Vom Offizier zum Pazifisten
Abschied von der Kriegskultur
Von Wolfram Wette (Freiburg)
1 Ein
säkularer Bewusstseinswandel in der Einstellung zum
Krieg
Das 20. Jahrhundert, das wir nun hinter uns gelassen
haben, ist vornehmlich als ein Zeitalter der Katastrophen und der Extreme
charakterisiert worden. Diese Sehweise hat gewiss ihre Berechtigung. Sie
verleitet jedoch dazu, positive Entwicklungen eher gering zu schätzen, die
in diesem Jahrhundert ebenfalls angelegt waren und die sich schließlich
auch durchzusetzen vermochten. Ich meine damit u. a. den fundamentalen
Bewusstseinswandel in der Einschätzung von Krieg und Militär. Er hat
sich national und europaweit vollzogen, besonders in der zweiten Hälfte
dieses Jahrhunderts.
Der historisch gebildete Zeitgenosse weiß, dass
sich in Deutschland in dem Zeitraum zwischen den Einigungskriegen und dem Ende
des Zweiten Weltkriegs fast alles um Krieg und Militär drehte. Offiziere
genossen ein hohes Ansehen. Sie waren die Vertreter der führenden
gesellschaftlichen und politischen Schicht, an der sich andere orientierten.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bahnte sich dann in
Deutschland auf diesem Feld ein Umdenken und ein breiter Mentalitätswandel
an. (. . .)
Man kann sich ihm mit der Frage nähern, ob wir uns -
als allgemeine Richtungsangabe gedacht - auf dem Weg von einer Kriegs- zu einer
Friedenskultur befinden, welche Strecke wir dabei schon zurückgelegt haben
- und welche noch nicht.
Nicht von ungefähr wird in der Regel
angenommen, dieser Wandel sei in Deutschland als eine Folge des verlorenen
Zweiten Weltkrieges eingetreten. Der sich anschließende Kalte Krieg habe
letztlich in die gleiche Richtung gewirkt. (. . . )
Übersehen wird
bei dieser, auf die Zeit nach 1945 abhebenden Betrachtungsweise, dass die
geänderte Einstellung zu Krieg und Militär gerade auch in Deutschland
ältere Wurzeln hat. Dabei denkt man gewöhnlich an die
bürgerliche pazifistische Bewegung und an die sozialdemokratische
Arbeiterbewegung. Nahezu unbekannt ist dagegen der Tatbestand, dass es in
Deutschland schon vor dem Ersten Weltkrieg, mehr aber nach dem Erlebnis des
Krieges 1914-18, Berufsoffiziere gab, die gegen die vorherrschende Kriegskultur
opponierten, ja Widerstand leisteten.
Mit diesen
außergewöhnlichen Offizieren werde ich mich in meinem Vortrag
beschäftigen. (. . .) Einer von ihnen, der ehemalige preußische
General Paul Freiherr von Schoenaich, wurde im Jahre 1929 sogar zum
Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft gewählt, was zu der -
durchaus nicht nur ironisch gemeinten - Frage Anlass gibt, ob im militaristisch
geprägten Deutschland nicht einmal die Friedensbewegung ohne einen General
an der Spitze auskommen konnte.
Wie viele Offiziere es waren, die sich in
den genannten Jahrzehnten dem militaristischen Milieu entfremdeten und
gleichsam die Seiten wechselten, ist im Einzelnen nicht bekannt. Eine genaue
Zahl wird sich auch kaum je exakt ermitteln lassen, da bei weitem nicht jeder
Fall öffentlich wurde. (. . .)
Erforscht sind bislang lediglich die
Lebensläufe von 17 Offizieren, die ihren Gesinnungswandel öffentlich
machten und sich hernach in der Friedensbewegung aktiv engagierten.
Berücksichtigt man den statistischen Befund, dass im preußischen
Kriegsheer der Jahre 1914-18 etwa 24 000 Offiziere dienten, in der
kaiserlichen Kriegsmarine etwa 3000, so wird deutlich, dass es sich bei diesen
Abtrünnigen um eine verschwindend kleine Minderheit handelte. Doch ist
hier letztlich nicht die statistische Aussage wichtig. Was zählt, ist der
Tatbestand, dass es Militärs mit solchen Biografien überhaupt gegeben
hat. Zudem ist daran zu erinnern, dass letztlich alle großen und
geschichtsmächtigen Bewegungen einmal als kleine Rinnsale angefangen
haben.
Gewiss: Rein machtpolitisch betrachtet, vermochten die wenigen
pazifistischen Offiziere gegen den Mainstream der jüngeren deutschen
Geschichte nicht sehr viel auszurichten. Sie spielten eher die Rolle von
Außenseitern. Mit ihren Warnungen blieben sie seinerzeit "Rufer in der
Wüste". Das heißt: Sie hatten zwar das Richtige erkannt und
öffentlich ausgesprochen, aber bei vielen Politikern und Militärs
keine dauerhafte Meinungs- und Verhaltensänderung bewirken können.
Zumindest war es so, dass die Zahl derjenigen Menschen, die ihnen Beachtung
schenkten und ihre Warnungen hörten, nicht groß genug war, um den
fortgesetzten Weg der Gewaltpolitik zu verhindern. (. . .)
Die
außergewöhnliche Leistung der pazifistischen Offiziere ist in
angemessener Weise erst zu verstehen, wenn man sich die Umstände ihres
Meinungswandels vergegenwärtigt. Damit ist zum einen die zu ihrer Zeit
vorherrschende Kriegsideologie angesprochen, zum anderen der gesellschaftliche
Status des preußisch-deutschen Offizierkorps und der militärische
Korpsgeist. (. . .)
2 Die Kontinuität der Kriegskultur
Der Denkhorizont der
Offiziere des preußisch-deutschen Machtstaats wurde von dem Glaubenssatz
geprägt, dass kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den
Nationalstaaten die historische Normalität darstellten. Wechselweise oder
gleichzeitig wurden Gott, die Geschichte und die Natur als Bürgen für
diese Ansicht ins Feld geführt. Weil Kriegführen als normal galt,
hatte sich das Militär darauf einzustellen, von Zeit zu Zeit kriegerische
Konflikte auszufechten. Ebenso wie die anderen tragenden Kräfte des
deutschen Kaiserreichs wünschten sich die Offiziere
den Staat als
einen militärischen Machtstaat. (. . .)
Die Kontinuität dieses
Gewaltglaubens über den Wechsel der Staatsformen hinweg ist ebenso
auffallend wie erschreckend. (. . .)
Fazit: Die maßgeblichen
Vordenker des preußisch-deutschen Militärs waren bei allen
Unterschieden, die ansonsten zwischen ihnen bestanden, von einem
durchgängigen ideologischen Grundmuster geprägt. Auch der
Durchschnittsoffizier jener Zeit verachtete den Pazifismus als
schwächlich, dekadent oder gar als krankhaft. Nicht selten wurde den
Pazifisten eine landesverräterische Einstellung unterstellt, was einer
Kriminalisierung gleichkam. Sich selbst stilisierte der Durchschittsoffizier in
Kategorien wie stark, männlich, mutig, realistisch, königstreu und
kriegerisch. Er lebte in dem Gefühl, einem besonderen, gesellschaftlich
und politisch herausgehobenen Stand anzugehören.
3 Korpsgeist und geschlossenes Milieu
Für jene eigenständig denkenden Köpfe, die
sich im Laufe ihres Lebens zu pazifistischen Offizieren wandeln sollten,
stellte sich das geschlossene Milieu des Offizierkorps und die in ihm geltenden
- geschriebenen und ungeschriebenen - Gesetze des Korpsgeistes als eine zweite,
nicht minder restriktive Rahmenbedingung dar. Entlang der Selektionskriterien
"erwünschte Kreise" und "Adel der Gesinnung" wurde in der
preußischen Armee über viele Jahrzehnte hinweg eine Personalpolitik
betrieben, welche die gesinnungsmäßige Homogenität des
Offizierkorps garantierte. Sie überstand sogar das Ende der Monarchie im
Jahre 1918, prägte das Offizierkorps der Reichwehr der Weimarer Republik
in einem geradezu erstaunlichen Maße und wirkte sich, was das obere
Führungspersonal angeht, selbst noch in der Zeit des Nationalsozialismus
aus. (. . .)
