Viel Rauch, aber wenig Feuer
Was der Pazifimus-Kritiker Ludger Volmer (Grüne) mit der Enttabuisierung des Krieges anrichtet / Eine Streitschrift von Jochen Hippler
Mit dem nachfolgenden Text von Jochen Hippler schloss die Frankfurter Rundschau ihre Pazifismus-Debatte am 11.03.2002 ab. Wir sind überzeugt, dass das noch nicht das Ende der Diskussion ist.
Der in der Frankfurter Rundschau publizierte Text war aufgrund offensichtlicher technischer Probleme falsch gesetzt, da ein oder zwei Textblöcke mitten im Satz (z.T. mitten im Wort) abbrachen und an die falsche Stelle gesetzt wurden. Der Text auf unserer Seite enthält die Fehler der Druckausgabe (und der FR-website) nicht, sondern entspricht der ursprünglichen Form. Ein Dankeschön an Jochen Hippler, der uns darauf aufmerksam machte.
„Pazifismus und Gewissen“ - so die ersten Worte
Ludger Volmers - „sind die
letzte Berufungsinstanz für alle, die eine
deutsche Beteiligung an den
militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung des
Terrorismus ablehnen“. Nach
diesem Satz erfordert es eine ganze Menge
Selbstdisziplin, den Text nicht
gleich aus der Hand zu legen. Denn erstens: lange
nicht „alle“ Kritiker der
Kriegsbeteiligung zogen sich auf ihr Gewissen und
ihren Pazifismus zurück, im
Gegenteil. Sehr häufig wurde die Ablehnung mit
sehr handfesten Argumenten
begründet, etwa damit, daß die gewählten Mittel
dem erklärten Zweck der
Militärmaßnahmen nicht entsprachen. Die
Ratlosigkeit über das Verbleiben
Usama bin Ladins unterstreicht diesen Punkt. Als
Beispiel von vielen darf hier
auf meinen Beitrag in der FR („Die
Konzeptionslosigkeit wird sich langfristig
rächen - Für stabile Strukturen in Afghanistan
nach einem Sturz der Taliban
fehlen verläßliche Akteure“, 22. Oktober 2001, S.
6) verwiesen werden,
dessen Argumentation mit „Pazifismus und
Gewissen“ nichts zu tun hatte. Mit
der Nebelkerze, alle Kritiker der
Regierungspolitik pauschal zu realitätsblinden
Gesinnungstätern zu ernennen, entzieht man sich
der realen Kritik. Praktisch,
aber nicht aufrichtig.
Zweitens: der Satz spricht von „militärischen
Maßnahmen“ - meint aber
„Krieg“. Solche Euphemismen sind der Analyse
nicht hilfreich, sondern dienen
der Verharmlosung. Präsident Bush ist da
ehrlicher, zumindest gelegentlich.
Drittens: Ludger spricht davon, daß der (nicht
sogenannte) Krieg „zur
Bekämpfung des Terrorismus“ geführt wurde. Nun
ist nicht bestreitbar, daß er
etwas mit dem Terrorismus und seiner Bekämpfung
zu tun hatte und hat - aber
seinen Zweck darauf zu beschränken, erfordert
doch eine übermenschliche
Anstrengung zur Blauäugigkeit. Die zahlreichen
entsprechenden Äußerungen
von Bush, Rumsfeld, Cheney und anderen in
Washington, daß es nun auch um
die anderen „Schurkenstaaten“ gehe, die geplante
Steigerung des ohnehin
schwindelerregenden Militärhaushaltes in nur
einem Jahr um weitere 12
Prozent, die Vorbereitung eines neuen Krieges
gegen den Irak und andere
Hinweise deuten darauf hin, was ohnehin jeder
weiß, der nicht entschlossen die
Augen schließt: neben der Terrorbekämpfung dient
die neue Phase
außenpolitischer Militarisierung auch anderen
Zwecken: etwa der Durchsetzung
und Sicherung einer regionalen Hegemonie in
Zentralasien, der mittelfristigen
Ermöglichung der seit Jahren geplanten Öl- und
Gaspipeline durch Afghanistan,
der Einschüchterung anderer „Schurkenstaaten“
durch das „Exempel“ an den
Taliban, und der Festigung der globalen
Führungsrolle der USA. Alles nicht
originell, sondern Selbstverständlichkeiten der
Realpolitik.
All dies will Ludger Volmer mit seinem ersten
Satz - und dem Rest des
Beitrages - implizit erledigen, ohne sich mit den
Argumenten der Kritiker
auseinanderzusetzen. Denn die „Maßnahmen“ dienen
ja schlicht „der
Terrorbekämpfung“. Der Eröffnungssatz erfüllt
damit zwei Funktionen: der
Diskreditierung politischer Kritik durch falsches
labeling, und der
Schönrednerei der eigenen Politik: „Maßnahmen“
zur „Bekämpfung des
Terrorismus“ - wer wollte denn dagegen sein?
Niemand.
