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Wie hält es Russland mit dem Pakt?

Diskussionen, die vor Jahren undenkbar waren

Von Martin Lejeune *

Seit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in seiner Antrittsrede im Sommer 2009 eine Mitgliedschaft Russlands in der Militärallianz für »theoretisch denkbar« hielt, wird eben dieses Thema in verschiedenen Zirkeln diskutiert.

Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Russischen Staatsduma, äußerte jüngst in Berlin, er würde es »hundertprozentig« begrüßen, wenn die NATO Russland die Mitgliedschaft anbieten würde. »Das wäre mein Wunschtraum, dann würden innenpolitische Diskussionen anfangen, ob Russland die NATO braucht oder nicht. Diese innenpolitische Debatte gibt es leider noch nicht.«

Noch weiter ging Igor Jurgens, Vizepräsident des russischen Industriellen- und Unternehmerverbands und Vorstandsvorsitzender des Instituts für moderne Entwicklung. Jurgens sprach sich auf einem Forum in Jaroslawl Mitte September für einen schrittweisen Beitritt Russlands zur NATO aus. Bei der Bekämpfung künftiger Herausforderungen wie der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Rohstoffkrisen, Umweltkatastrophen und Terrorismus dürften sich Russland und der Westen auf keinen Fall gegenüberstehen. Jurgens glaubt an das Projekt eines Großeuropas mit Russland in der EU und der NATO.

Hierzulande wird Jurgens stets als wichtiger Präsidentenberater vorgestellt, Dmitri Tultschinski, Leiter des Deutschlandbüros der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, dagegen meint, dessen Meinung sei in Russland so relevant wie die Ansichten einer Balletttänzerin am Bolschoi. Er jedenfalls könne in seiner Heimat keinen starken Wunsch erkennen, der NATO beizutreten. Vielmehr könne Russland die neuen Herausforderungen für seine Landesverteidigung am besten auf der kooperativen Ebene des NATO-Russland-Rates lösen. Zusammenwirken wird als notwendig erkannt

Tatsächlich bezeichnen russische Politiker den westlichen Militärpakt öffentlich nicht mehr als aggressiven Block. »Russland hat die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens mit der NATO inzwischen erkannt«, äußerte sich in einer Berliner Runde mit Konstantin Kossatschow und Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, auch der russische Botschafter Wladimir Grinin. Dem stimmte Hoyer zu: »Russland sowie die Staaten der NATO sehen sich den Bedrohungen der Zukunft in ähnlicher Weise gegenübergestellt und bilden damit, gewollt oder nicht, notwendigerweise eine Art Interessengemeinschaft.« Dies müsse sich noch mehr in der Zusammenarbeit des Westens mit Russland widerspiegeln. Einen russischen NATO-Beitritt konnte sich Hoyer zwar nur schwer vorstellen, aber allein, dass die Perspektive heute wieder diskutiert werde, zeige einen großen Fortschritt. Eine engere Klammer zwischen der »transatlantischen Institution« und Russland sei möglich geworden.

Alexander Rahr, Russlandexperte der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht den Westen in einem Dilemma: »Einerseits darf er Russland keine eigene Einflusssphäre auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion zugestehen, andererseits benötigt er Russland in der neuen globalen Sicherheitspartnerschaft.« Praktisch fungiert Moskau in Afghanistan schon als Verbündeter, indem es sein Territorium für NATO-Militärtransportflüge zur Verfügung stellt.

Kossatschow konnte sich Ende September in Berlin sogar »russische Bodentruppen in Afghanistan unter dem Kommando der NATO« vorstellen. »Das instabile Afghanistan und die Gefahr, dass die Atombomben in Pakistan in die falschen Hände geraten können, sind für Russland genauso evident wie für den Westen.« Für gemeinsame Raketenabwehr

Außenminister Sergej Lawrow wirbt indessen nach wie vor und vor allem für eine gemeinsame Raketenabwehr gegen potenzielle Gefahren aus dem Süden. Da Washington die »Schurkenstaaten« im Mittleren Osten verortet, hätte man doch allen Grund, wie von Russland vorgeschlagen, einen Militärstützpunkt in Aserbaidshan für die Raketenabwehr zu nutzen, wiederholte er beim jüngsten Treffen des Waldai-Klubs, eines Diskussionsforums, das RIA Nowosti und der russische Rat für Außen- und Verteidigungspolitik veranstalten.

Bei allen gemeinsamen Interessen möchte man in Moskau jedenfalls nicht, dass die NATO Russland zu dicht auf die Pelle rückt. Alexander Rahr schließt das aus Dmitri Medwedjews Vorschlag, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. »Der Vorschlag Medwedjews richtet sich vor allem gegen eine weitere Ausdehnung der NATO auf den ehemals sowjetischen Raum«, glaubt er. Auf der anderen Seite wünschen etliche Politiker osteuropäischer NATO-Staaten immer noch, dass sich der Militärpakt für den Fall präpariert, dass eines seiner Mitglieder von Russland angegriffen wird.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Oktober 2010


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