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Ein bisschen Frieden

Parteitag in Bielefeld: Gregor Gysi und das Forum Demokratischer Sozialismus wollen Die Linke anschlussfähig für SPD und Grüne machen. Im Ukraine-Konflikt setzt die Partei auf Äquidistanz

Von Andreas Wehr *

Beim Linke-Parteitag in Bielefeld ist an diesem Wochenende einmal mehr Streit über die Friedens- und Sicherheitspolitik zu erwarten. Von seinem Ausgang wird es abhängen, ob sich Die Linke weiter auf SPD und Grüne zubewegt, um mit ihnen nach den Bundestagswahlen 2017 zusammenarbeiten zu können. Das ist jedenfalls der Plan des rechten Parteiflügels um das Forum Demokratischer Sozialismus. Und das ist auch das Ziel von Gregor Gysi, der in einem Interview mit der taz am 30. Mai erklärte, dass »sich unsere Partei strikt gegen Kriegseinsätze ausspricht. Wir könnten aber darüber reden, um welche es vor allem geht.«

Welche Position wird also Die Linke zu dem gegenwärtig wichtigsten Konflikt in Europa, wenn nicht gar in der Welt, zum Krieg in der Ukraine einnehmen? Wird sie an ihrer Position der Äquidistanz, des gleich großen Abstands zu beiden Seiten einschließlich der gleichmäßigen Verteilung der Schuld auf sie, vom Berliner Parteitag im Mai 2014 festhalten? Dafür spricht der Text des Leitantrags, vorgelegt vom Parteivorstand. Darin heißt es zum Ukrainekonflikt: »Die Linke bleibt dabei: Einseitige Schuldzuweisungen zeigen keinen Ausweg, bestenfalls sollen sie eigene Fehler der Vergangenheit verdecken. EU, NATO und Russland haben es versäumt, eine dauerhafte, tragfähige europäische Sicherheitsarchitektur auf den Weg zu bringen.« Russland trägt also Mitschuld daran, dass die »europäische Sicherheitsarchitektur« nicht errichtet wurde. Aber was ist mit den vielen Vorschlägen, die genau von dort seit mehr als 25 Jahren kommen? In dem Antrag wird »die Politik der Osterweiterung« von NATO und USA kritisiert. Dieses Verhalten »habe wesentlich zum Krieg beigetragen«. Dann aber heißt es direkt danach: »Und Russland tat das, was es in der Vergangenheit zu Recht in anderen Fällen energisch kritisierte: Es missachtete völkerrechtliche Prinzipien und verletzte die territoriale Integrität der Ukraine.« Da ist sie also wieder, die Äquidistanz.

Das passt zur Sicht des Parteivorstandes auf die gegenwärtige Welt: »Der Krieg in der Ukraine ist Teil einer tiefer gehenden Krise der alten Weltordnung. Die geopolitische Konkurrenz zwischen den Wirtschaftsblöcken um Wirtschaftsräume, knappe Ressourcen und ihre militärische Absicherung verschärft sich.« In der Nacht sind demnach alle Katzen grau, d. h. hier imperialistisch. Russland und wohl auch China gleichermaßen wie die USA und die EU konkurrieren als »Wirtschaftsblöcke um Wirtschaftsräume«. Auch hier gibt es keine Täter und keine Opfer. Damit wird die Linke anschlussfähig an den Mainstream der bundesdeutschen Medien und Politik.

Einen anderen Akzent setzt da der Antrag »Frieden statt NATO – Für eine Weltfriedenskonferenz«, nach dem in einem offenen Brief Michail S. Gorbatschow aufgefordert werden soll, eine Weltfriedenskonferenz zu initiieren. Einen solchen Appell ausgerechnet an Gorbatschow, den Partner von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher beim Abwracken der DDR, zu richten, ist schon ein wenig skurril. Doch die Positionen in dem Antrag sind eindeutig: »Keine Macht auf der Erde verficht ihre Interessen so massiv und aggressiv wie die NATO mit den Vereinigten Staaten an der Spitze. (…) Bitte unterstützen Sie unsere Forderung, dass Schluss gemacht wird mit der Praxis der USA und der NATO, überall in der Welt, wo es das Kräfteverhältnis zulässt und es ihren imperialen Interessen entspricht, zu bomben, mittels Drohnen zu morden und Soldaten zu schicken.«

