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Als Thüringen rot war

Kommunisten und Sozialdemokraten in einer Koalition - ein Sonderweg?

Von Manfred Weißbecker *

In mehrfacher Hinsicht handelt es sich um ein außerordentlich beachtenswertes Buch, steht es doch in auffallendem Kontrast zu offiziös geprägter Geschichtsliteratur. In dieser dominieren bekanntlich Werke, die das (gewiss sehr komplizierte) Gegen- und teilweise Miteinander von Sozialdemokraten und Kommunisten allein dogmatisierenden Formeln unterwerfen: Da geht die Rede von der »Zwangsvereinigung«, von der SED als »abgeleitetem Projekt der sowjetischen Besatzungsmacht« oder von der DDR als einem System, das nicht in der Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung gestanden habe oder gar in einen Topf mit dem deutschen Faschismus zu schmeißen sei.

Bereits 2003, als die thüringische Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Tagung zum Thema »Rot-rote Gespenster in Thüringen. Demokratisch-sozialistische Reformpolitik einst und heute« durchführte, berührte der Historiker Steffen Kachel - er zählt zu den jüngeren in seiner Zunft - historische und aktuelle Probleme des Verhältnisses zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Dieses untersuchte er inzwischen eingehend, auf der Grundlage intensiv und akribisch ausgewerteten Quellenmaterials. Erfolgreich hinterfragt er »manch eingeführte Sichtweisen und medial verstärkte Binsenweisheiten«, in der Hoffnung, den Lesern Einsichten in eine spannende Zeit vermitteln zu können, die »wahrhaftig Weichen stellte bis in unsere Gegenwart«. Was ihm durchaus gelungen ist.

Gerade die Geschichte beider Arbeiterparteien in Thüringen bietet zahlreiche Belege dafür, dass sich die realgeschichtlichen Fakten keineswegs in ein schematisierendes Bild von Demokratie hie und Diktatur da pressen lassen, auch nicht für die unmittelbare Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die im Mittelpunkt der Untersuchungen steht. Kachel beschreibt auch detailliert die unterschiedlichen Parteiengruppierungen - als linke, emotionale oder kritische Kommunisten sowie linke, traditionelle oder als freiheitliche Sozialdemokraten und Linksrepublikaner.

Der Autor schlussfolgert, die SPD dürfe nicht schlechthin als Repräsentantin des mitteldeutschen Arbeitermilieus betrachtet werden, dies seien eher die Linken aus ihren Reihen und die Kommunisten gewesen. Solche und viele andere beweisbare Tatsachen setzt er gegen Thesen, die z. B. Karsten Rudolph vertritt, wonach die »Zwangsvereinigung« mit allen Mitteln einen »Enteignungs- und Entfremdungsprozess sozialistischer Traditionen und Zielsetzungen« bedeutet habe. Auch hätten sich, so weist Kachel nach, die Eingriffe der sowjetischen Besatzungsmacht kaum gegen die Übernahme sozialdemokratischer Politik und Werte in die SED gerichtet, sondern vornehmlich gegen die »Stabilität des Parteiaufbaus und der Parteidisziplin der SPD«. Erst die später einsetzende Kampagne gegen den Sozialdemokratismus »enteignete« die SED-Mitgliedschaft um ihre sozialdemokratische Traditionslinie, und »ihre nichtstalinistische kommunistische gleich mit«. Diese Befunde - konkret ausgebreitet für die Zeit von der Wiedergründung von SPD und KPD nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Umwandlung der SED in den zentralen Part eines volksdemokratischen Staatsgebildes - lassen sich eindeutig in einem kausalen Zusammenhang mit jenen Erfahrungen sehen, die in Thüringen zwischen 1921 und 1923 gesammelt werden konnten. Damals entschied sich hier - im Unterschied zur Situation im Reich - die thüringische Sozialdemokratie, keine Koalition mit einer bürgerlichen Partei einzugehen. Die spezifisch linke Prägung der Thüringer SPD sieht Kachel erstens in deren Versuch, den größten Teil der materiellen Lasten der Nachkriegskrise den besitzenden Schichten zu übertragen, zweitens in der Nutzung landespolitischer Spielräume für eine linksrepublikanische Kultur-, Bildungs-, Personal- und Innenpolitik, drittens in der Suche nach parlamentarischen Mehrheiten links, viertens in der innerparteilichen Kritik an der Profilarmut der Sozialdemokratie in den Koalitionen mit bürgerlichen Parteien, fünftens im Streben nach kultureller Hegemonie in der Gesellschaft sowie sechstens in einem starken sozialistischen Selbstbewusstsein, »das die Hoffnungen und das Vertrauen der Wähler und Sympathisanten, des eigenen Milieus, wichtiger nahm als die staatsmännische Ausstrahlung auf die der Arbeiterbewegung fern stehenden Schichten«. Nebenbei bemerkt: Damals stand also statt der heute so beliebten geschichtspolitischen Rechthaberei Wichtigeres im Vordergrund.

Für das zweite Kapitel wählt der Autor eine in der Weimarer Zeit von Jungsozialisten verbreitete Losung: »Republik, das ist nicht viel - Sozialismus ist das Ziel!« Hier verfolgt er die Entwicklung der thüringischen Sozialdemokratie vor und nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Radikalisierung und Spaltung sowie ihre Haltung in der Konfrontation der beiden politischen Lager in der deutschen Gesellschaft. Zugleich werden sachlich-kritisch die Auseinandersetzungen und Entscheidungen in der thüringischen KPD um ihre »rechte« Prägung dargestellt, ihre Irrtümer und Fehlentscheidungen zur Frage nach einer »revolutionären Politik in nichtrevolutionärer Zeit«.

Untersucht wird ebenso der Thüringer Arbeiterwiderstand zwischen 1933 und 1945. Das Kapitel schließt mit deiner Darstellung des Verhältnisses von Sozialdemokraten und Kommunisten im KZ Buchenwald, wobei Kachel die Wertungen von Lutz Niethammers über die »Roten Kapos« als unzureichend erhellt, zugleich aber auf notwendige weitere Forschungen verweist.

Dem Ganzen stellte Kachel eine umfangreiche Abhandlung zu seinen theoretischen und methodischen Forschungskriterien voran. Sozialistisches Milieu, regionale politische Kultur, generationelle Aspekte und der »subjektive Faktor« - all das ineinander verwoben lässt eine großartige Leistung erkennen.

Steffen Kachel: Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen 1919 bis 1949. Böhlau Verlag, Weimar 2011. 599 S., geb., 64,90 €.



* Aus: neues deutschland, 22. Dezember 2011


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