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Endlich: Gedenkstein für die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure der Wehrmacht in Buchenwald enthüllt

"In Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz ..."

Am 15. Mai - Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerer - wurde in der Gedenkstätte Buchenwald ein Gedenkstein für die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure der Wehrmacht enthüllt. Damit wurden diese Menschen erstmals in Deutschland an einem Ort ihrer Verfolgung geehrt.

Hintergrundinformationen zur Veranstaltung, die wichtigsten Reden und Grußworte sowie der Text des Gedenksteins sind zu finden unter www.eak-online.de.

Im Folgenden dokumentieren wir einen Text zum Hintergrund der Veranstaltung sowie die Rede eines Betroffenen: Ludwig Baumann.


Zum Hintergrund der Veranstaltung

Auf Hitlers Weisung "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben" wurden die Wehrmachtsdeserteure mit über 30.000 Todesurteilen und mehreren zehntausend Zuchthausurteilen verfolgt. Über 20. 000 Todesurteile wurden vollstreckt. Überlebt haben die Verfolgungen in den Konzentrationslagern und Strafbataillonen keine 4.000. Heute leben vielleicht noch 200 Betroffene. Eindeutig rehabilitiert sind sie bisher nicht.

Der Deutsche Bundestag hat mit seinem Beschluss vom 15. Mai 1997 festgestellt: "Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen". Die von der Wehrmachtsjustiz verhängten Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Desertion/Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung wurden mit dem Beschluss zwar für Unrecht erklärt, anderes gilt jedoch, wenn "die der Verurteiltung zu Grunde liegende Handlung auch heute Unrecht ist." Mit diesem Bundestagsbeschluss können sich die Wehrmachtsdeserteure nicht rehabilitiert fühlen, denn Fahnenflucht ist auch heute strafbares Unrecht. Auch mit dem "Gesetz zur Aufhebung der NS-Unrechts-urteile" vom 25. August 1998 sind zwar Millionen NS-Urteile explizit gesetzlich aufgehoben worden, aber nicht die Verurteilungen der Wehrmachtsdeserteure. Dies, obwohl an ihnen die blutigste juristische Verfolgung in der deutschen Geschichte verübt wurde.

Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes müssten sich die letzten noch lebenden Wehmachtsdeserteure nach einem Leben der Diskriminierung und Erniedrigung - besonders durch bundesdeutsche Gerichte - einer staatsanwaltlichen Einzelfallprüfung unterziehen, um ihre Rehabilitierung zu erreichen. Diesen demütigenden Weg wollen sie nicht mehr gehen. Sie fordern für ihre Toten und für sich die gesetzliche Aufhebung der gegen sie ergangenen Urteile.

Die Veranstalter sind der Ansicht, dass angesichts des verbrecherischen Charakters des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges Desertion eine ehrenvolle Handlung war. Vor der deutschen Geschichte ist es ein erschreckendes Zeichen, ausgerechnet denjenigen, die diesen Krieg durch Fahnenflucht verweigerten, 56 Jahre nach Kriegsende eine klare Rehabilitierung zu versagen! Darum fordern die Veranstalter eine eindeutige gesetzliche Rehabilitierung für alle Wehrmachtsdeserteure, für die toten und die wenigen überlebenden.



Der Gedenkstein trägt folgende Inschrift:

In Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz, die den Kriegsdienst verweigert haben und einem verbrecherischen Regime nicht mehr dienen wollten.
Vom November 1944 bis März 1945 wurden mehrere hundert von Kriegsgerichten Verurteilte aus dem Militärstrafvollzug in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen. Fast alle kamen von hier in das Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Viele haben nicht überlebt.



Ludwig Baumann:

Rede anläßlich der Gedenkveranstaltung am 15. Mai 2001


Lieber Herr Knigge, lieber Herr Reemtsma, liebe Freundinnen und Freunde,

es ist für mich eine bewegende Stunde, hier in Buchenwald unserer Toten gedenken zu können. Ich möchte über unsere und meine Verfolgung sprechen - über unseren Kampf um Rehabilitie-rung - aber auch über Krieg und Frieden heute.

Auf Hitlers Weisung "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben" wurden wir De-serteure, Wehrkraftzersetzer und Kriegsdienstverweigerer mit über 30.000 Todesurteilen und mehreren 10.000 Zuchthausstrafen verfolgt. Über 20.000 Todesurteile wurden vollstreckt. Überlebt haben das Grauen in den KZs und Strafbattaillonen keine 4.000 von uns. Heute sind wir vielleicht noch 200.

