Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Elitäres Kalkül

Der Bremer AfD-Parteitag entscheidet über die Führungsstruktur. Nicht Parteirechte, sondern Zentristen wie Lucke sind die größere Gefahr für die Demokratie

Von Thomas Wagner *

Im politischen Bremen dreht sich in diesen Tagen alles um die AfD. Schon im Vorfeld hatte der am Freitag beginnende Satzungsparteitag in Bremen den Rahmen gesprengt. Weil sich bis Ende der vergangenen Woche bereits deutlich mehr als 3.000 der nach eigenen Angaben über 22.000 Mitglieder zählenden Partei gemeldet hatten, mussten die Organisatoren neben dem ursprünglich vorgesehenen Maritim-Hotel ein anderthalb Kilometer entfernt liegendes Musical-Theater als zweiten Veranstaltungsort hinzumieten. Die zu einem Bündnis zusammengeschlossenen AfD-Gegner wollen nach Angaben des Bremer Stadtamtes am Samstag bis zu 5.000 Menschen zu einer Protestdemonstration mobilisieren. Ist der von beiden Seiten betriebene Aufwand angemessen? Eindeutig ja. Denn es geht um die künftige Führungsstruktur der Partei, für die Bernd Lucke, Frauke Petry, Konrad Adam, Hans-Olaf Henkel und Alexander Gauland nach heftigem Streit zwischen dem nationalliberalen und dem rechtskonservativen Parteiflügel einen gemeinsamen Vorschlag erarbeitet haben. Demnach soll die AfD ab dem 1. Dezember 2015 nicht mehr durch drei Sprecher, sondern nur noch durch einen Bundesvorsitzenden repräsentiert werden, dem ein Generalsekretär zur Seite steht. Bis zur Verabschiedung des Parteiprogramms im November sollen zwei gleichberechtigte Bundesvorsitzende an der Spitze der AfD stehen. Sollten die Mitglieder dem in Bremen zustimmen, hätte der Zentrist Lucke gute Chancen, weiterhin erfolgreich zwischen den Flügeln zu vermitteln, seine Partei 2017 in den Bundestag zu führen, die Unionsparteien auch parlamentarisch von rechts unter Druck zu setzen und die politische Architektonik der Republik auf diese Weise nachhaltig zu Lasten der abhängig Beschäftigten zu verändern. Damit wäre das gemeinsame Ziel der in der AfD vereinten Rechtskräfte erreicht.

In meinem 2011 erschienenen Buch »Demokratie als Mogelpackung« habe ich gezeigt, wie »Vertreter wirtschaftsliberaler Elitekonzepte aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft und die heutigen Erben der Konservativen Revolution« immer näher aneinanderrücken. Mit der AfD scheint sich nun die geeignete politische Trägergruppe dafür gefunden zu haben. Neben dem Thema Europa dürfte sich die Forderung nach mehr direkter Demokratie weiterhin dazu eignen, die Funktionäre lagerübergreifend auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören und einen Teil des Straßenprotests für die Partei zu gewinnen. So waren den Teilnehmern der Pegida-Demonstration in Dresden am 12. Januar einer – allerdings nicht repräsentativen – Umfrage des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zufolge entsprechende Partizipationsmöglichkeiten »überaus wichtig«. Und laut einer Allensbach-Umfrage vom Oktober 2014 zählen AfD-Anhänger das Engagement für stärkere Bürgerbeteiligung zu den Kernkompetenzen der Partei.

