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Abwesender Frieden

Zukunftsthemen für Die Linke: Kampf gegen US-Militärbasen nein zum Freihandelsabkommen TTIP und zur Stimmungsmache gegen Russland

Von Sevim Dagdelen, Heike Hänsel und Alexander Neu *

Am Donnerstag hat in Berlin die »Linke Woche der Zukunft« begonnen. »Frieden«, »Krieg« oder »NATO« sind bei den rund 80 Veranstaltungen der Partei Die Linke kein Thema. Die Linke-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Mitglied im Auswärtigen Ausschuss), Heike Hänsel (Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und Alexander Neu (Mitglied im Verteidigungsausschuss) wollen die Lücke mit einem Gastbeitrag in dieser Zeitung schließen. (jW)

»Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.« (Bertolt Brecht, Rede für den Frieden 1952)

Oft ist das Abwesende in Texten und Konzeptionen das Entscheidende. Bei allen fundamentalen Unterschieden findet sich weder im – bestenfalls überflüssigen – Zukunftsdialog Angela Merkels noch in der spannenden »Linken Woche der Zukunft« Frieden als zentrales Thema wieder. Fast scheint es, als wäre diese Abwesenheit einer antithetischen Bindung an die gestiegene Kriegsgefahr geschuldet. Zudem bestimmen imperialistische Kriege um die Verteilung geopolitischen Einflusses, von Rohstoffen und der Sicherung von Handelswegen die Agenda, die sich eigentlich nur schwer ausblenden lassen. Frieden aber ist das Thema dieser Zeit, denn ohne Frieden ist alles nichts, wie Willy Brandt einmal ausführte. Dazu wollen wir drei konkrete Vorschläge machen, Frieden in umfassendem Sinn als linkes Zukunftsthema zu fassen.

1. Frieden als Kriegsverhinderung

Geradezu belächelt werden oft diejenigen, die vor dem neuen Kalten Krieg der NATO gegen Russland warnen. Erst recht, wenn sie darauf verweisen, dass dieser Kalte Krieg nur allzu leicht in einen heißen umschlagen könnte. Dabei müssen die Zeichen der Zeit nur gelesen werden. Die NATO ist immer weiter an die Grenzen Russlands herangerückt. Die NATO treibt, trotz der Vereinbarung mit dem Iran, das Raketenschild als größtes atomares Aufrüstungsprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg voran. Russland muss gerade nach dem Wegfall des Vorwands der angeblichen Bedrohung durch den Iran davon ausgehen, dass diese gefährliche Unternehmung ausschließlich gegen das Land selbst als Atommacht gerichtet ist. Die europäische Kommandozentrale für das Raketenschild befindet sich auf deutschem Boden, im rheinland-pfälzischen Ramstein. Deutschland und Mitteleuropa werden durch diese Aufrüstung erneut zum potentiellen atomaren Schlachtfeld der Zukunft. Zudem setzt die Bundesregierung weiterhin auf die nukleare Teilhabe und belässt die US-Atomwaffen in Büchel. Im Kriegsfall sind diese dann bei Freigabe durch den US-Präsidenten auch durch deutsche Kampfbomber einsetzbar.

Die NATO hat zudem eine schnelle Eingreiftruppe aufgestellt, die in Osteuropa agieren soll. Deutschland ist hier Führungsnation. Die baltischen Staaten, aber auch Polen erhöhen ihre Militärausgaben massiv. Auch die Bundesregierung hat eine deutliche Aufstockung des Wehretats angekündigt. Eine Bedrohung der NATO durch Russland ist allein bei einer Zugrundelegung des Ausgabenverhältnisses von zehn zu eins in puncto Rüstung nur schwer zu erklären. Die NATO hat sich denn auch in den letzten Jahren zum Haupthindernis für den Frieden in Europa, aber auch global entwickelt. Dazu kommen die USA, die über Ramstein offenbar weltweit Drohnenmorde begehen, wie ehemalige Drohnenpiloten berichten.

Die US-Militärbasen sind Dreh- und Angelpunkte eines Unrechtssystems auf deutschem Boden. Diese Stützpunkte dienen als Zentren für Krieg, Mord und auch für die millionenfache Überwachung der deutschen Bevölkerung durch die NSA. Es gilt also, dieses Netzwerk des Krieges, der Grundrechtsverletzungen und der Gewalt zu schleifen. Wer das Grundgesetz ernst nimmt, muss sich zumindest für eine parlamentarische Inspektion von Ramstein und des Hauptquartiers »Africom« in Stuttgart einsetzen, um den Vorwürfen nachzugehen, diese Basen dienten dem Morden mittels Drohnen. In der Fragestunde des Bundestages hat die Bundesregierung ihre Passivität verteidigt und sogar davon gesprochen, man müsse prüfen, ob nicht die Drohnenangriffe doch mit dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut in Einklang stünden. In den Archipel der US-Basen setzt bisher kein deutscher Parlamentarier seinen Fuß, geschweige denn, dass der Generalbundesanwalt bereit ist, überhaupt auch nur Ermittlungen aufzunehmen. Wer aber die Kriege der Zukunft verhindern will, muss sich den Militärbasen widmen.