Unter diesem Papier stehen mittlerweile 1.736 Unterschriften von Antragstellern und Unterstützern, darunter 148 aus 20 Ländern, davon allein 55 aus den USA. Alle Namen werden in den Parteitagsmaterialien aufgeführt. Ihre Nennung umfasst alleine 14 engbedruckte Seiten. Nun wollen einige der Initiatoren ihre Vorlage zurückziehen. Sie verweisen darauf, dass die Forderung nach einem Weltfriedenskongress in den Leitantrag aufgenommen wurde. Für den Herbst wollen sie nun gemeinsam mit der Friedensbewegung eine Konferenz »Frieden statt NATO« vorbereiten. In deren Zentrum soll die Forderung nach Auflösung des Kriegsbündnisses und nach einem sofortigen Austritt Deutschlands aus dessen militärischen Strukturen stehen (siehe jW vom 23. Mai 2015). Gegen die Nichtabstimmung wendet sich die Kommunistische Plattform (KPF), da der »Vorschlag, eine Weltfriedenskonferenz zu initiieren, untrennbar mit der unbeschränkten Ablehnung dieser Äquidistanz verbunden ist« (siehe jW vom 26. Mai 2015). Auch ein Antrag, in dem ein Friedensparteitag gefordert wird, der die »die außen- und friedenspolitischen Positionen der Partei (…) diskutieren und schärfen soll«, soll nicht zur Abstimmung gestellt werden.

Sollte all dies so kommen, so würde sich das Szenario der beiden letzten Parteitage wiederholen: Vom linken Flügel eingebrachte Alternativen zum Mitte-rechts-Kurs werden zugunsten windelweicher Formulierungen und um des lieben innerparteilichen Friedens willen im letzten Augenblick zurückgezogen. So war es mit einem alternativen europapolitischen Wahlprogramm auf dem Hamburger Parteitag im Februar 2014, und so war es mit einer eindeutigen Zurückweisung des aggressiven Kurses von USA und NATO in Berliner im Mai 2014. Zurück blieben regelmäßig frustrierte Mitglieder der Basis, die diese linken Positionen zuvor unterstützt hatten.

Zu den bemerkenswerten Anträgen des Parteitags zur Friedens- und Sicherheitspolitik gehört auch die Forderung, die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der Partei mit der in Lobbyorganisationen zu beschließen, die die NATO unterstützen bzw. dem militärisch-industriellen Komplex zugeordnet werden. Dies ist eigentlich selbstverständlich, doch bekanntlich gehört der Linke-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich einer solchen Lobbyorganisation, der »Altantikbrücke«, an.

Ein Guter und viele böse Linke

Die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit schreibt in ihrer aktuellen Ausgabe über Gregor Gysi und seine innerparteilichen Kritiker:

(…) Die Außenpolitik der Linken wird – wenn nicht einschneidende Dinge geschehen – verhindern, dass Angela Merkel als Kanzlerin abgelöst werden kann, die linke Außenpolitik wird verhindern, dass Sigmar Gabriel die Chance hat, an Merkels Stelle zu treten, und dass die Linke endlich dazu kommt, wo Gregor Gysi selber auch am liebsten ist: mittendrin und ganz oben. Selten war die Außenpolitik der Linken so wichtig wie heute. (…)

Beim Parteitag am kommenden Wochenende will er seinen Genossen verkünden, ob er weitermachen will oder nicht. Doch die viel spannendere Frage lautet: Wenn er will, was will er dann eigentlich? Den großen letzten Sprung? Den Kurswechsel in der Außenpolitik? Und wenn ja, hätte er überhaupt eine Chance, sich durchzusetzen? Es geht immerhin um die EU, deren Existenz und Erhalt längst zur deutschen Staatsräson geworden ist; auch um die Frage, ob dieses Land irgendeine militärische Option haben darf, ist existentiell. (…)


Keiner anderen Partei fällt es momentan leicht, Antworten zu finden auf die Krisen der Welt. Aber keine verheddert sich derart in Widersprüchen wie die Linke, manchmal irritiert sie durch offensichtliche Entgleisungen, und fast immer überreißt sie den Ton. [Wolfgang, jW] Gehrcke etwa nannte die Europäische Union in einem Parteitagsantrag eine »neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht«. Die Abgeordnete Sevim Dagdelen attackierte »verwelkte Grüne, die Faschisten verharmlosen«, und der brandenburgische Landtagsabgeordnete Norbert Müller bezeichnete Bundespräsident Joachim Gauck als »widerlichen Kriegshetzer«.