Nun wollen wir uns nicht zumuten, die Exegese
satz- oder abschnittweise
fortzusetzen. Immer wieder würden wir auf
ähnliche rhetorische Muster stoßen:
unsinnige Alternativen, selbst konstruierte
Pappkameraden, die dann widerlegt
werden können, seltsame Unterstellungen, bis zum
verschwommenen Vorwurf
an die DDR, sie sei irgendwie pazifistisch
gewesen. Da gibt es viel Rauch, aber
wenig Feuer.
Jenseits der rhetorischen Fingerübungen enthält
der Text eine originelle, neue
Begründung für den Afghanistankrieg und eine fast
so originelle Neudefinition
des Begriffs „Pazifismus“. Schauen wir uns beides
näher an.
„Das militärische Eingreifen der Allianz“ -
welche Allianz soll eigentlich gemeint
sein? Die NATO war es nicht, sondern eine bloße
US-Operation mit britischer
Zuarbeit - „gegen den Terrror in Afghanistan
dient nicht der Unterdrückung des
afghanischen Volkes“ - nun, hatte das jemand
behauptet? - „sondern seiner
Befreiung. Nicht Knechtung ist das Ziel, sondern
Emanzipation.“ Das ist schön,
das ist selbstlos. Nur: es widerspricht den immer
wieder proklamierten
Kriegszielen. Die US-Regierung und die
Bundesregierung hatten immer wieder
betont, daß der Krieg ausschließlich der
Terrorbekämpfung diene,
insbesondere der Verhaftung oder Ausschaltung
Usama bin Ladins und seiner
Verbrecherbande. Präsident Bush hat mehrfach
explizit darauf hingewiesen,
daß der Krieg gerade nicht der Herstellung von
Demokratie in Afghanistan
diene. Alles andere wäre auch bizarr gewesen: der
Anspruch einen Krieg aus
„Selbstverteidigungsgründen“ zu führen war
schwierig genug, da die Taliban die
USA nicht angegriffen hatten, sondern das
Verbrechen – soweit wir wissen –
„nur“ nicht verhinderten, falls sie das gekonnt
hätten. Schließlich wurde die
konkrete Vorbereitung des Terroranschlags ja in
Europa und den USA
geleistet. Selbst wenn man aber den Krieg als Akt
der Selbstverteidigung
akzeptiert – wie die Bundesregierung es tat –
dann wäre seine Begründung zur
Durchsetzung von Demokratie und „Emanzipation“
der AfghanInnen immer
noch völkerrechtswidrig. Ein kurzer Blick in die
UNO-Charta würde klären,
daß Kriege zur Emanzipation fremder Völker dieser
widersprechen. Deshalb
hatte die US-Regierung völlig Recht, den Krieg
nicht in den Zusammenhang mit
der „Emanzipation“ zu stellen. Wenn Ludger Volmer
das Völkerrecht schon für
so nebensächlich hält – merkt er denn nicht, daß
er mit seiner Argumentation
die Rechtfertigung für die nächsten Kriege
präventiv mitliefert? Wenn der Krieg
in Afghanistan der Befreiung der Afghanen von
einer widerlichen Diktatur
dienen durfte oder gar sollte – und etwas anderes
war die Talibanherrschaft
tatsächlich nicht -, warum sollte man nun nicht
die Irakis gewaltsam von
Saddam Hussein, die Syrer von Bashir Assad
befreien? Wie wäre es dann mit
einem Krieg gegen die Saudische Diktatur, die an
Widerwärtigkeit und
Intoleranz ja in der ersten Reihe steht? Wären
Flächenbombardierungen zur
Befreiung der saudischen Frauen und der
Durchsetzung der Religionsfreiheit
nicht eine gute Idee, so als „letztes Mittel“?
Bemerkenswert an der Rechtfertigung des Krieges
als Akt der Völkerbefreiung
ist auch die Tendenz, Kriege insgesamt erst
einmal zu führen und dann im Zuge
der Ereignisse und rückwirkend die Kriegsgründe
immer wieder
umzuinterpretieren. Denken wir an den Golfkrieg:
geführt ausschließlich zur
Befreiung Kuwaits. Nach der Befreiung wurden die
Kriegsgründe rückwirkend
erweitert, und schlossen bald
Massenvernichtungswaffen, bald Menschenrechte
ein. Denken wir an den Krieg gegen Serbien.
Dieser wurde offiziell aus zwei
Gründen geführt: der Vermeidung einer humanitären
Katastrophe (die, wie wir
inzwischen wissen, wenige Stunden nach Beginn der
Bombardierung erst
wirklich begann) und zweitens der „Durchsetzung
des
Rambouillet-Abkommens“. Seitdem die erste Bombe
fiel, war von Rambouillet
nie mehr die Rede, und heute hören wir immer
wieder, daß der Krieg zur
Festnahme von Milosevic und zur Einführung der
Demokratie in Serbien geführt
worden sei. Beides ist wunderbar, hatte aber mit
den Kriegszielen überhaupt
nichts zu tun – falls uns die eigenen Regierungen
damals nicht angelogen haben.
Falls sie das aber getan haben sollten – warum
ihnen heute glauben? Es gibt in
Kriegen eben nicht allein Kollateral schäden,
sondern auch Kollateralnutzen –
aber so wenig die Schäden beabsichtigt sind, so
wenig lassen sich diese
positiven Kollateralergebnisse zur rückwirkenden
Rechtfertigung des Krieges
anführen. Sonst geraten wir in eine Lage, Kriege
erst einmal zu beginnen, und
uns die Gründe hinterher einfallen zu lassen.
Irgendetwas Sinnvolles werden sie
schon bewirken ...
Die zweite Innovation in Ludgers Text besteht in
der Neudefinition von
„Pazifismus“. Der Duden (Bedeutungswörterbuch)
definiert den Begriff als:
„Strömung, die den Krieg als Mittel der
Auseinandersetzung zwischen Staaten
ablehnt“, und andere Lexika stimmen damit
überein, wenn etwa Pazifismus als
Strömung beschrieben wird, „die sich durch die
Ablehnung von (militär.)
Gewalt auszeichnet“. So einfach macht es sich
Ludger Volmer nicht. Nachdem
er zuerst zwischen gutem und schlechtem
Pazifismus unterscheidet – wobei sein
Unterscheidungskriterium praktischerweise darin
besteht, der Regierungslinie in
Kriegsfragen zu folgen – definiert er seinen
neuen, „politischen Pazifismus“
(womit die altmodischen Pazifisten ganz nebenbei
als unpolitisch erledigt
werden) als „Einsatz für das Primat der Politik
und die Unterordnung
militärischer Schritte unter politische
Strategien“ und andere, oft durchaus
sinnvolle Dinge. Außerdem könne Pazifismus
„heute“ militärische Gewalt „als
letztes Mittel nicht leugnen“. Was bedeuten diese
Formulierungen? Sie
sprechen sich gegen einen blinden, voreiligen und
konzeptionslosen Militarismus
aus, und das ist fein. Aber sie verlangen nicht
mehr, als jeder seriöse
Kriegsplaner ohnehin beherzigen wird: den Krieg
nicht voreilig einzusetzen,
sondern nur dann, wenn die anderen
Politikmöglichkeiten sich erschöpfen; und
die Tatsache, daß Krieg einer politischen
Strategie dienen muß, um nicht
sinnlos zu sein. Beides ist zweifellos richtig,
weil die Alternative schlicht idiotisch
wäre, nämlich eine leichtfertige und ziellose
Kriegführung. Aber mit Pazifismus
hat das natürlich nichts zu tun, mit welchem
Adjektiv man ihn auch verzieren
mag: Es handelt sich um bloßes Wortgeklingel, bei
dem der Begriff völlig
entleert wird, um den eigenen, grundlegenden
Politikwechsel zu vernebeln. Ob
die politische Wende richtig oder falsch war,
darüber könnte man streiten.
Aber doublespeak ist immer falsch, und einen
zweckrationalen Umgang mit
Krieg als „Pazifismus“ zu bezeichnen, ist eine
Beleidigung der Intelligenz der
Leser. Nach solcher Begriffsverwendung wäre jeder
preußische Generalstab
eine Pazifistenversammlung gewesen, Clausewitz
Buch „Vom Kriege“ ein
pazifistisches Manifest. Wie hatte Angelika Beer
einmal formuliert: „Wir sind im
Krieg angekommen“. Nun, liebe Grüne, dann steht
wenigstens dazu.
Der ganzen rhetorische Kraftaufwand wird erst
verständlich, wenn man dem
Bundeskanzler zuhört. Dieser sprach schon im
Oktober offen aus, daß es um
die „Enttabuisierung“ des Militärischen und des
Krieges geht. Und er
formulierte in schöner Deutlichkeit, daß
zukünftige militärische „Interventionen“
(seine Formulierung) „nicht länger wegen der
Menschenrechte“ erfolgen
werden, sondern um „Stabilität und Sicherheit“ zu
gewährleisten. Damit läßt
sich mehr anfangen als mit rhetorischen
Nebelkerzen. Krieg soll danach wieder
zu einem – vermutlich letzten – Mittel der
Politik werden, nämlich enttabuisiert.
Und die Kriegsgründe werden parallel
flexibilisiert: vielleicht wird uns dann ja
zukünftig der Scharpingsche moralische Overkill
des Kosovokrieges erspart,
wenn man zur Rechtfertigung nicht nur auf
Völkermord zurückgreifen muß.
„Stabilität und Sicherheit“ – das sind Begriffe,
die der Realpolitik die Hände
nicht binden, die fast jede Deutung offenlassen.
Das ist neue deutsche Außen-
und Militärpolitik. Und so erfüllt sich die
Forderung, die Ludger Volmer in
seinem Beitrag etwas kryptisch stellte, daß „die
Politik“ – also wohl die
Bundesregierung – „die Freiheit der Entscheidung“
brauche, von außen aber
allenfalls zu „einem abgewogenen Urteil“ gemahnt
werden dürfe. Inhaltlich
macht Ludgers „politischer Pazifismus“ keinen
Sinn, aber politisch trägt er zur
Enttabuisierung des Krieges bei. Ein feiner
Pazifismus.
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