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Ein "organisatorischer Pazifismus" braucht eine Weltpolizei

Ein Beitrag zur Pazifismus-Debatte von Tobias Werner (DFG-VK Ost)

Wir haben den folgenden Beitrag, den uns Tobias Werner zuschickte, geringfügig gekürzt.

Der von Herrn Ludger Vollmer geäußerte Meinung kann man in der Tat mit dem Begriff Bellopazifismus umschreiben, welcher hier ja versucht, zwei sich ausschließende Begriffe zu verbinden. Dass dem bisher so war und leider immer noch ist, kann man z.T. nicht abstreiten - nur: Muss bzw. soll dies deshalb etwa für immer so bleiben? Für eine vor der Wahl angeblich dem Pazifismus verpflichte Partei wie die Grünen kann es - gerade heute - eben nicht ausreichen, sich dem Einsatz von Waffen zu friedenserhaltenden Maßnahmen zu öffnen, ohne zugleich einen möglichen Weg zum Erreichen des pazifistischen Endziels aufzuzeigen bzw. ohne sich zum Gedanken des organisatorischen Pazifismus zu positionieren.

Pazifismus ist bestimmt durch den Wunsch nach einer Welt ohne Krieg, welcher ja leider bis heute noch nicht realisiert werden konnte - und was ja nur in weltweiter Übereinstimmung und Zusammenarbeit zu erreichen ist.

Gegenüber den letzten beiden Weltkriegen muss schon der kalte Krieg und sein friedlicher Ausgang als zivilisatorischer Fortschritt angesehen werden. Man hat sich zwar massiv gegenseitig bedroht, vor einem eskalierenden Einsatz der Waffen in seinem eigenen Bereich ist man - angesichts der Erfahrungen - aber zurückgeschreckt. Heute kommt es darauf an, die aus ökonomischer, ethisch-moralischer und ökologischer Sicht heute nicht mehr zu akzeptierende Rüstungsspirale massiv zurückzudrehen und die Kriegs- bzw. Konkurrenz- und Kampfesenergien nun in Gänze in rein zivile Bahnen zu überführen. Genauso wie man die FCKW verboten hat, kann man heute auch die meiste moderne Kriegstechnik verbieten. Zur Kontrolle eines solchen Verbotes bedarf es aber einer von allen akzeptierten Obergewalt.

Die Frage der Positionsbestimmung und also des konkreten Weges war schwierig zu beurteilen, hier haben sich, angefangen von Frau Bertha von Suttner über die Kommunisten, bis hin zu den Grünen in ihrer Anfangszeit, schon so manche verkalkuliert..

Heute muss man sich fragen, ob die Militär-Invasion in Afghanistan die Region nun völlig destabilisiert hat, und dieser Konflikt deshalb auszuufern droht, oder ob er nicht doch eher zu einer raschen Befriedung dieses Landes und zu dessen Befreiung aus der Umklammerung durch sehr mächtigen Terroristen beigetragen hat, welche man früher ja selbst gestärkt hatte.

Wenn die bisherigen Antworten der Friedensbewegung (so sie denn formuliert wurden) hier für viele wohl eher unbefriedigend waren, so hat sie doch darin Recht, dass sich die internationale Sicherheitspolitik heute in einer höchst bedenklichen und riskanten Situation befindet: "Trotz" hoher Kosten und der massiven Aufrüstung bei allgemeinen Interesse am Weltfrieden, ist die Sicherheit nur dürftig bis mäßig gut gegeben, schlittert man hier, mit vielen Ausrutschern, permanent an tiefen Abgründen lang.