Könnte ein Gregor Gysi, wenn er denn überhaupt wollte, in diesem Milieu eine Kehrtwende der Vernunft durchsetzen? Oder wenigstens eine rhetorische Abrüstung erzwingen, die eine Annäherung an Grüne und SPD denkbar werden ließe? (…)

Den Markenkern nicht aufgeben, rote Linien nicht überschreiten: Mit solchen Worten warnen Linken-Politiker wie Dagdelen oder Gehrcke regelmäßig davor, im Parlament Bundeswehreinsätzen zuzustimmen, ganz gleich, worum es geht. (…)

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 04. Juni 2015


Kommunalpolitik und Grundeinkommen

Zeit für Diskussionen über Schwerpunkte: Beim Linke-Parteitag in Bielefeld muss kein Vorstand gewählt und kein Wahlprogramm beschlossen werden

Von Andreas Wehr **


Der am kommenden Samstag in Bielefeld beginnende Parteitag der Linken wird ein »Arbeitsparteitag« sein. Das soll nicht heißen, dass auf den bisherigen nicht gearbeitet wurde, daran kann kein Zweifel bestehen. Doch diesmal gibt es weder Wahlen zum Parteivorstand, noch steht ein zu beschließendes Wahlprogramm auf der Tagesordnung. Und es müssen keine Kandidaten für bundesweite Listen aufgestellt werden. Die Delegierten können sich diesmal ausgiebig Zeit nehmen, um über Inhalte zu debattieren und zu entscheiden.

Zentrales Thema ist die Kommunalpolitik. Die zuständige Bundesarbeitsgemeinschaft hat dazu Leitlinien vorgelegt. Der Bereich ist für Die Linke von großer Bedeutung, hält sie doch Tausende kommunale Mandate. Die tägliche Arbeit in den Stadt- und Kreisparlamenten bestimmt das Leben ihrer Basisorganisationen. Eine Verständigung darüber, worin die gemeinsame Grundlage hier besteht, ist daher sinnvoll und acht Jahre nach Gründung der Partei Die Linke überfällig.

In den Leitlinien sind Aussagen für alle politischen Ebenen enthalten, die die kommunale Arbeit bestimmen – also auch zur Verantwortung von Bundesländern, Bund und EU. Denn »der Entscheidungsspielraum der Kommunalparlamente (ist) durch gesetzliche Vorgaben des Bundes und der Länder stark eingeschränkt. Zirka 90 Prozent der kommunalen Ausgaben sind so festgelegt und müssen für diese aufgewendet werden.« Doch diesen geringen Spielraum will Die Linke erweitern. So fordert sie eine »Erhöhung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer« und eine Entlastung der Kommunen bei den Zinszahlungen durch die Einführung einer Vermögenssteuer.

In den Leitlinien wird gegen eine weitere Liberalisierung der Daseinsvorsorge plädiert und mit Blick auf die europäische Ebene für die »Beibehaltung der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten (…) für die Definition und den Zuschnitt der Dienste von allgemeinem Interesse« eingetreten. Verlangt wird die »Rekommunalisierung privatisierter Unternehmen«. Von Bedeutung ist die Ablehnung »öffentlich-privater Partnerschaften« (ÖPP/PPP). Streit mit SPD und Grünen in der kommunalen Zusammenarbeit dürfte damit programmiert sein, schließlich sind beide Parteien eifrige Befürworter dieser verdeckten Form der Privatisierung öffentlicher Leistungen.

Weniger strikt ist in den Leitlinien die Absage an Schuldenbremse und Fiskalpakt formuliert. Über sie heißt es lediglich, dass sie »die kommunale Finanzautonomie nicht zur Disposition stellen« dürfen. Das ist kein Nein zu diesen neoliberalen Instrumenten. Ganz offensichtlich wollte man keine Vorgaben für Koalitionsverhandlungen der Partei auf der Ebene der Kommunen und der Länder machen. Man wird sehen, ob die Delegierten in Bielefeld sich damit abfinden werden.

Auf der Tagesordnung des Parteitags steht außerdem eine weitere Diskussionsrunde im nicht enden wollenden innerparteilichen Streit um das »bedingungslose Grundeinkommen«. Auch diesmal ist keine Entscheidung darüber zu erwarten.

Schließlich soll unter der Überschrift »Das muss drin sein« eine Kampagne gegen prekäre Arbeit und prekäres Leben auf den Weg gebracht werden. Gefordert werden der Stopp von Leiharbeit und »Mindestsicherungen ohne Sanktionen statt Hartz IV«. Eine solche Kampagne würde das sozialpolitische Profil der Partei schärfen. Allerdings ist es mit der Kampagnenfähigkeit schon seit längerem nicht zum besten bestellt. Ähnliche Initiativen sind in der Vergangenheit immer wieder versandet, da es nie gelang, die gesamte Partei auf ein zentrales Handlungsfeld zu konzentrieren. Jeder machte lieber seins. Es wäre eine Überraschung, sollte es diesmal anders kommen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 04. Juni 2015




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