Belli-Pazifismus? Ohne uns!
Herrn Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ein Offener Brief des Komitees für Grundrechte und Demokratie
Köln, im Februar 2002
Ludger Volmer - grüner Staatssekretär im Auswärtigen Amt - will
der Friedensbewegung ein bisschen Bellizismus verordnen. Einem
solchen Belli-Pazifismus muß jedoch entschieden widersprochen
werden. Volmers Text war auf der Dokumentationsseite der
Frankfurter Rundschau vom 7.1.2002 veröffentlicht. Wir richten
unsere Gegen-Argumentation in Form eines Offenen Briefes an
Ludger Volmer. Da uns Ludger Volmer aus früheren Zeiten als
Mitstreiter der Friedensbewegung noch gut bekannt ist, haben wir
diese Veröffentlichung im persönlichen Stil des Briefes belassen.
Lieber Ludger Volmer,
im folgenden möchten wir zu Deinem Artikel in der FR vom
7.1.2002 (Was bleibt vom Pazifismus) Stellung nehmen. Du legst
in diesem Text recht ausführlich Deine Sicht der jüngeren
Geschichte des Pazifismus in Deutschland dar, wobei das zu dem
Zweck geschieht, die aktuelle und für die Zukunft geplante Außen-,
Sicherheits- und Militärpolitik der rot-grünen Regierung zu erläutern
und gegenüber einer politischen Strömung in der Gesellschaft zu
rechtfertigen, die Du "politischen Pazifismus" nennst.
Die von Dir mit einigem Aufwand betriebene Differenzierung diverser
Typen (eine flüchtige Zählung ergibt ein knappes Dutzend) von
"Pazifismus" zieltbewußt oder unbewußt - am Problem vorbei.
Geht es doch vielmehr sehr viel konkreter um die militärischen
Einsätze deutscher Streitkräfte in jüngster Vergangenheit, um
deren politische Bewertung und politische Einordnung. Du hältst
sie für politisch -und auch moralisch - gerechtfertigt, ja geboten und
meinst, dass auch künftig solche Einsätze notwendig sein werden
und dass sich "Pazifisten" bitte dieser Notwendigkeit nicht
verschließen mögen. Genau diese Argumentation gilt es, auf ihre
Plausibilität zu überprüfen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen:
Deine Argumente reichen nicht hin; ein von Dir so apostrophierter
"politischer Pazifismus" hat alle Gründe für sich, die Einsätze, um
die es geht, abzulehnen und für die Zukunft gegen Einsätze, die
mit ähnlichen Argumentationen begründet werden, einzutreten.
Friedenspolitik - Inhalt KEINE ALTERNATIVEN ZUM KRIEG?
Eine Deiner zentralen Argumentationsfiguren ist das Postulat der
Alternativlosigkeit: Sowohl zum Krieg gegen Jugoslawien als auch
zum Krieg gegen Afghanistan habe es keine Alternative gegeben.
Ein weiteres Mal spielst Du im Kontext dieser Argumentation - wie
bei rot-grün mittlerweile üblich - die beiden Elemente des Postulats
"Nie wieder Krieg, Nie wieder Auschwitz" gegeneinander aus. Du
schreibst: "Wer den Antimilitarismus retten wollte, musste das
faschistische und völkermörderische Treiben gegen die Kosovo-
Albaner hinnehmen. Wer ethnische Säuberungen als Konsequenz
aus der faschistischen Vergangenheit verhindern wollte, musste Ja
sagen zu einem bedingten Militäreinsatz". Damit schreibst Du
KriegsgegnerInnen einerseits, KriegsbefürworterInnen andererseits
je spezifische Motive zu, die sie so nicht hatten.
Mit Blick auf die Kriegsgegner ist es unangemessen, ihnen zu
unterstellen, sie wollten mit ihrer Kriegsgegnerschaft den
"Antimilitarismus" - also eine abstrakte politische Idee, einen
leblosen "-ismus" retten; denen sei es mithin nur um
Prinzipienreiterei gegangen - bei Hinnahme von "Faschismus" und
"Völkermord". Nein. Den KriegsgegnerInnen ging es zuallererst um
die Rettung von Menschenleben und um eine politische Lösung der
Konflikte; und weil sie befürchteten, dass der Einsatz von Militär -
wie alle historische Erfahrung zeigt - eher Menschenleben kostet
und keine politische Lösungen bewirkt, stellten sie sich gegen
diesen Krieg, zumal die politischen Handlungsräume zur
Bearbeitung des Konflikts noch lange nicht ausgeschöpft waren,
eine völkerrechts- und verfassungsmäßige Legitimation des
Krieges nicht gegeben war und mit ihm aus ihrer Sicht ganz andere
als die vorgeblichen "humanitären" Beweggründe und Ziele verbunden waren.
