Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Links in Deutschland

Ein Buch über den »unaufhörlichen Niedergang« einer politischen Bewegung

Von Claudia Wangerin *

Olaf Baale wollte ein Buch darüber schreiben, »wie in Deutschland der linke Flügel beschnitten wurde«. In der vielversprechenden Einleitung von »Links in Deutschland – Der unaufhörliche Niedergang einer von Herzen kommenden Bewegung« betont er, daß die Masse der Bevölkerung eigentlich gute Gründe hätte, links zu sein und links zu wählen. Dafür nennt er Beispiele von der älteren Dame, die als junges Mädchen Bombennächte durchlebt hat und weiß, »mit den Afghanistan-Einsätzen der Bundeswehr wurde eine Tür aufgestoßen, die niemals geöffnet werden sollte«, über die junge Bibliothekarin, die sich dreieinhalb Jahre als Praktikantin durchschlagen muß, ehe sie eine Anstellung zu deutlich schlechteren Konditionen als ihre älteren Kolleginnen erhält, bis zum Kraftfahrer, der mit 53 Jahren seine Arbeit verliert und nach einem Jahr Arbeitslosigkeit erst mal seine Ersparnisse aufbrauchen muß, ehe er Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen hat.

SPD-Politik

Allerdings entsteht bei der weiteren Lektüre der Eindruck, als habe der Autor selbst keine klare Vorstellung davon, was heute links ist. Während er sich mit Geheimdiensten, psychologischer Kriegsführung und Terror unter falscher Flagge auskennt und diesen Praktiken zwei lesenswerte Kapitel widmet, hat er sich weder mit der Linkspartei noch mit außerparlamentarischen Linken ernsthaft beschäftigt. Erst auf der allerletzten Seite bemerkt er, mit der Linkspartei habe sich »eine neue politische Kraft etabliert«. Der einzige bekannte Linken-Politiker, den Baale im gesamten Buch erwähnt, ist Oskar Lafontaine – selbst der kommt allerdings nur als SPD-Politiker in einem Kapitel über die »Wende« von 1989 und ’90 vor. Dabei geht der Autor ansonsten durchaus auf aktuellere Ereignisse wie die Veröffentlichung vertraulicher US-Botschaftsdepeschen durch die Internetplattform Wikileaks ein.

Was fehlt, ist der gesamte Enstehungsprozeß der heutigen Linkspartei aus PDS und WASG. Die Gründung der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit«, bei der von der SPD enttäuschte Gewerkschafter eine entscheidende Rolle spielten, war aber eine Zäsur, die in einem Buch mit einem solchen Titel doch etwas näher beleuchtet werden sollte.

Bei der Beurteilung der SPD-Politik widerspricht sich der Autor völlig. Einerseits bemerkt er, »daß unter allen SPD-Kanzlern Entscheidungen getroffen wurden, die sich gegen die eigene Klientel richteten, so die politisch motivierten Berufsverbote unter Willy Brandt, der NATO-Doppelbeschluß unter Helmut Schmidt, die Hartz-IV-Gesetze unter Gerhard Schröder«. Dazu meint Baale andererseits, es liege in der Natur der politischen Linken, daß sie »heiße Eisen anpackt«. Schröder erscheint in einem späteren Kapitel vor allem als Opfer einer konservativen, mehr oder weniger von den USA gesteuerten Medienkampagne im Spätsommer 2005. »Dabei ließe sich nicht sagen, daß Schröder schlecht regiert hätte. Im Gegenteil, der SPD-Kanzler stand für eine mutige und engagierte Regierungszeit.« Als Beispiel für »mutig und engagiert« wird ausgerechnet die »Agenda 2010« genannt, zu deren Kernbereich die Hartz-IV-Gesetze gehören.

Daß der SPD-Kanzler eine direkte Beteiligung am Irak-Krieg ablehnte, rechnet ihm Baale hoch an, läßt aber den Kosovo-Krieg von 1999 als entscheidenden Tabubruch unter der Regierung Schröder fast völlig unter den Tisch fallen. Er steht verschämt und versteckt in Klammern: »Die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder hatte zwar nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 seine Solidarität mit den USA bekundet, auch beteiligte sich die Bundeswehr an NATO-Einsätzen (die ersten Kampfeinsätze deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg), doch einen Krieg gegen Irak lehnte das rot-grüne Regierungsbündnis ab und wußte sich dabei eins mit der großen Bevölkerungsmehrheit.«

Schröders Niederlage

Eine »Trendwende« sei durch den Amerikabesuch der bis dahin glücklos agierenden Oppositionsführerin Angela Merkel und einen von ihr verfaßten Meinungsartikel in der Washington Post eingeleitet worden. Tatsächlich hat sich aber seit dem Irak-Krieg nichts daran geändert, daß die Mehrheit der Bevölkerung deutsche Kriegseinsätze im Ausland ablehnt. Nur tut sie das aus unterschiedlichen Gründen – zum Teil vielleicht nur wegen der Kosten – und macht es nicht zum Wahlprüfstein. Die Niederlage von Schröder bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Jahr 2005 dürfte eher auf den maßlosen Glaubwürdigkeitsverlust zurückzuführen sein, den die SPD sich mit der Agenda 2010 selbst eingebrockt hatte. Olaf Baale zieht es aber vor, das Böse fast nur in den USA zu suchen. Der deutsche Michel mit SPD-Parteibuch hat das alles nicht so gemeint.

Mehr Verbreitung sollten Baales Einblicke in den Filz von Geheimdiensten und bundesdeutschen Leitmedien finden. Über die »von Herzen kommende Bewegung«, über die er schreiben wollte, liefert er aber keine neuen Erkenntnisse.

Olaf Baale: Links in Deutschland. Der unaufhörliche Niedergang einer von Herzen kommenden Bewegung. Das Neue Berlin, Berlin 2011, 224 Seiten, 14,95 Euro

* Aus: junge Welt, 2. Mai 2011


Zurück zur Seite "Parteien und Frieden"

Zurück zur Homepage