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Die NATO sucht einen neuen Chef

Berlin, London und Paris sollen den dänischen Premier Fogh Rasmussen favorisieren

Von Olaf Standke *

Paris, Berlin und London haben sich angeblich auf Anders Fogh Rasmussen als neuen NATO-Generalsekretär geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premier Gordon Brown plädierten für den dänischen Regierungschef als Nachfolger von Jaap de Hoop Scheffer, wie die »Süddeutschen Zeitung« am Samstag berichtete. Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte gestern, es seien noch keine Entscheidungen gefallen.

Er wird seit geraumer Zeit als Kandidat für das höchste politische Amt der NATO gehandelt, und dänische Medien vermuteten schon in der Vorwoche eine offizielle Erklärung von Fogh Rasmussen, als der Regierungschef in der Fragestunde des Parlaments Rederecht beantragt hatte. Die Presseloge des Folketings war restlos überfüllt, aber der Ministerpräsident enttäuschte die Gerüchteproduzenten und sprach nicht über den Nordatlantik-Pakt, sondern über Steuerfragen. Auch seine Partei, die rechtsliberale Venstre, hat immer dementiert und erklärt, dass ihr Spitzenmann bei der nächsten Wahl erneut antreten werde.

Doch nach seinen jüngsten Gesprächen mit Gordon Brown und Angela Merkel erhielten die Spekulationen dann neue Nahrung. Und die angebliche Einigung der drei großen europäischen Bündnismitglieder Deutschland, Frankreich und Großbritannien müsse man als Vorentscheidung werten. Die fünfjährige Amtszeit des amtierenden Generalsekretärs de Hoop Scheffer läuft am 31. Juli aus. Sein Nachfolger soll auf dem NATO-Gipfel Anfang April bestimmt werden.

In der Allianz gibt es bei der Besetzung des Postens ein paar ungeschriebene Regeln. So wie der militärische Oberbefehlshaber (Saceur) bisher immer ein US-Amerikaner war, so stellten die europäischen Bündnispartner den Generalsekretär. Aber natürlich muss Washington als Hauptmacht des transatlantischen Paktes diese Personalie abnicken. »Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, dass wir jemanden finden, der die exekutive Erfahrung hat, um an der Spitze dieser großen und komplexen Organisation zu stehen«, betonte US-Verteidigungsminister Robert Gates -- fast schon ein Plädoyer für den dänischen Ministerpräsidenten.

Offiziell gibt es nur einen Bewerber. Bulgarien hat seinen einstigen Außenminister Solomon Passy benannt. Doch wurden in den vergangenen Monaten diverse Namen gehandelt, Norwegens Außenminister Jonas Gahr Störe etwa, der frühere britische Verteidigungsminister Des Browne, der einstige slowenische Ministerpräsident Janez Jansa und zum wiederholten Mal der polnische Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski. In Warschau war man allerdings bemüht, den amtierenden Außenminister Radoslaw Sikorski ins Spiel zu bringen, auch als Kandidat der im letzten Jahrzehnt entstandenen Gruppe der osteuropäischen NATO-Mitglieder. Gegen den 45-Jährigen gibt es in der Allianz aber Widerstand, ist er doch immer wieder durch dezidierte antirussische Äußerungen aufgefallen. Und die passen in Zeiten einer Entspannung im Verhältnis zu Moskau schlecht zum politischen NATO-Gesicht, hieß es bei westeuropäischen Diplomaten in der Brüsseler Zentrale.

Auf Vorbehalte trifft jedoch auch Fogh Rasmussen, der sich in Dänemark mit einer harschen Law-and-Order-Politik profiliert hat und nur dank der Stimmen der fremdenfeindlichen Volkspartei regieren kann. Er soll von den drei großen europäischen Staaten unter anderem deshalb favorisiert werden, weil er den Aufruhr um die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung seinerzeit so ruhig bewältigt habe. Die Türkei wiederum habe gerade unter Verweis auf diesen Konflikt hinter den Kulissen versucht, seine Berufung zu verhindern.

Dass Fogh Rasmussen unter Negierung der Bedrohungsanalyse des eigenen Geheimdienstes 2003 dänische Einheiten an der Seite der Bush-Truppen nach Irak schickte, nehmen ihm viele Dänen ebenso übel wie den Militäreinsatz in Afghanistan, wo sich Kopenhagen mehr als andere NATO-Staaten engagiert. Aber auch im Bündnis findet er dafür nicht nur Beifall. So hat unlängst der stellvertretende norwegische Verteidigungsminister erklärt, Oslo werde jeden Kandidaten für das Amt des NATO-Generalsekretärs ablehnen, dessen Heimatland in den Irak-Krieg verwickelt sei. Der politische Spitzenmann des Paktes kann nur im Konsens der mittlerweile 26 Mitgliedsstaaten bestimmt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. März 2009


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