Den Kriegsbefürwortern andererseits gestehst Du zu, dass sie "faschistisches und
völkermörderisches Treiben" nicht hinnehmen und "ethnische Säuberungen als
Konsequenz aus der faschistischen Vergangenheit verhindern wollten".
Statt konkreter Analyse der Situation lieferst Du damit Reizworte und
instrumentalisierst die deutsche Nazi-Vergangenheit zur Legitimation der
Kriegsbeteiligung. Das ist ebenfalls unangemessen. Bei allem Schrecklichen,
was seinerzeit im Kosovo passiert ist: um "Faschismus" (und zwar einen - wie
Du selbst mit Hinweis auf die "faschistische Vergangenheit" suggerierst - dem
nazi-deutschen Faschismus "ebenbürtigen") hat es sich ebenso wenig
gehandelt wie um "Völkermord". Diese starken Vokabeln dienen in diesem
Kontext dazu, den Einsatz allerschwerster Geschütze - also Krieg - zu
rechtfertigen (und als Nebeneffekt wird der deutsche Faschismus verharmlost).
Nur ein "bedingter Militäreinsatz" habe Abhilfe schaffen können. Ganz abgesehen
davon, dass das Wörtchen "bedingt" dazu herhalten muss, einen ausgewachsenen
Krieg, der Tausenden von ZivilistInnen das Leben gekostet hat,
der die zivile Infrastruktur eines Landes zertrümmert hat, der umfassende
bleibende Umweltzerstörungen verursacht hat und in dem zahlreiche Bestimmungen
des humanitären Kriegsvölkerrechts eklatant missachtet worden sind,
kleinzureden, hat dieser Militäreinsatz weder die selbst postulierten Ziele
erreicht noch stellte er die einzig mögliche Handlungsoption dar: Gerade in
Gefolge des Nato-Bombenkrieges kam es zu Massenvertreibungen, und nach
Einstellung der Kampfhandlungen mussten Serben, Roma und Juden aus dem Kosovo
fliehen: Heute sind die dem Konflikt zu Grunde liegenden Probleme immer noch
weit von einer politischen Lösung entfernt. Alternative politische Optionen
wurden nicht verfolgt, und zwar weil den maßgeblichen Handlungsträgern in der
Nato der politische Wille dazu fehlte.
Jedenfalls gibt der Nato-Krieg gegen Jugoslawien nichts her für Dein zentrales
Argument, dass ein auf der Höhe der Zeit befindlicher "politischer Pazifismus"
"nicht ganz" - wie Du, abermals verniedlichend, schreibst -auf
"militärische Mittel" verzichten kann. Mit dem "nicht ganz" willst Du ja
offensichtlich suggerieren, dass der Einsatz militärischer Mittel nur im
aller-alleräußersten Ausnahmefall, als "ultima ratio" in Frage komme. Misslich
für Dich nur, dass mit dem Krieg gegen Afghanistan nun schon wieder zur
"ultima ratio" gegriffen wurde. Zweimal "ultima ratio" innerhalb einer
Legislaturperiode ist ein bisschen viel, oder? Zumal neben die Legitimation
von Krieg als "humanitärer Intervention" nach dem Modell Jugoslawien/Kosovo
nun die Legitimation von Krieg als "Kampf gegen den Terrorismus" nach dem Modell
Afghanistan/Al Qaida tritt. Zwei Ausnahmefälle - oder nicht doch eher
Präzedenzfälle, die Schlimmes für die Zukunft ahnen lassen?
AFGHANISTAN: EIN EMANZIPATIVER BEFREIUNGSKRIEG?