4 Vom Offizier zum
Pazifisten: Wandlungsprozesse
Wie gestalteten sich die
Wandlungsprozesse, welche die zum Pazifismus konvertierten Offiziere
durchmachten? Betrachtet man die geschilderten ideologischen und
soziologischen Rahmenbedingungen, so drängt sich die Frage auf, woher
diese Offiziere die Kraft nahmen, sich von den ideellen und mentalen Fesseln
ihres Milieus zu befreien. Zunächst muss man den folgenden Tatbestand
berücksichtigen: Ihre Lebenswege waren ebenso ungewöhnlich wie
unterschiedlich. Sie agierten als aufrechte und mutige Individuen, kaum je in
einem Gruppenzusammenhang. Unter ihnen existierten bestenfalls lockere
Verbindungen. Daher erscheint es nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht
möglich, eine Gruppenbiografie dieser Offiziere zu schreiben. Jeder ging
seinen eigenen Weg.
Gleichwohl gibt es einige Gemeinsamkeiten zu
entdecken: Die meisten der später zu Pazifisten gewandelten Soldaten
gehörten zum Typus des gebildeten Offiziers. Der bayerische Major Franz
Carl Endres beispielsweise war ein hoch begabter Mann, der statt der
Offizierslaufbahn auch die eines Musikers, Journalisten oder Schriftstellers
hätte einschlagen können. Der ebenfalls aus Bayern stammende Oberst
Alfons Falkner v. Sonnenburg nutzte seine Lehrtätigkeit an der
Kriegsakademie, um sich eine umfassende Bildung anzueignen. Der preußische
Oberstleutnant Moritz von Egidy, der Kapitän zur See der kaiserlichen
Kriegsmarine Lothar Persius und Kapitänleutnant Hans Paasche, ein Sohn des
nationalliberalen Reichstagsvizepräsidenten, traten schon als aktive
Offiziere publizistisch hervor.
General Paul Frhr. von Schoenaich besuchte
neben dem militärischen Dienst, der ihn geistig offensichtlich
unterforderte, eine Universität und bildete sich dort weiter. Man wird
sagen können, dass eine natürliche Intelligenz und die Bereitschaft
zur Betätigung derselben auch außerhalb der durch Familie und
Militär vorgegebenen Bahnen ein gemeinsames Kennzeichen der pazifistischen
Offiziere war. Diese Entwicklung wurde auch dadurch nicht behindert, dass
einige von ihnen aus alten Offiziersfamilien kamen - Endres und Fritz von Unruh
hatten Generäle zu Vätern, Kapitänleutnant Heinz Kraschutzkis
Vater war Militärarzt - und in einer eindeutigen Militärtradition
aufgewachsen waren.
Die meisten dieser Offiziere hatten ihren geistigen
Horizont durch Auslandserfahrungen geweitet. Der preußische Oberst Kurt
von Tepper-Laski kam durch seinen Pferderennsport in ganz Europa herum; er
sprach fließend französisch und fühlte sich als ein
freigeistiger Internationalist. Oberst Falkner von Sonnenburg bereiste in
seiner Militärzeit und später (1900-1914) als militärischer
Zeitungskorrespondent die ganz Welt. Der bayerische General Max Graf Montgelas
war deutscher Militärattache in China. Lothar Persius machte in der Marine
eine Weltumsegelung, besuchte Asien, Afrika und Amerika und hatte in Korea ein
denkwürdiges Zusammentreffen mit einem japanischen Offizier, der ihn
über seine - sozialistisch geprägte - Sicht der Kriegsursachen
aufklärte und damit sein Leben fundamental veränderte.
Der aus
Baden stammende General Berthold von Deimling und der Marineoffizier Hans
Paasche lernten in den deutschen Kolonialkriegen den afrikanischen Kontinent
kennen. Deimling verfügte in den zwanziger Jahren über
vielfältige internationale Kontakte. Der Bremer Offizier Georg-Wilhelm
Meyer, genannt "Englischmeyer", der Handelsrecht und
Nationalökonomie studiert hatte, erlebte durch einen längeren
Aufenthalt in den Vereinigten Staaten die demokratische Kultur.
Franz Carl
Endres diente einen Teil seiner Militärzeit (1911-1915) als osmanischer
Major in Istanbul. General v. Schoenaich pflegte jedes Jahr eine Weltreise zu
unternehmen; er sprach englisch, französisch, spanisch und etwas russisch.
Die Auslandserfahrungen bewirkten, dass etliche der pazifistischen
Offiziere das in der damaligen Zeit verbreitete nationalistische
Scheuklappendenken abzulegen vermochten. Sie blickten über den Tellerrand
nationaler Interessen hinaus und entwickelten die Fähigkeit, in
internationalen Kategorien zu denken und sich in die Interessenlage anderer
hineinzuversetzen. Gleichzeitig wussten sie um die Existenz und den Wert
anderer Kulturen. Ihre Weltläufigkeit und ihre Fremdsprachenkenntnisse
bewahrten sie schließlich vor einfältigem Freund-Feind-Denken, das im
kaiserlichen Deutschland unter dem Einfluss militaristischer Ideologien eine
dominante Erscheinung darstellte und das in den nationalistischen Kreisen auch
nach dem Ersten Weltkrieg nicht abgelegt wurde.
Eine nähere
Untersuchung verdiente die Frage, welchen Einfluss Frauen auf das pazifistische
Engagement dieser Offiziere hatten. Die Ehefrau von Lothar Persius war eine
Mitbegründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und
Freiheit (IFFF). Es darf vermutet werden, dass sie ihn in friedenspolitischer
Hinsicht beeinflusste. Hans Paasches Frau teilte mit ihm seine Begeisterung
für das schwarze Afrika, das sie ebenso wie ihr Mann als ein
bewundernswertes Gegenstück zum preußisch-deutschen Militarismus und
zum verknöcherten Obrigkeitsstaat erlebte.
Von Hauptmann im
Generalstab Hans-Georg von Beerfelde und von Kapitänleutnant Heinz
Kraschutzki wissen wir, dass ihre Frauen ihr pazifistisches Engagement
tatkräftig auch dann unterstützten, als dies mit konkreter Gefahr
für Leib und Leben verbunden war.
General von Schoenaich machte
für seinen Wandel vom Militär zum Pazifisten ein so genanntes
"Damaskuserlebnis" geltend: in diesem Falle die von ihm als Desertion
interpretierte Flucht Kaiser Wilhelms II. im November 1918 nach Holland.
Ähnlich plötzliche Einschnitte hat es auch bei einigen anderen
Offizieren gegeben. Persius' - bereits erwähnte - Bekanntschaft mit einem
kriegskritischen japanischen Offizier und Paasches Konfrontation mit der Kultur
Afrikas könnte man hier anführen. Vielfach bildete jedoch das
Kriegserlebnis selbst das entscheidende Motiv, das kritische Köpfe unter
den Offizieren zum Nachdenken über Krieg, Gewalt und Militarismus
veranlasste. (. . .)
Für den Wandlungsprozess spielte auch die
Kriegsschuldfrage eine große Rolle, die nicht erst nach Kriegsende
entbrannte, sondern einige von ihnen schon während des Krieges 1914-1918
umtrieb. Nicht wenige kamen zu der sie erschütternden Erkenntnis, dass
Deutschland im Sommer 1914 keineswegs, wie die Regierung nicht müde wurde
zu behaupten, das Opfer fremder Aggression wurde, sondern selbst einen
maßgeblich Anteil am Kriegbeginn hatte. Hauptmann i. G. Hans-Georg v.
Beerfelde beispielsweise wurde auf Grund dieser Erkenntnis zum
Pazifisten.
In der Mehrzahl der Fälle waren es also keine
plötzlichen Erleuchtungen, die den Gesinnungswandel dieser Offiziere
bewirkten, sondern es handelte sich um längere, oft quälende
Entwicklungen, in denen es Zweifel, Unsicherheiten vielfältiger Art und
auch Rückfälle in schon überwunden geglaubte Positionen
gab, wie beispielsweise an der Vita des bayerischen Generals Graf Montgelas
abgelesen werden kann. (. . .)
