NATO-Chef: Pakt darf kein Hansdampf sein
Neue Strategie soll Streitfragen klären *
Die künftige NATO-Strategie muss nach Ansicht des scheidenden
NATO-Generalsekretärs Jaap de
Hoop Scheffer eine Reihe wichtiger Streitfragen im Nordatlantischen
Bündnis klären.
Brüssel (dpa/ND). Beim Beginn von Expertenberatungen, die bis Ende 2010
zu einer neuen NATOStrategie
führen sollen, forderte Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die
Verbündeten am
Dienstag in Brüssel auf, sich über die gemeinsamen Bedrohungen zu
einigen, derentwegen sie
verbündet sind. Stärker als die Gefahr eines Einmarschs auf
NATO-Territorium sei die Bedrohung
durch Terrorismus oder durch die Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen geworden.
»Die 28 Verbündeten haben sehr unterschiedliche Ansichten über die
Bedrohungen, denen sie sich
ausgesetzt sehen«, sagte De Hoop Scheffer. »Ich glaube, wir brauchen
eine neue Strategie, um
einen wirklichen und dauerhaften Konsens zwischen den Alliierten wieder
herzustellen.« In der
NATO neige man zu der Ansicht, das Verschwinden der Spannungen um den
Irak-Krieg bedeute
angesichts einer neuen US-Regierung, dass der NATO-Konsens über
bestimmte Bedrohungen und
deren Dringlichkeit wieder hergestellt sei. »Ich persönlich bin mir da
nicht so sicher«, sagte der
Generalsekretär. Er wird Ende Juli vom Dänen Anders Fogh Rasmussen abgelöst.
Tatsächlich werde die Bedrohung unterschiedlich gesehen – regional,
global und oft abhängig von
eigenen geschichtlichen Erfahrungen. »Manche wollen neue Chancen mit
Russland wahrnehmen,
andere sehen Russland als fortdauerndes Problem, manche sehen in
Afghanistan eine wirkliche
Gefahr für die eigene Sicherheit, andere erwecken den Eindruck, dass
Afghanistan sehr weit weg
ist.« Er mahnte: »Die NATO kann als Organisation nicht gedeihen, wenn
sie sich um zu viele
individuelle Bedrohungen kümmert und ein Hansdampf in allen Gassen wird,
der nichts wirklich
richtig macht.« »Wir haben es zugelassen, dass die NATO sich in viele
verschiedene Richtungen
entwickelt, ohne ein Leitbild herzustellen, das es unserer
Öffentlichkeit klarmacht, warum sie immer
noch die NATO braucht«, so De Hoop Scheffer. Die in Artikel 5 des
NATO-Vertrags enthaltene
Verpflichtung zum militärischen Beistand müsse auch Kernstück einer
neuen Strategie sein. Er
hoffe, dass diese Strategie »besser definiert, wann diese Verpflichtung
in der Zukunft gegeben ist
und welche Antwort die NATO gemeinsam unterhalb der Schwelle der
Kalte-Kriegs-Szenarien
geben sollte«.
Die NATO müsse den neuen Mitgliedsstaaten aus dem früheren Ostblock
»versichern, dass sie ihre
Beistandsverpflichtung ernst nimmt – nicht nur auf dem Papier, sondern
auch durch Planung und
Manöver«. Auch diese Frage ist im Bündnis heftig umstritten. Zudem müsse
die Strategie
festschreiben, dass die Beistandsverpflichtung »ebenso außerhalb wie
innerhalb des NATO-Gebiets
gilt«.
De Hoop Scheffer forderte NATO und EU auf, den Streit zwischen der
Türkei und Zypern nicht
länger die Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen stören zu
lassen. »Ich bin einfach
enttäuscht, dass eine wirkliche strategische Partnerschaft, die für
beide Organisationen sehr sinnvoll
ist, bisher nicht möglich war«, sagte er. »Wir werden besser sein
müssen, wenn es darum geht, die
Fähigkeiten von NATO und EU zu verbinden.«
* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009
Weitere Beiträge zur NATO
Zur Sonderseite "Die neue NATO-Strategie"
Zurück zur Homepage