Die Linke muss deshalb stärker als bisher diese Militärbasen in den Fokus nehmen. Zudem gilt es, die programmatische Forderung nicht nur der Auflösung der NATO, sondern unmittelbar des Austritts aus den militärischen Strukturen der NATO zu operationalisieren. Denn ohne Deutschland würde die Militärstruktur der NATO in Europa doch ganz erheblich ins Trudeln geraten. »Frieden statt NATO« ist auch deshalb ein Zukunftsthema für Die Linke.

2. Frieden und globale Gerechtigkeit

Der Kapitalismuskritiker Jean Ziegler ist einer der wenigen, der die Hungertoten und die brutale Profitmaximierung in einen direkten Zusammenhang gestellt hat. 18 Millionen Menschen verhungern jährlich auf dieser Welt. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger. Auf der anderen Seite wird in den Händen einiger weniger immer mehr Reichtum angehäuft. Weltweit, aber auch in Deutschland. Diese zutiefst ungerechte Weltordnung, in der der Profit weniger viel mehr wiegt als das Leben von Millionen Menschen, wird immer stärker auch militärisch durchgesetzt. Dazu gehören die neuen Kriege um geopolitischen Einfluss und die militarisierte Flüchtlingsabwehr. Kapitalismus tötet. Kapitalismus schafft weltweit Unfrieden. Frieden heißt deshalb, gerade auch globale Gerechtigkeit zu schaffen. Dazu gilt es, genau die Ausbeutungsstrukturen anzugreifen, die zum Tod von Millionen Menschen auf dieser Welt führen. Angefangen von einem Verbot der Nahrungsmittelspekulation bis zur Beendigung des massenhaften Landraubs.

»Brot für die Welt« ist ein linkes Friedensthema. Die Linke muss diese humanitäre Intervention gegen die sogenannten militärischen humanitären Interventionen stellen. Sie muss sich gegen eine Politik der globalen Ungerechtigkeit stellen, die nach innen und außen als Angriff auf soziale Rechte und ökologische Standards wirkt. Dazu gilt es, auch die transatlantischen Netzwerke mit in den Blick zu nehmen, in denen nicht nur ein Schulterschluss mit der US-Kriegspolitik propagiert wird, sondern auch das Projekt der Wirtschafts-NATO, des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, promotet wird.

3. Frieden und Antifaschismus

In wenigen Tagen jährt sich der Sieg über den deutschen Faschismus zum 70. Mal. Rote Armee und Sowjetunion trugen die Hauptlast des Kriegs gegen ein barbarisches System, das Millionen Menschen industriell bestialisch ermordete und die ganze Welt mit Krieg überzog. Auch heute gilt: Faschismus bedeutet Gewalt gegen Flüchtlinge, Migranten, gegen Kommunisten, Linke und Andersdenkende. Faschismus bedeutet eine Steigerung der Kriegsgefahr. Die Bundesregierung hat nicht nur im Inland bisher nichts getan, um die Mordserie des NSU, die offenbar mit der Mitwisserschaft, wenn nicht der Unterstützung durch die deutschen Inlandsgeheimdienste geschah, wirklich aufzuklären. Im Gegenteil reiht sich ein Vertuschungsversuch an den anderen. Zeugen der Mordserie sterben seltsame Tode. Die Polizei schlampt bei den Ermittlungen. Dieses Vorgehen hat sein internationales Pendant. Es ist die Verharmlosung von Faschisten in der Ukraine. Es war ein Tabubruch, dass die Bundesregierung einen Umsturz in Kiew begrüßte, wenn nicht beförderte, an dem Faschisten beteiligt waren. Freiwilligenbataillone mit Hakenkreuz und SS-Runen kämpfen gegen die Bevölkerung in der Ostukraine. Oppositionelle, als prorussisch identifizierte Politiker und Journalisten werden reihenweise ermordet. Die Bundesregierung stützt dieses Vorgehen durch fortgesetzte Finanzhilfen an die ukrainische Kriegsregierung. Frieden sichern in Europa heißt auch, den Faschisten in den Arm zu fallen und nicht, sie zu instrumentalisieren, um aus der Ukraine einen geopolitischen Frontstaat gegen Russland zu machen. Auch dies ein Zukunftsthema für Die Linke.

* Aus: junge Welt, Freitag, 24. April 2015


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