Im Prozess der Neuorientierung der hier
vorzustellenden Offiziere spielte das persönliche Beispiel prominenter
Pazifisten eine wichtige Rolle. Für Schoenaichs Werdegang beispielsweise
war die Bekanntschaft mit dem streitbaren und energischen Pazifisten Fritz
Küster von Bedeutung. Andere orientierten sich an Ludwig Quidde und Hans
Wehberg. General v. Deimling sah in Friedrich Wilhelm Foerster ein großes
Vorbild. Es versteht sich von selbst, dass die Offiziere auch von den Schriften
zeitgenössischer pazifistischer Vordenker sowie von jenen Autoren, die
sich kritisch mit der Kriegsschuldfrage auseinandersetzten, maßgeblich
beeinflusst wurden. Aber dies war keine Einbahnstraße. Denn die
pazifistischen Offiziere wirkten ihrerseits auf die
Führungspersönlichkeiten der zeitgenössischen Friedensbewegung
mit ihrem militärischen Sachverstand ein. Der Vorsitzende der Deutschen
Friedensgesellschaft (DFG), Ludwig Quidde, schrieb General von Deimling einmal
anerkennend: Auf die Öffentlichkeit macht es immer "den stärksten
Eindruck, wenn in dieser Frage Militärs sich auf unsere Seite stellen. Um
das Publikum von der alle Vorstellungen übersteigenden Entsetzlichkeit
künftiger Kriege zu überzeugen, besitzen Sie eine Autorität, die
uns Laien fehlt."
In besonderem Maße wusste der
Militarismuskritiker Friedrich Wilhelm Foerster den Sachverstand jener
Offiziere zu schätzen, die mit ihm eng zusammenarbeiteten. In seinem
Memoirenwerk setzte er ihnen gleichsam ein Denkmal, wenn er schrieb: "Es
war eine große Ermutigung für mich, dass mitten im Ersten Weltkriege
oder bald danach eine Reihe von hochgestellten deutschen militärischen
Führern auf meine Seite traten und mir viele unschätzbare
Informationen und Orientierungen zukommen ließen, die mir für meine
ganze Arbeit von größtem Werte waren. Diese Männer verleugneten
keineswegs ihre militärische Vergangenheit, noch wurden sie etwa
Anti-Militaristen. Aber sie erkannten, dass eine Weltpolitik, die vom
Generalstab diktiert war und demgemäß die Völkerfragen nur nach
militärischen Gesichtspunkten beurteilte und behandelte, unrettbar dem
Fluche verfallen müsse, der aus dem Missbrauch der militärischen
Macht überall uns immer aufs Neue entstehen muss." (. . .)
Besser kann man die Leistung der genannten pazifistischen Offiziere kaum
würdigen. Sie hatten das Grundübel erkannt, den Glauben an die
Allmacht der Gewalt und das System des Militarismus.
Auch für die
meisten anderen pazifistischen Offiziere der Zwischenkriegszeit war es typisch,
dass sie den preußisch-deutschen Militarismus nicht primär als ein
Problem der Truppenstärke oder des Standes der Waffentechnik ansahen,
sondern als eine Frage des geistigen Zustandes der Menschen. Schoenaich
argumentierte immer wieder in diesem Sinne. Daher war er über Jahre hinweg
bestrebt, seinen alten Standesgenossen, den preußischen
Berufsmilitärs, klarzumachen, dass es unabdingbar sei, "aus der im
alten schwertgläubigen Preußentum wurzelnden Kaste
herauszukommen". (. . .)
Diejenigen unter den pazifistischen
Offizieren, deren Engagement in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fällt,
wurden in der Regel Mitglied einer pazifistischen Organisation und nahmen eine
rege Vortrags- und Publikationstätigkeit auf. Darüber hinaus traten
die meisten von ihnen einer politischen Partei bei, bevorzugt der DDP und der
SPD, und etliche engagierten sich im republikanischen Reichsbanner Schwarz Rot
Gold. Sie waren zugleich überzeugte Demokraten - und befanden sich damit
in einem weiteren grundlegenden Gegensatz zur antidemokratisch eingestellten
und wandlungsunfähigen Militärelite, für deren Angehörige
die Militärmonarchie etwas Sakrales war und die Weimarer Republik
"eine permanente Kränkung" darstellte. Für die
"abtrünnigen" pazifistischen Offiziere dagegen gehörten
Demokratie und Frieden zusammen.
5 Der
Tabubruch und die Folgen
(. . .) Die sozialen Kosten
eines Verstoßes gegen die vorherrschenden Denkmuster, zugleich gegen den
Korpsgeist, waren vorhersehbar groß. Wer den "Schwertglauben"
aufkündigte, beging einen schweren Tabubruch. Ein solcher brachte den
jeweiligen Offizier in die unmittelbare Nähe jener "inneren
Feinde", welche das Offizierkorps eigenständig bekämpfte. Die
Folgen des Tabubruchs waren unterschiedlich. Sie reichten von Beschimpfungen
und Verleumdungen über die systematische gesellschaftliche Ausgrenzung
durch die ehemaligen Offizierskameraden bis hin zur Vertreibung ins Exil und zu
Ermordung.
Generalmajor a. D. Freiherr von Schoenaich hat den - von ihm
durchaus als schmerzlich empfundenen - Vorgang der Ausgrenzung genau
beschrieben und analysiert. Schon das zaghafte Aussprechen von Wahrheiten, die
mit den Denkstrukturen des militaristischen Milieus der früheren
Offizierskameraden kollidierten, habe genügt, berichtet er, ihn in seiner
früheren Umwelt "zum räudigen Schafe zu stempeln". Als er
seine neu gewonnenen Erkenntnisse immer mehr fundierte, bei seinen
früheren Offizierskameraden die Notwendigkeit ehrlicher Selbsterforschung
anmahnte und schließlich seine neu gewonnene Überzeugung zu erkennen
gab, dass der pazifistische Gedanke im heutigen Deutschland "nur in einer
Linkspartei möglich sei", erklärte man ihn "in Acht und
Bann".
Freimütig bekannte er: "Es ist mir bitter schwer
geworden, mit dem Kreise zu brechen, an dem ich 37 Jahre mit glühender
Liebe gehangen habe." Viele, denen er früher nur Gutes getan habe,
würden jetzt miteinander darin wetteifern, ihn "zu schmähen".
Ähnlich erging es General Berthold von Deimling. Seine ehemaligen
Kameraden schnitten ihn völlig und schlossen ihn aus einer
Offiziersgesellschaft aus. Hauptmann von Beerfelde, der sich vor und
während der deutschen Revolution von 1918/19 exponiert hatte, wurde von
seinen ehemaligen Offizierskameraden für geisteskrank erklärt und
immer wieder mit dem Tode bedroht. In Ruhe ließ man ihn erst, als er nach
Tirol floh, um dort Apfelbäume zu pflanzen. Hauptmann a. D. Carl Mertens,
der als Reaktion auf das militaristische Milieu der Freikorps zum Demokraten
und Pazifisten wurde, musste seine Kritik der illegalen Geheimrüstungen
anonym publizieren, da ihn sonst ein Fememord erwartet hätte.
Das
Schicksal, ermordet zu werden, erlitt im Jahre 1920 der ehemalige
Kapitänleutnant Hans Paasche. Er wurde von rechtsradikalen
Freikorpsoffizieren der Nachkriegsjahre als ein Verräter an der Idee der
nationalistischen Machtpolitik betrachtet und unter dem Vorwand, ein
Waffenlager für Spartakisten bereitzuhalten, auf seinem Gut vor den Augen
seiner Kindern "auf der Flucht" erschossen. Sein gewaltsamer Tod reiht
sich ein in eine Vielzahl politischer Morde in den ersten Jahren der Weimarer
Republik, die in der Regel von rechtsradikal eingestellten Offizieren
verübt oder befohlen wurden. Sie ermordeten die Kriegsgegner Karl
Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919 ebenso wie die
"Erfüllungspolitiker" Matthias Erzberger und Walter Rathenau, die
der Republik als Reichsminister dienten, sowie hunderte weniger prominente
Opfer. Sie alle wurden von ihren Mördern als Verräter am deutschen
Militär- und Machtstaat angesehen.
Führende Pazifisten wie
Friedrich Wilhelm Foerster, Emil Julius Gumbel und Albert Einstein mussten
Deutschland schon in der Weimarer Republik verlassen, weil sie hier ihres
Lebens nicht sicher sein konnten.
