Ludger Volmers Erfindung des Bellipazifismus als Aufgabe der Friedensbewegung
Offener Brief an die rot, grün und naturfarbene Friedensbewegung
Ihr vielfarbigen Freundinnen und Freunde,
der heutige Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Volmer warf
in Zeiten des Bellizisten-Pazifisten Streites während des Bosnien-
Krieges 1995 seinem Parteifreund Fischer vor,
Grundüberzeugungen über Bord zu werfen und mit der
Befürwortung militärischen Eingreifens "ein Interventionist" zu
sein.(taz 12.8.95) Heute ist aus dem einstigen Kritiker ein
Verfechter von Militärinterventionen geworden. Trotzdem möchte er
sich weiter als Pazifist verstehen -eben als Bellipazifist. Er
schreibt:"Pazifismus heute kann militärische Gewalt als Ultima
Ratio, als letztes Mittel, nicht leugnen, kämpft aber für die Prima
Ratio, die zivilen Mittel der Krisenprävention."(FR 7. 1. 2002). Hat
also Helmut Kohl doch recht gehabt hat, als er die Bundeswehr als
die größte Friedensbewegung Deutschlands bezeichnete?
Konsequenterweise sollte nun aus dem AA der Aufruf folgen:
"Friedensbewegte, tretet ein in die Bundeswehr" und ab in den anti-
terroristischen Terrorkrieg!
Nachdem Volmer den Religiongsgemeinschaften die Leviten
gelesen hat: "Doch sie wissen, dass Ethik nicht in eine einzige
Handlungsmoral zu übersetzen ist. Das tun nur religiöse
Fundamentalisten. Wer keinen Gottesstaat will, lässt der Politik
die Freiheit der Entscheidung,..."(ebd.), wendet er sich dem
"politischen Pazifismus" zu. Dieser habe auf verschiedene
historische Situationen Antworten gegeben, die heute nicht mehr
nützten. Nun aber sei eine neue Situation gegeben:
"Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen - das ist
die neue Gefahr....". Sonderbar und etwas weltfern fügt der Minister
hinzu:" Die Parole ‚Kampf dem Atomtod' wird Al Qaeda wenig
beeindruckt haben." Volmer verbittet sich auch, die militärische
Bekämpfung des ‚Terrorismus' zu kritisieren: "Doch es ist
verblüffend, welche Verdrängungsleistungen manche Pazifisten
aufbringen, um das bisherige Weltbild gegen neue Erkenntnisse
abzuschotten....Man lehnt sich zurück und kritisiert die Strategie,
prangert die an, die beim Kampf gegen den Terror auch
Unschuldige treffen. Unversehens werden antiimperialistische
Muster neu aufgelegt - Opfer zu Tätern erklärt." An dieser Stelle
mag manchem die Frage auftauchen, ob hier nicht Kritiker des
Bombardements unter den Verdacht gestellt werden, heimliche
Sympathisanten der Terroristen zu sein? Und aus der fernen Zeit
des Kalten Krieges hört man das Echo : Geht doch nach drüben!
Nachdem dann der Minister dem politischen Pazifismus die
Aufgabe zugeteilt hat, sich für das Primat der Politik und die
Unterordnung militärischer Schritte unter politische Strategien
einzusetzen, kommt er zu der verblüffend optimistischen
Feststellung:"Noch nie waren die Aussichten so groß, dass sich
die internationale Staatengemeinschaft auf Methoden zur
Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung verständigt." Und
weiter: " In der Weltinnenpolitik treffen sich die Gedanken der
etablierten Aussenpolitik und eines neuen politischen Pazifismus.
Sollen die alten Pazifisten ausgerechnet jetzt aus der Politik
aussteigen, nur weil militärische Mittel nicht ganz verzichtbar
sind?" (ebd.)
Die Botschaft des grünen Ministers ist eindeutig, Pazifisten sollen
die rot-grüne Aufrüstungspolitik im Rahmen der EU und der Nato
sowie die deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen
mittragen, sollen erkennen, dass die früheren pazifistischen
Grundlagen der grünen Partei nicht zerstört, sondern in einer neuen
Form, militärisch modernisiert, erhalten geblieben sind. Doch ehe
sich jemand für den kurzen Marsch in den Bellipazifismus
entscheidet, sollte er zumindest die folgenden Fragen bedenken.
1. Ist der Einsatz militärischer (nicht polizeilicher!) Mittel mit dem
grundsätzlichen Ziel von Pazifismus vereinbar, die kriegerische
Bearbeitung von Konflikten zu Gunsten ziviler Formen der
Konfliktbearbeitung zu überwinden? Die Bereitschaft zu
militärischen Interventionen erfordert permanente Aufrüstung. Denn
nur wer überlegen ist, kann intervenieren.
2. Steht nicht hinter dem Gedanken des Bellipazifismus die
Vorstellung, es gäbe gutes Militär und gute Staaten, die für eine
gerechte Sache humanitär intervenierten? Denkt man weiter,
gelangt man zu der Figur des ‚Gerechten Krieges', einer Figur, die
ideologisch die ungerechten Kriege stets legitimieren sollte. Sind
etwa die USA, die Führungsmacht der Anti-terroristischen Allianz
eine solche gute und gerechte Macht?