Mein Freund Kurt Oldenburg und ich desertierten Anfang 1942, weil wir Hitlers Krieg nicht mehr mitmachen wollten. Wir wurden an der Grenze verhaftet und in Bordeaux zum Tode verurteilt. Bei den Vernehmungen, aber auch noch in der Todeszelle wurden wir gefoltert, weil wir unsere französischen Freunde, die uns bei der Flucht geholfen hatten, nicht verraten woll-ten und auch nicht verraten haben. Wie ich heute aus meiner Akte weiß, wurde das Urteil sie-ben Wochen später in zwölf Jahre Zuchthaus umgewandelt - was ich aber nicht erfuhr. Ich lag zehn Monate in der Todeszelle - Tag und Nacht an Händen und Füßen gefesselt. Jeden Mor-gen früh, wenn die Wachen wechselten, dachte ich: " Jetzt holen sie dich!", und wenn sie an der Zelle vorbei waren, dann war ich wieder für einen Tag gerettet. Es war ein Grauen, das mich heute noch traumatisch verfolgt. Gequält haben sie uns so, weil wir zusammen mit Gei-seln einen Ausbruch geplant hatten. Es waren ca. 90 Männer, einige von ihnen noch Kinder. Eines Tages wurden die Angehörigen der Geiseln auf den Gefängnishof gebracht, und wir, die zum Tode verurteilten Deutschen, mussten zur Abschreckung dabei sein. Da sah ich Frauen und Mütter, die ihre Männer und Kinder in den Arm nahmen, sie schrien und wollten sie nicht loslassen. Und ich sah Soldaten der Wehrmacht, die sie brutal auseinanderrissen - und die Gei-seln wurden alle umgebracht.

Über das KZ Esterwegen kam ich nach Torgau Fort-Zinna - dem zentralen Ort unserer Ver-folgung. Von hier kamen viele unserer Opfer in das KZ Buchenwald. Das 1943 nach Torgau verlegte Reichskriegsgericht verhängte dort allein über 1000 Todesurteile. Als Folge einer Diphterie mit schweren Lähmungen musste ich 12 Monate lang das Elend in der Festung Fort Zinna miterleben, auch die Erschießungen im Wallgraben. Als ich gerade wieder etwas laufen konnte, kam ich zum Strafbattaillon, und diese Strafbattaillone wurden nur noch an der zu-sammenbrechenden Ostfront dort eingesetzt, wo mit der militärischen Vernichtungspolitik, der sogenannten "verbrannten Erde", alles niedergemacht worden war - ganze Dörfer mit ihren Einwohnern. Dort wurden wir reingeschmissen, um mit unserem Leben den deutschen Rück-zug zu decken. Fast keiner von uns hat das überlebt, auch mein Freund Kurt nicht.

Nach der Befreiung waren wir Überlebenden körperlich und seelisch zerbrochen, dachten aber, dass unsere Desertion aus Hitlers Krieg nun anerkannt werden würde. Wir wurden aber wei-terhin nur als Feiglinge, Dreckschweine und Vaterlandsverräter beschimpft und bedroht, bis wir an diesem Staat verzweifelten und viele unserer Opfer entwürdigt zugrunde gingen. Erst Anfang der 80er Jahre mit der Friedensbewegung bekamen wir unsere ersten Verbündeten. Der Kampf um unsere öffentliche Anerkennung und Rehabilitierungen begann Mitte der 80er Jahre mit dem Aufstellen von Denkmälern für Deserteure, die in vielen Städten heftige Diskussionen hervorriefen. Im Oktober 1990 konnten wir endlich unsere Bundesvereinigung gründen. Wir, das waren 37 alte Menschen, fast alle gebrechlich und arm geblieben - kaum einer hatte An-schluss an die Gesellschaft gefunden. Seitdem kämpfen wir für unsere Rehabilitierung, für die Aufhebung unserer Urteile - für unsere späte Würde.

Immer wieder sind wir in den zuständigen Ausschüssen und im Plenum des Bundestages ge-scheitert, bis der Bundestag endlich am 15. Mai 1997 in einem Beschluss zu unserer Rehabili-tierung erklärt: Der 2. Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom na-tionalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Eine eindeutige Rehabilitie-rung der Wehrmachtsdeserteure beinhaltet der Bundestagsbeschluss allerdings nicht.

Auch die von uns mit erkämpfte und vom Bundestag am 28. Mai 1998 beschlossene gesetzli-che Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile ist für uns Deserteure nicht befriedigend, denn obwohl die meisten aller Todesurteile der gesamten NS-Justiz gegen uns gefällt wurden, wurden unse-re Urteile - anders als die anderen NS-Unrechtsurteile - nicht explizit aufgehoben. Wir wenigen noch lebenden meist gebrechlichen Männer müssten uns zur Aufhebung unserer Urteile einer Einzelfallprüfung durch die zuständige Staatsanwaltschaft unterziehen. Das werden wir nicht hinnehmen - auch nicht vor der deutschen Geschichte. Die neue Bundesregierung be-schloss in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Okt. 1998, das Gesetz zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile und die Entschädigungsregelung für unsere Betroffenen zu verbessern. Wir haben sie inzwischen mehrfach an ihre Zusage erinnert.