Deine Argumentation für den Krieg gegen Afghanistan ist ebensowenig stimmig wie
im Falle Jugoslawien - und im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den
KriegsgegnerInnen ebenso unredlich. Zunächst behauptest Du, der Kri
eg gegen Afghanistan diene der Befreiung, der Emanzipation und der Verteidigung
gegen neue terroristische Angriffe. Jedoch: die Befreiung des afghanischen
Volkes von der Taliban-Herrschaft und die Emanzipation der afghani
schen Frauen von besonders krassen und abstoßenden Formen patriarchaler
Herrschaft waren nicht die primären Motive und Ziele der US-geführten "Allianz
gegen den Terror". Die Unterdrückung des afghanischen Volkes und die K
nechtung der afghanischen Frauen währen schon geraume Zeit, ohne dass man sich
zum militärischen Eingreifen bemüßigt gesehen hätte. (Nur nebenbei sei
angemerkt, dass die Unterdrücker, die Taliban, die Aufrichtung ihrer He
rrschaft nicht zuletzt der tatkräftigen Unterstützung von US-Institutionen wie
der CIA verdanken und dass sie vor nicht allzu langer Zeit als Staatsgäste in
den USA gern gesehen wurden - Zusammenhänge, die Du geflissentlich
verschweigst; ebenso wie Du salopp behauptest, "Rohstoffinteressen" seien
"nicht bestimmend" für das Vorgehen der Anti-Terror-Allianz, obgleich ebenfalls
allgemein bekannt ist, dass Erdöl und Erdgas und entsprechende
Pipelines zur politisch-strategischen Bedeutung der Region ganz erheblich
beitragen). Befreiung und Emanzipation sind bestenfalls Nebeneffekte des Krieges
- und ob es dazu kommt, ist weiterhin fraglich: "Unsere" Bündnispartner aus
der Nordallianz, die mittlerweile die Macht in Afghanistan übernommen
haben, sind bisher eher als Taliban-ebenbürtige Schlächter und
Menschenrechtsverletzer denn als Vorkämpfer von Frauenemanzipation und
Demokratie in Erscheinung getreten. Ob Frieden, Menschenrechte und Demokratie
unter den veränderten politischen Bedingungen in Afghanistan tatsächlich eine Zukunft
haben, ist noch lange nicht ausgemacht. Ausgemacht ist aber allem, dass
auch dieser Krieg wieder Tausende von ZivilistInnen zu Opfern der
US-Bombenangriffe gemacht hat und ein ohnehin schwer zerstörtes Land noch weiter
zerstört hat. Und ausgemacht ist, dass künftig noch viele Kinder
auch nach dem Ende der Bombardements Opfer nicht detonierter US-Streubomben
werden können. Sind diese Opfer unter Frauen und Kindern den "Kampf gegen den
Terror" wert? Die erklärten Ziele des Krieges waren die Zerschlagung
terroristischer Netzwerke wie Al-Qaida und die Ergreifung (oder - folgt man
US-Präsident Bush - auch Ermordung) der Hauptverantwortlichen für die
terroristischen Anschläge von New York und Washington, nicht die Emanzipation
der afghanischen Frauen. Und zur Erreichung dieser Ziele (die bisher nicht
erreicht wurden) ist Krieg kein völkerrechtlich illegitimes Mittel.
Zum ersten ist es außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit, für die Ergreifung von
Verbrechern - und seien ihre Verbrechen auch so schwer wie die Angriffe auf das
World Trade Center - den Tod von tausenden unschuldigen Menschen bewußt
in Kauf zu nehmen. Die afghanischen Frauen und Kinder tragen genauso
viel Verantwortung (nämlich gar keine) für die Terrorangriffe wie die Frauen und
Kinder aus Hamburg-Harburg, wo einige der mutmaßlichen Terroristen sich
auf die Anschläge vorbereitet haben sollen. Wird hier - menschenrechtlich
völlig inakzeptabel - nicht mit zweierlei Maß gemessen?
Afghanen sind weniger wert als New Yorker oder Hamburger - so die implizite
Botschaft der US-Bombenangriffe auf Afghanistan.