3. Sind die ‚Kollateralschäden' an Unbeteiligten (in Afghanistan
übersteigt mittlerweile die Zahl der Bombentoten die der Toten von
Manhattan) und die Zerstörung der afghanischen Infrastruktur, die
viele weitere Menschen im harten Winter das Leben kosten dürfte,
menschenrechtlich vertretbar? Bei wieviel Kollateral-Toten endet die
‚humanitäre' oder "antiterroristische" Intervention und wird selbst
zum Terror? Werden in Afghanistan nicht vielmehr Bedürfnisse
nach Rache und Vergeltung bedient, als eine Weltinnenpolitik
angestossen?
4. Die EU rüstet mit aktiver Beteiligung von Rot-Grün für weltweite
Militärinterventionen auf. Demgegenüber sind die Aufwendungen für
Prävention und zivile Konfliktbearbeitung lächerlich gering. Kofi
Annan bringt es auf den Punkt: "Die Welt gibt heute Milliarden für
die Vorbereitung von Krieg aus, sollten wir nicht wenigstens ein
oder zwei Milliarden für die Vorbereitung des Friedens einsetzen?"
Wie glaubwürdig ist angesichts dieses Missv
erhältnisses das Bekenntnis zur "prima ratio" zivile Konfliktbearbeitung? Zumal von der rot-grünen
Bundesregierung bereits zweimal innerhalb einer Legislaturperiode zur "ultima ratio" Krieg gegriffen
wurde? Waren die Krie
ge gegen Jugoslawien und Afghanistan tatsächlich Ausnahmefälle oder nicht doch Präzedenzfälle?
5. Die neue Situation, die bellipazifistische Antworten erfordere, sei u.a. dadurch gekennzeichnet,
dass sich Massenvernichtungsmittel in den Händen von ‚Terroristen' befänden, wie Volmer unbewiesen
behauptet. Nun sind Ma
ssenvernichtungsmittel, also Terrorwaffen, haushoch überwiegend in den Händen der Staaten der
Anti-Terrorallianz, die nebenbei im wesentlich für die Verbreitung solcher Waffen per Rüstungsexport in
der ganzen Welt gesorgt
hat. Deutschland ist bei den Rüstungsexporten in der Weltspitzengruppe dabei. In der Allianz befinden
sich Staaten, die nachweislich Staatsterrorismus betreiben, der in seinen Folgen weit über die
verbrecherischen Anschl
äge auf World-Trade-Center und Pentagon hinaus geht. Hat das AA dies noch nicht erkannt, oder soll im
Rahmen der Formierung des Bellipazifismus etwa der russische Terrorkrieg in Tschetschenien oder die
Menschenrecht verac
htende und friedensfeindliche Behandlung der Kurden im Südosten und Osten der Türkei als
anti-terroristische zivile Strategie weltinnenpolitisch neu interpretiert werden?
6. Wie kann man sich Volmers aufdämmernde neue Weltinnenpolitik vorstellen, wenn die USA sich weder an
internationales Recht halten und noch nicht einmal mit ihren Verbündeten ihre Politik abstimmen? Wenn
sie den ABM-Vert
rag, ein wichtiges Element der internationalen Rüstungskontrollpolitik, einseitig kündigen, um das
Wettrüsten durch eine neues Raketenabwehrsystem, das alle anderen fürchten, voran zu treiben, einen
Weltstrafgerichtshof u
nd Verträge für die Kontrolle von Massenvernichtungsmitteln blockieren usw.? Gleichzeitig werden den
Vereinten Nationen Aufräum- und Ausputzerfunktionen nach Militärinterventionen zugewiesen. Den Zivilen
Diensten geht es
nicht besser. Die NATO, Volmer beschwört die Bündnissolidarität, will sogar ausdrücklich in ihrer
‚Neuen Strategie' notfalls auch gegen internationales Recht und die Verpflichtungen gegenüber den UN
bei wichtigen eigenen
Interessen militärisch vorgehen. Versteht Rot-Grün das und die entdemokratisierenden
‚Sicherheitspakete' unter Weltinnenpolitik? Na, danke!
7. Eine letzte kurze Frage: Bellipazifismus Volmer'scher Machart hat sicher etwas mit dem Versuch zu
tun, eine scheinbar pazifistische Legitimation für die rot-grüne militärische 'Realpolitik'zu finden
und so die Anhänger
der grünen Partei bei der Fahne zu halten. Doch hat er auch etwas mit der Realität von Menschen
überall auf der Welt, deren Menschenrechte zutiefst und in vielfältiger Weise missachtet und verletzt
werden, und dem Strebe
n nach Überwindung von Krieg zu tun? Geht es nicht eher darum, Deutschland machtpolitisch neu zu
positionieren, nämlich als "normale" militärische Großmacht?
Bitte, verbreitet diesen offenen Brief, diskutiert ihn und wenn Ihr mögt, schreibt uns Euere Sicht.
Freundlich grüßend
Dr. Volker Böge, Theo Christiansen (Geschäftsführender Vorstand des Komitees)
Dr. Andreas Buro (Friedenspolitischer Sprecher)
Weitere Beiträge zur Pazifismus-Debatte
Zurück zur Seite "Pazifismus"
Zurück zur Homepage