Unser Kampf ist darum so schwer, weil die Richter, welche uns damals verurteilt hatten, über den Krieg hinaus Karriere machten. Diese "Blutrichter", so werden sie inzwischen in einem Urteil des Bundesgerichtshofs bezeichnet, haben die Nachkriegsrechtsprechung entscheidend mitgeprägt. Hätten sie uns rehabilitiert, hätten sie sich selbst als Mordgehilfen anklagen müs-sen. Auch im Bundestag wollten uns unsere Gegner nicht rehabilitieren, u. a., weil damit an-geblich alle Soldaten der Wehrmacht - 18 Millionen - ins Unrecht gesetzt werden würden. Und so hat auch die Bundeswehr mit ihrer Traditionsbindung zur Wehrmacht unsere Rehabilitierung im Rechtsausschuss des Bundestages stets verhindert. Dabei sollten wir Deserteure der Wehr-macht ja Vorbilder für die Bundeswehr sein, denn wollte sie einen Krieg wie die Wehrmacht führen, so wären alle Soldaten der Bundeswehr von der Verfassung her unter Zwang, zu de-sertieren, denn verbrecherische Kriege und ihre Befolgung stehen heute unter Strafe. Und wir könnten ja auch aus unserer Geschichte lernen, dass die Soldaten immer dazu missbraucht wurden - und sie haben sich auch missbrauchen lassen -, alles zu zerstören: fremde Länder, das eigene Land und meist auch sich selbst. Nie hat einer hinterher sagen können, was der, den er umbrachte, ihm denn getan hat.

Im 2. Weltkrieg kam noch hinzu, dass ja auch hinter der Front nur solange millionenfach in den Vernichtungslagern gemordet werden konnte, wie die Fronten verteidigt wurden, d. h. solange die "soldatischen Pflichten" erfüllt wurden. Aus dieser Geschichte zu lernen heißt für mich, sich zu fragen, ob die Soldaten nur früher missbraucht wurden, oder vielleicht auch noch heute.

Nun habe ich ja Diktaturen erlebt, und mir ist Demokratie ein hohes, verteidigungswürdiges Gut. Ich glaube aber, was heute verteidigt wird, nehmen wir oft gar nicht mehr wahr: Da sind ein paar reiche Länder - es sind unsere Länder -, die über 70 % der Schätze und Ressourcen unserer Erde verpulvern und sie damit zerstören, die die armen Länder ausbeuten und dort auch noch ihren Giftmüll abladen. Sie sind die Nutznießer dieser unmenschlichen Weltwirt-schaftsordnung, bei der jeden Tag - auch heute - 100.000 Menschen elendig verhungern.

Wie glaubwürdig sind unsere Länder bei diesen Verbrechen an der Menschheit eigentlich, wenn sie - wie vor 2 Jahren - ausgerechnet mit Bomben Menschenleben retten wollen? Zer-bombt wurde damit auch das Völkerrecht. Getroffen werden sollte dabei aber nur Milosevic und nicht das serbische Volk. Und dann hat das stärkste Militärbündnis aller Zeiten ein kleines Volk und sein Land in Schutt und Asche gelegt. Und Deutschland war dabei, obwohl die Wehrmacht Völkermord an den Serben begangen hatte. Diesmal mit dem Anspruch von Scharping und Fischer, ein neues Auschwitz zu verhindern. Welche eine Verhöhnung der Au-schwitzopfer und welch eine Heuchelei. Denn wenn die Türkei mit ihrer Armee Millionen Kur-den vertreibt, wenn sie tausende kurdische Orte zerstört und 10.000fachen Mord an den Kur-den begeht, so bekommt sie dafür auch noch deutsche Waffen geliefert. Kein Land bekommt von Deutschland so viele Waffen geliefert wie die Türkei.

Wie soll es da denn Frieden geben?

Wir in diesem reichen Land - von keinem bedroht - und mit unserer Geschichte sind aufgeru-fen zum gewaltfreien Handeln.

Es ist doch ein Wahnsinn: Wenn ich einen Menschen umbringe, bin ich ein Mörder, und wenn mir das befohlen wird, bin ich ein Held und bekomme einen Orden. Sich dem zu verweigern, sich niemals mehr von denen da oben dazu missbrauchen zu lassen, Menschen anderer Völker und sich selber umzubringen - das ist auch heute eine Hoffnung für das Leben und für den Frieden.

In diesem Sinne möchte ich unserer Toten in Buchenwald gedenken.

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