Bei der Suche nach Auswegen muss die von allen bzw. vielen ja immer wieder betonte Stärkung der UNO endlich mal konkret angesprochen werden, und dies schon bei der Lösung des Nahost-Konfliktes und des Terrorismus-Problems. Zwar kann man diese und ähnliche Probleme z.T. als Altlasten des Kalten Krieges betrachten, welche zur Not z.T., und vor allem von den deren Hauptträgern, auch gewaltsam korrigiert werden müssen Allerdings muss hier am Ende dieses Prozesses dann eine neue internationale Sicherheitsarchitektur stehen, bei der man dann auf die - mit dem z.T. massiven Einsatz von nichtdifferenzierender Kriegstechnik, bei zudem unbefriedigender internationaler Legitimation gekennzeichneten - bisherigen Übergangskompromisse für immer verzichten kann! Schon bei der Lösung des Nahost- oder des Irak-Konflikts könnte bzw. dürfte bei geschicktem Vorgehen der Einsatz von UN-geführtem Militär nur noch als Drohinstrument ausreichend sein. Dabei spricht vieles dafür, die in Ansätzen z.T. ja schon vorhandenen neuen Strukturen schon bei der Lösung dieser Konflikte umzustrukturieren bzw. adäquat einzusetzen, da die Ungerechtigkeiten der bisherigen Sicherheitsarchitektur, also die US-amerikanischen Hegemonialbestrebungen, ja auch wichtige Ursachen dieser Probleme waren und sind.

Um weitere Kriege zu vermeiden ist nicht jedenfalls nicht nur die im bisherigen Rahmen betriebene Prävention wichtig (wie z.B. die Erhöhung der Entwicklungshilfe und ihr optimierter Einsatz), sondern gerade auch ein neuer bzw. besserer Rahmen! Der wichtigste Grundgedanke kommt hier vom sog. organisatorischen Pazifismus: Bei einer von allen Mitgliedern akzeptierten und legitimierten, allen anderen in der Regel überlegenen Zentralgewalt, wird man eine allgemeine Abrüstung durchführen können und dem Krieg so seine Mittel, also seine Basis entziehen.

Der leicht einsichtige - aber sicher schwer zu realisierende - Grundgedanke des organisatorischen Pazifismus besteht ja darin, dass es eben nicht mehr eine Vielzahl konkurrierender (nationaler) Einzelgewalten, sondern (zumindest auch) eine übermächtige Zentralgewalt gibt - bei ansonsten allgemeiner und weitgehender Abrüstung, wodurch sich das Militärische ins Polizeiliche umwandeln kann und so - bei höherer Sicherheit - eben auch eine substanzielle Abrüstung der Teilnehmer resultiert (was sich beides ja auch gegenseitig bedingt). Bei Einbezug aller Länder, resultiert dann eben erstmals eine weltweite Abrüstung!

Hinzu müssen natürlich konkrete und klarere völkerrechtliche Gesetze und Regelungen für alle möglichen Konfliktfälle kommen. So kann und dürfte dann aus der Rüstungs- eine Abrüstungsspirale werden, da alle Mitglieder dann eben an möglichst viel Sicherheit bei möglichst niedrigen Mitgliedsbeiträgen interessiert wären. Ein gewünschter Machtgewinn ließe sich so ja für keine Gruppe bzw. kein Volk mehr durch den Einsatz militärischer Mittel (und dem Einsatz direkter und primitiver kämpferischer Mittel), sondern nur noch durch die - auf der Basis der dann ja ebenso global angeglichenen und kontrollierten - zivilen, also politischen, wirtschaftlichen und den diversen natürlichen "Kampfmittel und -techniken" erreichen, auf die man sich im Rahmen von allgemeinen Regeln dann umso mehr konzentrieren dürfte.

Nach der vollständigen Durchsetzung einer allgemeinen globalen Entwaffnung, also einer substanziellen Abrüstung und dem Funktionieren der regulativen Mechanismen eines Weltstaates, kann man sich hier dann also wirklich auf wenige, und eben vor allem polizeiartige, Waffen und Waffensysteme beschränken.