Das zunächst fortschrittlich klingende Postulat, den Bürgern mehr politische Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen, zielt in Wirklichkeit darauf, die jener abhängig Beschäftigten zu schwächen, die sich im Unterschied zu Kapitaleignern in Parteien und Gewerkschaften organisieren müssen, um ihre Interessen durchzusetzen. Ein besonders emsiger und prominenter Verfechter dieser Strategie ist Hans-Olaf Henkel, der im Februar 2009 schon den Freien Wählern empfahl, die »Stärkung der plebiszitären Elemente« zu fordern. Das heißt, das Volk an politischen Entscheidungen zu beteiligen und »das Staatsoberhaupt und die Ministerpräsidenten, wie in anderen demokratischen Ländern üblich, vom Volk direkt wählen zu lassen«. Als Hebel zum Systemumbau im Interesse der Eliten wird die direkte Demokratie auch von der radikalen Rechten verstanden. Seit Jahrzehnten kommen in der Jungen Freiheit Stimmen zu Wort, welche die Direktwahl politischer Führer sowie »bindende und verpflichtende Volksabstimmungen auf allen politischen Ebenen« verlangen. Nicht mehr gegen die Demokratie, sondern »um deren beste Form« zu kämpfen, empfahl das Blatt schon Anfang der 1990er Jahre seinen Lesern. »Der Grundsatz der Volksherrschaft soll durch mögliches Volksbegehren und Volksentscheid auf allen Ebenen das Repräsentationsprinzip überlagern«, befand Junge Freiheit-Autor Klaus Kunze schon 1992, um 15 Jahre später zu erklären: »Das Demokratieprinzip als tragender, aber unverwirklichter Wert der Verfassung muss zur Angriffswaffe umfunktioniert werden, weil die systemimmanenten Abwehrmechanismen dann nicht greifen. Gibt das System nach und lässt die Volksgesetzgebung zu, öffnet es damit nämlich weit das Tor zu seiner eigenen möglichen Veränderung und Abschaffung durch das Volk. (...) Gibt das System aber nicht nach, kann es als undemokratisch entlarvt werden, bis die Zahl seiner Verteidiger so weit abnimmt, dass es dem Veränderungsdruck nicht mehr standhält.«

Weniger die offen reaktionären als vielmehr die harmlos klingenden Forderungen sind es, welche die AfD gefährlich machen. Gegen die Forderung nach mehr direkter Demokratie lassen sich antifaschistische Bündnisse schwerer mobilisieren. Als die Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel neulich bei »Günther Jauch« in der ARD vorschlug, »das Volk teilhaben zu lassen«, gab ihr der für sein aufrichtiges Engagement gegen rechts bekannte SPD-Politiker Wolfgang Thierse zu erkennen, er sei auch für mehr direkte Demokratie.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. Januar 2015


Der FDP keinen Raum

Wozu die AfD ein Mittelstandsforum braucht

Von Thomas Wagner **


Auf die EU-kritischen Positionen ihres wirtschaftsliberalen Flügels kann die AfD nicht verzichten, wenn sie auf Erfolgskurs bleiben will. Denn durch sie sichert sie sich die Unterstützung jenes Teils des nichtmonopolistischen Kapitals, der glaubt, durch eine Vertiefung der europäischen Integration mehr zu verlieren als zu gewinnen zu haben. Als Geldgeber der Partei haben sich zuletzt Hans Wall, der Gründer der Wall AG, sowie der ehemalige Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats Heinrich Weiss zu erkennen gegeben, der vor 300 teilnehmenden Unternehmern bei der Gründungsversammlung des parteinahen Mittelstandsforums am vergangenen Samstag über das »Versagen der deutschen und europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik« sprach. 2014 hatte der Verband »Die Familienunternehmer« Bernd Lucke für eine Rede zu einem großen Treffen in Dresden eingeladen. »Viele Fragen der AfD sind auch unsere Fragen«, ließ sich Hauptgeschäftsführer Albrecht von Hagen vernehmen.

Mit offen rassistischen Äußerungen kann man in diesen Kreisen wenig Zustimmung erreichen. Beatrix Klingel, die stellvertretende Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, begründete ihren Parteiaustritt mit der Annäherung der AfD an die Pegida-Bewegung. Zuvor hatte bereits die liberale Pressesprecherin Dagmar Metzger ihr Amt aufgegeben. Trotz dieser prominenten Beispiele sind die inhaltlichen Differenzen in Fragen der Einwanderungspolitik an der Parteispitze womöglich geringer, als oft vermutet wird. Vor dem »Vordringen islamischer Eigenarten« warnte auch Jörn Kruse, der als Liberaler gehandelte Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahl am 15. Februar. Hans-Olaf Henkel beklagte sich neulich, dass eine ehrliche Diskussion über Auswüchse des Islam nur in Deutschland tabuisiert würde. »Wann führen wir endlich eine unvoreingenommene Diskussion über die Häufung der Menschenrechtsverletzungen und die Abwesenheit von Pressefreiheit und Demokratie in 55 von 57 islamischen Ländern?«, erklärte der stellvertretende Parteisprecher.