Zum zweiten gilt auch hier ebensowenig wie im Falle Kosovo/Jugoslawien das
Argument, es gebe keine Alternative zum Krieg. Die Wahrheit ist, dass die
US-Administration von Anfang an (also keineswegs als "ultima ratio") auf
Krieg gesetzt hat. Möglichkeiten, auf politischem Wege die Taliban zu
entmachten und Al-Qaida auszuschalten, hätte es durchaus gegeben - auch wenn das
vielleicht etwas länger gedauert hätte -, doch der politische Wille hi
erfür war nicht da. Abgesehen davon: Die Alternative zum Krieg ist in diesem
Falle, wo es um Schwerverbrechen und Verbrecher geht, die Verbrechensbekämpfung
mit polizeilichen Mitteln und die Strafverfolgung der Täter, die
vor ein ordentliches Gericht zu stellen und von einem solchen zu bestrafen
sind. Genau so wurdemit Erfolgim Zusammenhang mit dem ersten terroristischen
Anschlag auf das World Trade Center 1993 verfahren. Statt dessen
beantwortet herrschende Politik Terror mit Gegenterror, übt sich in Selbstjustiz
und macht unbeteiligte Dritte zu Opfern von Vergeltungsmaßnahmen, folgt einer
(einmal mehr völkerrechtswidrigen) militärischen Logik, die unweigerlich
in eine Eskalationsdynamik hinein führt, die neue Terroristen nahezu
zwangsläufig produziert und damit nicht besserem Schutz der Bevölkerung und der
Verhinderung neuer Straftaten dient, sondern eher das Gegenteil
bewirken wird. Langfristig schließlich bekämpft man Terrorismus nur wirksam,
indem man seine Ursachen bearbeitet und ihm damit die Rekrutierungsbasis
entzieht.
PAZIFISTEN IM LEHNSTUHL?
Angesichts der katastrophalen Ergebnisse der Terrorismusbekämfpung mit
militärischen Mitteln ist Deine Abkanzelung der Haltung der "Pazifisten",
gemeint sind wieder die Gegner dieses Krieges, völlig "daneben". Diese wollt
en die Anschläge "nicht als bewaffneten Angriff begreifen", würden sich
zurücklehnen und jene anprangern, die beim Kampf gegen den Terror auch
Unschuldige treffen, schließlich gar "Opfer zu Tätern" erklären.
So geht es nicht. Im Einzelnen:
Die Zurückweisung der Kennzeichnung der Attentate als "bewaffneter Angriff"
steht im Kontext einer völkerrechtlichen Argumentation: die Erklärung des
NATO-Bündnisfalles ist nur bei Vorliegen eines "bewaffneten Angriffs"
möglich. Dieser Argumentationskontext soll aus völkerrechtlicher Sicht in Frage
gestellt werden - die Schwere des Verbrechens wird damit keineswegs geleugnet.
(Überdies kommst Du mit Deiner Argumentation jetzt womöglich in
arge Schwierigkeiten, wenn Du das Verhalten Deiner US-Freunde gegenüber den
gefangenen Taliban und Al Qaida-Kämpfern legitimieren musst, werden diese von
den USA doch gerade nicht als Kriegsgefangene anerkannt - was sich
logisch aus der Argumentation "bewaffneter Angriff / Verteidigungskrieg" ergäbe
-, sondern als illegitime/gesetzlose Kämpfer).
Die KriegsgegnerInnen lehnen sich auch nicht zurück, sondern zeigen die
Untauglichkeit kriegerischer Mittel für den Kampf gegen den Terrorismus auf,
verweisen auf Alternativen, versuchen die Ursachen dieser Art von Terror
ismus aufzudecken und entwickeln antimilitaristischen Widerstand gegen diesen
Kriegauch und gerade, weil beim Kampf gegen den Terror ŕ la Afghanistan-Krieg
viel zu viele Unschuldige getrofffen werden.
Mit der Erklärung von "Opfern zu Tätern" hat das nicht das geringste zu tun. Die
"Opfer" sind die Toten von New York und Washington und ihre Angehörigen. Das
sind aber keineswegs die "Täter" im Afghanistan-Krieg; "Täter"
sind hier die US-Regierung und die verbündeten Regierungen sowie deren
militärische Apparate, die mit ihrem kriegerischen Rachefeldzug gerade jene
Werte der "westlichen Zivilisation" mit Füßen treten, die doch angeblich g
egen die terroristische Bedrohung verteidigt werden sollen.
DEUTSCHES GROSSMACHTSTREBEN - ODER: VON REALPOLITIKERN UND WELTBILDBEWAHRERN
Der pauschale Vorwurf, "die Realitäten (zu) verdrängen, um ein Weltbild zu
retten", trifft nicht. Dass es um unterschiedliche Einschätzungen der
"Realitäten" und sich daraus ableitende unterschiedliche politische Handlung
soptionen geht und nicht - wie Du versuchst zu suggerieren - um den Gegensatz
zwischen wirklichkeitsverdrängenden Weltbildbewahrern und Realpolitikern, wird
vollends deutlich bei Deiner Beschreibung deutscher Politik und
der auf sie einwirkenden Sachzwänge. Du tust so, als wenn alle Welt von "den
Deutschen" auch militärische Beiträge "zur Lösung regionaler und globaler
Konflikte" erwartet und dass "wir" uns dem nicht länger entziehen könn
ten. Wie war das gleich im Falle Afghanistan konkret? Hat da nicht Dein Chef
Schröder den USA einen deutschen "militärischen Beitrag" wie sauer Bier
angeboten, und wurde dieses Angebot nicht nur missmutig akzeptiert? Allg
emeiner: Was hier als Antwort auf das Drängen der "Anderen" ausgegeben wird,
liegt doch voll und ganz auf der Linie deutscher Regierungspolitik zumindest des
letzten Jahrzehnts, nämlich: Deutschland wieder zur "Normalität
" einer Macht zurückzuführen, die endlich wieder eine ihrem ökonomischen Gewicht
entsprechende (weltmacht)politische Rolle auszufüllen in der Lage ist, wozu es
nun einmal auch der Abstützung auf entsprechende militärische
Mittel bedarf. Die nachkriegsbedingte Sondersituation, die Deutschland
militärische Beschränkungen auferlegte, soll überwunden werden, damit man in der
machtpolitischen Konkurrenz künftig auch wieder die "militärische Ka
rte" spielen kann. Diese Machtpolitik wird umgesetzt via Integration in EU und
Schulterschluss in der NATO. Die deutsche Bevölkerung wird daran gewöhnt, dass
Krieg wieder ein Mittel der Politik wird. Mit Schrecken ist fes
tzustellen, dass das Thema gesellschaftlich in der Tat bereits "durch" zu sein
scheint: Krieg wird weitgehend bereits wieder als Element "normaler",
"ordentlicher", "richtiger" Politik akzeptiert; ein dritter Krieg unter
Rot-Grün noch vor den nächsten Wahlen kann nicht ausgeschlossen werden.
Die von Dir bemühten hehren Begriffe der "Selbsteinbindung" und
"Selbstbeschränkung", die angeblich zwei Leitlinien deutscher Außenpolitik
seien, zielten im Kontext der grünen Oppositionspolitik der 80er Jahre gerade
darauf, einer solchen Machtpolitik die Mittel zu versagen. Was aber ist an der
Beteiligung an zwei Kriegen in einer Legislaturperiode "Selbstbeschränkung", was
am Streben nach einer Führungsrolle in EU, NATO, UNO "Selbsteinbindung"? Bei
der deutschen Beteiligung an den jüngsten Kriegen ging es nicht so
sehr um "humanitäre" oder "antiterroristische" Interventionen, sondern darum,
deutsche Politik auch über das Mittel Militär wieder in die "erste Liga"
der Mächte voranzubringen ("mitschießen um mitbestimmen zu können"
trifft die Sache doch weit besser - wobei Mitbestimmung angesichts des rabiaten
US-Unilateralismus eine trügerische Hoffnung ist). Auch das
"Sonderweg"-Argument sticht nicht: Schließlich ist die Alternative zum
Mitmachen ja nicht ein nationalistisch-machtgestützter Alleingang, sondern
genau das Gegenteil: Verzicht auf Machtpolitik und die sie abstützenden
militärischen Mittel, nicht "Sonderweg" also, sondern gutes Beispiel, das auf Andere
ausstrahlen kann und zum friedenspolitischen Mitmachen animiert.
Nur ganz am Rande: ebenso verfehlt wie Deine Beschreibung deutscher Politik ist
auch jene der weltpolitischen Lage: Da ist von einer Annäherung von USA,
Russland und China die Rede, davon, dass die USA vom Unilateralismus
abgehen "und wieder mit dem Multilateralismus" "liebäugeln" würden, dass sich
daraus ungeahnte Chancen für eine Weltordnungspolitik und Weltinnenpolitik
ergeben würden. Man fragt sich: Verdrängst Du die "Realitäten, um e
in Weltbild zu retten"? Trotz allen "Koalitions"geredes: In der Allianz gegen
den Terror bestimmen allein die USA als einzig weltweit handlungsfähige
Hegemonialmacht ganz und gar unilateral, wo es lang geht. Russland und
China nutzen die Gelegenheit, mit eigener innerer Opposition (Tschetschenien,
Tibet, Uiguren, ...) unter dem Deckmantel der "Terrorismusbekämpfung"
abzurechnen -eine menschenrechtlich-friedenspolitisch "feine" Gesellschaft!
