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Stiller Ozean?

USA/JAPAN: Mit dem militärischen Schulterschluss zwischen beiden Staaten nimmt eine globale NATO Gestalt an

Von Peter Linke*

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist einmal mehr die NATO als globale Sicherheitsagentur ins Gespräch gebracht worden. Die USA, Großbritannien und die Niederlande favorisieren eine engere Militärkooperation vorrangig mit Japan, Australien und Südkorea im asiatisch-pazifischen Raum, in dem sich - so die Lesart von US-Verteidigungsminister Rumsfeld - der nächste Megakonflikt ergeben könne.

"Wir sehen uns in ein dynamisches Sicherheitsumfeld gestellt, auf das wir mit neuen Kommandostrukturen, neuer Ausrüstung sowie einer neuen Stationierungspolitik antworten müssen." So Admiral William Fallon, Kommandeur der US-Pazifikflotte, im März 2005 während einer Parlamentarischen Anhörung im Kongress. Schließlich führten die Vereinigten Staaten im asiatisch-pazifischen Raum sowie anderswo unerbittlich ihren "Krieg gegen den Terror". Und - so ließe sich ergänzen - wie in anderen Weltregionen dient er auch hier dazu, globale Dominanz mit militärischen Mitteln aufrechtzuerhalten und optimale Bedingungen zu haben, um Streitkräfte weit über den pazifischen Raum hinaus dislozieren zu können.

Deshalb erhielten schon vor Jahren die für eine regionale Präsenz besonders wichtigen US-Luftwaffenstützpunkte Elemendorf (Alaska), Hickam (Hawaii), Andersen (Guam) sowie Iwakuni, Kadena, Misawa und Yokota (ausnahmslos auf japanischem Territorium) längere Rollbahnen und größere Treibstoffdepots. Erweitert werden auch die Munitionsbestände: Zu lasergesteuerten Bomben kommen demnächst multiple Lenkraketensysteme, Lenkgeschosse mit Penetrationssprengköpfen sowie düsengetriebene Luft-Boden-Marschflugkörper. Außerdem werden 34 hochmoderne C-17-Transportmaschinen sowie die Modernisierung der in Yokota stationierten C-130-Hercules-Flotte die Reichweite der US-Streitkräfte ebenso vergrößern wie neue Tankflugzeuge und Hochgeschwindigkeitsschiffe. Noch einmal Admiral Fallon: "Wir wollen vorgeschobene Kräfte, agil und flexibel, die jederzeit einsatzbereit sind."

In diesem Sinne hat das Pentagon damit begonnen, in Alaska und auf Hawaii hochmoderne Stryker-Radpanzer zusammen mit C-17-Transportern zu stationieren, sowie Guam durch sechs strategische B-2-Bomber und 48 Kampfjets, drei unbemannte Aufklärungsflugzeuge des Typs Global Hawk sowie drei Jagd-U-Boote endgültig in eine waffenstarrende Festung zu verwandeln.

Zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Weltraum

Bevor auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende über eine NATO debattiert wurde, die eine extensivere Partnerschaftspolitik im globalen Maßstab betreibt, stand außer Zweifel, dass derartige Bemühungen im Pazifik über ein Anfangsstadium längst hinaus sind und auf willige Alliierte stoßen. Nicht zuletzt Südkorea, das gerade auf die Modernisierung seiner Streitkräfte verpflichtet wurde. Oder Australien, dessen Militär seit kurzem in einem "Vereinten Trainingszentrum" mit der US-Armee den nötigen Schliff bekommt. Nicht zu vergessen die Philippinen, die im Oktober 2003 offiziell den Status eines "wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten" im Anti-Terror-Krieg verliehen bekamen. Auch Thailand stellt als weiterer "Nicht-NATO-Verbündeter" US-Truppen seine Infrastruktur und Logistik zur Verfügung.

Der entscheidende Partner mit rund 50.000, auf diversen Luftwaffen- und Flottenbasen stationierten US-Militärs bleibt indes Japan. Die amerikanische Präsenz regelt ein Sicherheitsvertrag aus dem Jahr 1950, der zweimal - 1978 und 1997 - veränderten Modalitäten angepasst wurde, ohne dabei in seinem Kern in Frage gestellt zu werden: Die USA verpflichten sich zur Verteidigung Japans sowie zu Sicherheitsgarantien in Fernost überhaupt und dürfen im Gegenzug Militärstützpunkte im Land der aufgehenden Sonne unterhalten.

Am 29. Oktober 2005 verständigten sich Washington und Tokio auf eine prinzipielle Neuordnung ihrer bilateralen Sicherheitsbeziehungen, um - wie es hieß - größtmögliche Operationsfähigkeit bei gemeinsamen Kampfeinsätzen zu sichern. Zu diesem Zweck werden das Hauptquartier des 1. U.S. Army Corps und damit erhebliche Stryker-Kapazitäten von Fort Lewis (Washington) nach Camp Zama verlegt, einer rund 40 Kilometer südwestlich von Tokio befindlichen US-Militärkolonie, in der künftig zugleich eine noch im Aufbau befindliche Schnelle Eingreiftruppe der japanischen "Selbstverteidigungsstreitkräfte" stationiert sein soll. Wenn die in direkter Nachbarschaft dislozierte Hercules-Flotte modernisiert sein wird, verfügen die Amerikaner damit über eine ideale Plattform, deren Aktionsradius die Tiefe des west-asiatischen Raumes erfasst.

Parallel dazu wird der Stab des 3. US-Marineinfanterie-Expeditionskorps von Okinawa nach Guam verlegt, sollen diese Kräfte doch in absehbarer Zeit - ausgerüstet mit neuen Hochgeschwindigkeitsschiffen - wichtige Transportaufgaben zwischen den beiden rund 2.300 Kilometer voneinander entfernten Inseln wahrnehmen.

Doch nicht nur zu Lande und zu Wasser, auch in der Luft und im Weltraum wollen die USA und Japan auf Tuchfühlung bleiben. So ist beabsichtigt, durch die Vereinigung des in Yokota angesiedelten 5. US-Luftwaffenhauptquartiers mit dem auf Guam befindlichen 13. US-Luftwaffenhauptquartier den rund 40 Kilometer nordwestlich von Tokio gelegenen Stützpunkt der Air Force zum Kommandozentrum für Ostasien und den Pazifik zu befördern. Es ist Teil dieser Planung, das Oberkommando der japanischen Luft-Selbstverteidigungsstreitkräfte ebenfalls in Yokota anzusiedeln, so dass ein Vereinter Stab für die regionale Raketenabwehr entsteht. Ein kombiniertes see- und landgestütztes Raketenabwehrsystem "made in USA" soll 2011 einsatzbereit sein. Schon jetzt arbeiten Techniker beider Länder an der nächsten Generation seegestützter Anti-Raketen-Raketen, die 2015 in Serie gehen sollen.

Auf den Verfassungsbruch folgt die Verfassungsrevision

Natürlich kollidieren diese Aktivitäten mit Japans Friedensverfassung von 1946, die es dem Land verbietet, "reguläre Streitkräfte" zu unterhalten und sich an "kollektiven Verteidigungsmaßnahmen" zu beteiligen. Seit dem 22. November 2005 jedoch liegt der Entwurf für eine neue Verfassung, ausgearbeitet von den regierenden Liberal-Demokraten (LDP), auf dem Tisch, der genau dies zu ändern sucht. Darüber hinaus kündigte die LDP im Januar an, bis zum Sommer der Regierung von Premier Koizumi zu empfehlen, das aus dem Jahre 1969 stammende Verbot einer militärischen Nutzung des Weltraums aufzuheben, um Aufklärungssatelliten zu ermöglichen, die als Teil einer eigenen Raketenabwehr stationiert werden sollen.

Besonders China verfolgt die innige amerikanisch-japanische Waffenbrüderschaft mit wachsendem Misstrauen. Jahrzehntelang hatte der erwähnte Sicherheitsvertrag Nippons Militär kurz gehalten. Nun scheint die rote Linie weit überschritten: Japan wird - wie es der Wunsch seiner politischen Eliten seit langem ist - zu einem "normalen Staat" mit "normalen Streitkräften" in einer normalen Allianz, vorerst mit den Amerikanern, demnächst unter Umständen mit der NATO. Aufhalten ließe sich diese Entwicklung wohl nur, käme es zu einem regionalen Sicherheitssystem, das sowohl für Japan wie auch alle anderen Länder der Region akzeptabel und bindend wäre. Andernfalls wächst die Gefahr unkontrollierter militärpolitischer Rivalitäten, deren Konsequenzen auch Russland, Indien und Pakistan kaum unberührt lassen.

* Aus: Freitag 06, 10. Februar 2006


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