Etliche der pazifistischen Offiziere
teilten dieses Schicksal. Oberst a. D. von Sonnenburg wanderte ebenfalls schon
Anfang der zwanziger Jahre in die Schweiz aus. Major a. D. Endres folgte ihm
1926. Im Jahre 1939 nahm er die schweizerische Staasbürgerschaft an.
Kapitänleutnant a. D. Kraschutzki, als verantwortlicher Redakteur von
"Das Andere Deutschland" mit mehreren Landesverratsprozessen
überzogen, ging 1932 nach Spanien ins Exil, wurde dort später auf
Veranlassung von Behörden des NS-Staates verhaftet und musste neun Jahre
in spanischen Gefängnissen verbringen.
Der ehemalige Offizier und
pazifistische Schriftsteller Fritz von Unruh, 1932 einer der Mitbegründer
der republikanischen Kampforganisation "Eiserne Front", floh noch im
gleichen Jahre vor den Nationalsozialisten ins Exil, zunächst nach
Italien, dann nach Frankreich, Spanien und schließlich - mit
Unterstützung von Albert Einstein und Thomas Mann - in die USA. In
Deutschland wurden seine Bücher verbrannt.
Major a. D. Karl Mayr, ein
"Vernunftrepublikaner" und gemäßigter Pazifist, der sich
jahrelang im Reichsbanner Schwarz Rot Gold engagiert hatte, musste nach Paris
emigrieren, wo ihn die Gestapo 1940 verhaftete. Er starb 1945 im
Konzentrationslager Buchenwald. Die Generäle a. D. von Deimling und von
Schoenaich blieben im Lande und konnten hier offenbar einigermaßen
unbehelligt leben. Hans-Georg von Beerfelde wurde nach dem Reichstagsbrand
verhaftet, von der SA zum Krüppel geschlagen und erst nach mehrmonatiger
Haft entlassen. Bis zum Ende des NS-Staates unterlag er dauernder politischer
Überwachung.
Zum Schluss möchte ich Sie mit einer
denkwürdigen Personenkonstellation bekannt machen, die uns daran erinnert,
welchen Weg die jüngere deutsche Militärgeschichte gegangen ist und
welchen Weg sie hätte nehmen können, wenn man diese "Rufer in der
Wüste" rechtzeitig gehört hätte. Die Rede ist von der
"Crew 1910" der kaiserlichen Kriegsmarine.
Ihr gehörten an
Karl Dönitz und Martin Niemöller sowie Heinz Kraschutzki, einer der
später zu Pazifisten gewandelten Offiziere. Dönitz brachte es bis zum
Großadmiral und Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine sowie zum
Nachfolger Hitlers als deutsches Staatsoberhaupt. Das Nürnberger
Internationale Militärtribunal verurteilte diesen Repräsentanten
deutscher Gewaltpolitik als einen der Hauptkriegsverbrecher zu zehn Jahren
Haft, die er in Spandau verbüßte.
Martin Niemöller,
ebenfalls Angehöriger der "Crew 1910" und im Weltkrieg 1914-18
U-Boot-Kommandant, blieb auch in der Zwischenkriegszeit ein Anhänger von
Krieg und Militär. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte er sich zum
Pazifisten. In den fünfziger Jahren stieg er zum Kirchenpräsidenten
der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau auf. In dieser Zeit stellte
er einmal seinen alten Freund Kraschutzki folgendermaßen vor: "Das ist
mein alter Crew-Kamerad Kraschutzki. Ihm hat schon der Erste Weltkrieg die
Augen geöffnet über das Wesen des Militarismus. Bei mir war leider
noch ein zweiter nötig."
Deutschland und der Welt wäre viel
erspart geblieben, wenn diese "weißen Raben" rechtzeitig
Gehör gefunden hätten. Ihr Wirken ist als ein Beitrag zur Gestaltung
einer humanen und zivilen Gesellschaft zu würdigen, der unter widrigen
Umständen geleistet werden musste. Sie können als
"Vorkämpfer einer Friedenskultur" gelten. Denn sie haben auf die
ihnen mögliche Weise dazu beigetragen, dass jener säkulare
Bewusstseinswandel in Gang kam, von dem ich am Beginn meines Vortrages
gesprochen habe.
Der Beitrag von Wolfram Wette ist auch in der Frankfurter Rundschau dokumentiert (09.08.2000).
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