REALPOLITISCHE LIPPENBEKENNTNISSE ZU ZIVILER KONFLIKTBEARBEITUNG
Fehlen darf bei Dir schließlich auch nicht das (Lippen-)Bekenntnis zu ziviler
Konfliktbearbeitung und zur Krisenprävention, die es zu stärken gelte. Was zählt
dieses Bekenntnis angesichts von zwei Kriegen, der Umrüstung der Bundeswehr
zur Interventionsarmee, ungebremster Rüstungsexporte und einer
umfassenden ideologischen Offensive (zu der auch Dein FR-Artikel zählt), die den
"Pazifisten" den Einsatz militärischer Mittel schmackhaft machen soll?
Makaber Dein Hinweis, die Bundesregierung habe ihre eigenen Mittel für
zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention "energisch ausgebaut". Wie sehen
denn die Relationen zwischen Militärhaushalt und Aufwendungen
für Krisenprävention aus? Wenn man - so Deine Position - auf militärische
Mittel "nicht ganz" verzichten kann, dann muss man für die Vorhaltung und die
Modernisierung dieser Mittel sein, damit sie mit Aussicht auf Erfolg
eingesetzt werden können. Permanente Aufrüstung ist die Konsequenz. Wenn man
weltweit auch militärisch zur "Lösung" von Konflikten beitragen will, dann
braucht man eben entsprechende Lufttransportkapazitäten, Aufklärungs
mittel usw. Eine permanente Steigerung der Militärausgaben ist die Folge. Und
dass sollen politische Pazifisten" künftig mittragen? Zu viel verlangt!
ANTIMILITARISMUS STATT ULTIMA-RATIO-BELLIZISMUS
Bitter dann, was Du dem "politischen Pazifismus" quasi als Rest-Aufgaben heute
und künftig noch zubilligst, nachdem er militärische Gewalt und die Vorhaltung
entsprechender Gewaltmittel gefälligst zu akzeptieren hat: Er möge doch
bitte für den Primat der Politik sorgen, er möge für die zentrale Rolle
der UN streiten, für "Auswärtige Kulturpolitik" und andere schöne Dinge mehr.
Deine Quintessenz: "Pazifismus heute kann militärische Gewalt
als Ultima Ratio, als letztes Mittel, nicht leugnen, kämpft aber für die Prima
Ratio, die zivilen Mittel der Krisenprävention". Selbstverständlich kann man
militärische Gewalt nicht leugnen, sie ist ja offensichtlich da;
Du aber meinst und willst, dass man sie gutheißt - und das ist dann doch wieder
zu viel verlangt. Deine prima-ultima-Dialektik mag zur Beruhigung Deines
Gewissens taugen, tauglich für eine realitätstüchtige Strategie des
"politischen Pazifismus" ist sie nicht. Man kann sich des Verdachts nicht ganz
erwehren, dass es darum auch gar nicht geht, sondern dass damit eher
parteipolitische Absichten verfolgt werden, nämlich womöglich noch Grünen
-treue Friedensbewegte weiter an diese Partei zu binden und der eigenen grünen
Basis den Abschied von einstmaligen friedenspolitischen Positionen schmackhaft
oder doch zumindest erträglich zu machen.
Die Aufmunterung, die offensichtlich in der Schlussfrage Deines Texte stecken
soll: "Sollen die alten Pazifisten ausgerechnet jetzt aus der Politik
aussteigen, nur weil militärische Mittel nicht ganz verzichtbar sind?" br
auchen wir "alten Pazifisten" nicht. Wir haben keinesfalls vor, "aus der Politik
aus(zu)steigen", sondern wir werden weiter für den Verzicht auf militärische
Mittel streiten. Wir werden uns um die Ausgestaltung und Durchs
etzung eines "politischen Pazifismus" engagieren. Da werden dann
sicher auch die von Dir mit Recht angesprochenen Konzeptionen
von Krisenprävention, Ziviler Konfliktbearbeitung, globaler
Strukturpolitik, Weltinnen- und Weltordnungspolitik eine Rolle
spielen -aber nicht als Wurmfortsatz einer von der Logik des
"letzten" militärischen Mittels her strukturierten Politik.
In Erinnerung an gemeinsame vergangene antimilitaristische
Bewegungszeiten für das Komitee für Grundrechte und Demokratie:
Volker Böge und Theo Christiansen (Geschäftsführender Vorstand
des Komitees)
Andreas Buro (Friedenspolitischer Sprecher des Komitees)
Martin Singe (für das Komitee-Sekretariat)
Weitere Beiträge zur Pazifismus-Debatte
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