Trotzdem dürfte eine glaubwürdige Weltpolizei in ihrer Ausstattung und Größe sicher etwas anders als die für die regional-kontinentale Sicherheit zuständigen Sicherheitskräfte ŕ la "BGS" aussehen. Gerade in die Übergangszeit, also der Phase der allgemeinen Abrüstung, müsste die UNO wohl auch noch auf herkömmliche Militärtechnik wie Bomber und Panzer, evtl. auch Flugzeugträger, zurückgreifen können. (Zur Not muss man eine von Rebellen gesicherte Chemiewaffenfabrik eben auch mal schnell bombardieren können, so perfekt wie ein (eigener) Staat, lässt sich die Welt ja noch nicht kontrollieren). U.E. ist hier eine subsidiare Gliederung in eine regionale, kontinentale und eben die globale "Weltpolizei" wünschenswert. Die kontinentale Gruppierung muss z.B. kurzfristig in der Lage sein, Aufstände oder räuberische Umzüge größerer Menschenmassen (ŕ la Völkerwanderung) , sowie das unerlaubte Eindringen von größeren (und kleineren) Menschengruppen, für einige Zeit zu verhindern, bis - falls nötig - weitere und stärkere internationale Kräfte vor Ort sind. Ausrüstungsart, Stärke und Aufgaben der kontinentalen und regionalen Kräfte müssten hierzu deshalb mit der jeweils oberen Ebene eng abgestimmt werden.

Die globale Ebene der Weltpolizei müsste die Verfügungsgewalt über wichtigsten Gewaltmittel, also die weitreichendsten und modernsten Waffen, Spezialkräfte (z.B. "Langstreckenpanzer" - und auch Jagdflugzeuge), globale Transportsysteme und die oberen Führungs-, (satellitengestützte) Aufklärungs- und Kommunikationssysteme (z.B. auch Kontroll- und Schutzmöglichkeiten des Internets), sowie das Monopol für interkontinentale Geheimdienstaktivitäten haben. Sie muss zur Not ja auch in der Lage sein, sogar gegen den Willen der Regional- bzw. Nationalpolizei - z.B. kleinere illegale Bio- und Chemiewaffenlabors oder terroristische Gruppierungen mit kontinental-globalem Anspruch (mit) zu bekämpfen, also rasch "auszuschalten". Die benachbarten, in ihrer Reichweite auf den kontinentalen Einsatzbereich begrenzten, Kontinentalkräfte brauchen im Notfall durch die UN-Transporttechnik dann nur rasch zusammengezogen und durch die Kommunikations- und Führungssysteme vernetzt werden, sodass sich diese nur für den örtlichen Normalfall ausgerüsteten Kräfte sich dann rasch potenzieren können. Die Zuführung von Spezialkräften, würde deren Schlagkraft potenzieren. Dieses hohe Gewaltpotential würde den unteren Einheiten (Regionen und Kontinenten) zum potentiellen Missbrauch dann aber eben nicht zur Verfügung stehen!

Zumindest zur Brechung vereinzelten vertragsbrüchigen Widerstandes einzelner Staaten und Gruppierungen und bis zur vollständigen Abrüstung und dem Abschluss der globalen Neuorganisation, also bis zu seiner vollen Etablierung und Bewährung müsste der Weltstaat aber wohl noch einiges an auch militärischen Machtmitteln besitzen, gerade auch als Druckmittel. Der einfachste Weg zu seiner Etablierung bestünde darin, dass gerade die großen Militärmächte, (hier vor allem die Nato) bei der Unterstellung unter das UNO-Kommando, also der Internationalisierung ihrer gesamten Kriegstechnik gemeinsam vorangehen.
...
Im folgenden versuche ich kurz zu umreißen, wie solch ein weltstaatliches Gebilde aufgebaut sein müsste und wie der Weg dahin aussehen könnte bzw. sollte.

Ein suffizienter Weltstaat braucht nicht nur eine bessere und transparentere Weltbank, eine gerechtere WTO und ein internationales Kriegsverbrechertribunal, sondern auch eine von allen anerkannte -erneuerte - Weltverfassung-, ein Weltverwaltungs-, und ein Weltstrafgericht (wo Verstöße von Staaten und Staatenbündnissen gegen das klar(er) definierte Menschen- und Völkerrecht verhandelt werden) und also auch eine Weltstaatsanwaltschaft.