Die Vordenker der radikalen Rechten wiederum wissen, was auf dem Spiel steht, wenn die Wirtschaftsliberalen der Partei verprellt würden. »Will die AfD nicht in eine strategische Schieflage geraten und das Feld weit öffnen für eine mittelfristig wiedergeborene FDP und dieser Mitglieder und Anhänger des liberalen und Wirtschaftsflügels in die Arme treiben, muss ihr ein programmatischer und personeller Ausgleich gelingen«, kommentierte Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, am 23. Januar.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. Januar 2015


Hintergrund: Publizistisches Sprachrohr ***

Die AfD-Unterstützer aus der radikalen Rechten sind keine Dumpfbacken, sondern strategisch denkende Köpfe, die zum näheren Umfeld der Jungen Freiheit gehören. Die rechte Wochenzeitung ist zum inoffiziellen Parteiblatt geworden, das als Sprachrohr und Selbstverständigungsorgan dient. Sie berichtet »intensiv von Parteitagen, parteiinternen Diskussionen und längerfristigen Debatten um die inhaltliche und strategische Ausrichtung«, schreibt Sebastian Friedrich in seiner gerade erschienenen Studie »Der Aufstieg der AfD. Neokonservative Mobilmachung in Deutschland«. Karlheinz Weißmann, Kolumnist der Jungen Freiheit und einer der scharfsinnigsten Rechtsideologen, hat sich im vergangenen Jahr aus der wissenschaftlichen Leitung der von ihm mitbegründeten Denkfabrik »Institut für Staatspolitik« zurückgezogen, weil er die Partei nicht mehr von rechts kritisieren, sondern in sie hinein wirken will. Er sieht »in der AfD eine Perspektive zum Umbau des Parteiensystems als Teilziel des angestrebten Umbaus des Staates«, so Friedrich.

In einem 2006 unter dem Titel »Unsere Zeit kommt« veröffentlichten Gespräch mit dem rechten Verleger und Aktivisten Götz Kubitschek begründet Weißmann sein Interesse an den Autoren der Konservativen Revolution mit der »Möglichkeit, auf ein rechtes Konzept zurückzugreifen, das nicht so einfach mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren war. Mir ist früh aufgegangen, wie stark der Einfluss dieses Gedankenguts auf die führenden Köpfe des militärischen Widerstands wirkte, und es schien mir nur naheliegend, das zu rehabilitieren, was einem Tresckow oder einem Stauffenberg richtig erschienen war.« Es komme darauf an, »dass die richtigen Leute mit den richtigen Vorstellungen die Tabus setzen, die Bindungen schaffen und erhalten und die Institutionen führen«. Auf die Frage, wer denn die richtigen Leute seien, antwortete er unumwunden: »Wir.«

Weißmann wird sich ausrechnen, dass Leute wie er im Fall eines etwaigen Einzugs der AfD in den nächsten Bundestag ihre ideologische Arbeit in größerem Maßstab fortführen könnten: zum Beispiel im Rahmen einer Parteistiftung. In einer am 16. Januar in der Jungen Freiheit veröffentlichten Kleinanzeige heißt es: »›Konservativ – Liberal, Widerspruch, Ergänzung, Synthese?‹ Der Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf der Alternative für Deutschland sowie die ›Junge Alternative Berlin‹ laden alle Interessenten herzlich zu obigem Vortrag von Dr. Karheinz Weißmann in die Bibliothek des Konservatismus« ein. (thw)

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. Januar 2015


Zurück zur Parteien-Seite

Zur Parteien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Seite "Rassismus", Rechtspopulismus

Zur Rassismus-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage