse zu diesen Fragen Stellung beziehen, sagt die Grünen-Politikern. Für sie und andere Schifffahrts- und Sicherheits-Experten ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass die Beteiligung der Deutschen Marine an der US-geführten Übungsmission OBANGAME nur Auftakt sein könnte, zu einem weiteren militärischen Engagement vor Ort – dann allerdings mit einem klaren völkerrechtlichen Mandat.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 16. November 2013; www.ndr.de/info


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