Neben einem Weltsicherheitsrat muss es einen kompetenten Weltumwelt-, Weltsozial-, Weltgesundheits- und Weltforschungs- und Weltwirtschaftsrat geben (also globale Umweltverträglichkeitsprüfungen für global relevante Schadensvorhaben, und globale Entwicklungspläne). Die Weltverfassung sollte auch klare und verbindliche Regelungen und Verfahren für die Sezession einzelner Völker bzw. Regionen aus bisherigen Bindungen enthalten. Dazu müssten die zumeist ja schon bestehenden UN-Organisationen meist nur mehr oder weniger ausgebaut und auch besser koordiniert werden, mehr Geld und Kompetenzen erhalten und transparenter, also besser kontrollierbar, werden .

Man braucht diesen Weltstaat ja eben nicht nur für die Lösung des globalen Sicherheitsproblems, sondern auch für die Lösung der (dieses mitbedingende) globalen Umwelt- und Sozialfragen. (Erfordernis globaler Umweltverträglichkeitsprüfungen, globaler Umweltschutzprogramme, globaler Entwicklungsprogramme usw.).

Zumindest was den Sicherheitsrat anbetrifft, sollte sich die Neugliederung an den Kontinenten orientieren. Dies könnte beispielsweise so aussehen, dass Asien, Nord- und Mittelamerika, die vergrößerte EU (im Falle eines Einbezugs von Russland) und Asien je 3 Sitze, Südamerika und Afrika 2, Australien und die arabische Welt (Arabische Liga einschließlich des von ihr anerkannten Israel) je 1 Sitz bekommt. Bei der Stimmverteilung in der UN-Vollversammlung sollte man auf eine Vergabe der Stimmen nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl orientieren, und die Wirksamkeit des Stimmrechts auch an die Zahlung der darauf fußenden Mitgliedsbeiträge koppeln, um so auch der Dynamik sich ändernder Kräfteverhältnisse besser gerecht zu werden.

Die konkreten Ansätze zur Stärkung der UNO sind schon beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus und bei der Lösung des Nahostkonflikts wünschenswert, sollten aber spätestens in Auswertung dieser Vorgänge vereinbart werden. (Hier sollte von der Friedensbewegung kurzfristig gerade der Vorschlag der arabischen Liga zum Einsatz von UNO(geleiteten) Schutztruppen und einer UN geleiteten Vermittlung eingefordert werden!)

Bei der Verfolgung von Bin Laden und Al-Kaida ist heute von Deutschland und Europa - verstärkt und immer wieder (!) - der Einsatz eines internationalen Strafgerichtshofs zu einzufordern!

Ein weiterer Ansatz ergibt sich aus der Vertiefung der europäischen Integration. Hier könne man die englische und französische Stimme zu zwei europäischen Plätzen bündeln. Auch eine Integration Russlands (mit Weissrussland und der Ukraine) würde hier vieles in Bewegung bringen, wobei man m.E. nur dessen europäischen Teil integrieren sollte. (Sibirien könnte perspektivisch sowohl an die EU, als auch an eine analoge asiatische Staatengemeinschaft assoziiert werden). Eine solche Entwicklung dürfte auch die analogen Tendenzen auf anderen Kontinenten stark voranbringen.

... Man braucht sich bei den Reformen also nur an den bereits bestehenden Organisationen und Strukturen zu orientieren, das Ganze als Weiterführung eines bereits begonnenen Entwicklungsprozesses ansehen, bei dem es möglich erscheint, dass sich in einigen Jahren oder Jahrzehnten, getragen von den ersten Erfolgen und Erfahrungen, eine permanente Kultur des Friedens entwickelt und (sich) stabilisiert, wie dies von der UNO ja auch schon immer gefordert und gefördert wird. Diese könnte dann als die Verwirklichung der pazifistischen Ideals angesehen werden, wenngleich es - allen Erfahrungen nach - (wohl auch hier) immer eine gewissen Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit geben dürfte. Allerdings muss der Weltstaat in seiner Struktur und Verfassung hier schon im Vorfeld sehr gut, am besten eben perfekt durchdacht sein bzw. eingereichtet werden, sonst wird man die zu seiner Durchsetzung erforderliche fast perfekte Zustimmung aller Staaten ja wohl nicht erreichen. ...


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