NATO sucht neuen Beitrittskompromiss
Der Streit um die Aufnahme Georgiens und der Ukraine schwelt weiter
Von Olaf Standke *
Noch ein Mal will die NATO einen offenen Streit um den Beitritt Georgiens und der Ukraine wohl nicht riskieren. Wenige Stunden vor der heute (2. Dez.) beginnenden Außenministertagung soll man sich auf einen neuen Kompromiss geeinigt haben.
Viel Lobbyarbeit war in den vergangenen Tagen in Sachen Nordatlantikpakt zu beobachten. »Wir tun jetzt schon mehr für die NATO als manches Mitglied«, ließ etwa der ukrainische Außenminister Wladimir Ogrysko vollmundig in Interviews wissen. Er plädierte nachdrücklich dafür, seinem Land rasch einen »Aktionsplan für die Mitgliedschaft« (MAP) zu gewähren, bei dem es neben Rüstungsauflagen unter anderem um die Einhaltung der Menschenrechte und die demokratische Kontrolle des Militärs geht. Der MAP führt nach einigen Jahren zur Vollmitgliedschaft, vorausgesetzt es gibt eine förmliche Beitrittseinladung. Für beides ist allerdings ein einstimmiger NATO-Beschluss nötig.
Auch Georgiens Präsident Michail Saakaschwili drängte bei einer internationalen Telefonkonferenz mit Journalisten auf einen raschen Beitritt seines Landes zur NATO, diesen so »mächtigen Demokratie- und Stabilitätsfaktor«, wie er sagte. In Moskau wurde man dagegen nicht müde, auf die gefährlichen Folgen einer solchen Mitgliedschaft für den »postsowjetischen« Raum wie für die Beziehungen Russlands zur NATO hinzuweisen - und fand auch im Bündnis bei einigen Staaten Gehör.
Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien und die Niederlande etwa hielten die Einbeziehung der Ukraine und Georgiens in solche NATO-Aktionspläne für verfrüht. Auf dem Frühjahrsgipfel in Bukarest hatte man beiden Staaten zwar eine prinzipielle Mitgliedsperspektive eröffnet, die Entscheidung über den nächsten konkreten Schritt aber auf Dezember verschoben. Doch spätestens mit der Kaukasuskrise und angesichts der innenpolitischen Querelen der Ukraine in der NATO-Frage wuchsen die Zweifel. Zumal die Kritik samt Androhung von Gegenmaßnahmen aus Russland immer schärfer wurde.
Doch hatten Tbilissi und Kiew neben den baltischen Staaten und Polen vor allem einen starken Fürsprecher - die Bush-Regierung. Sie versuchte schließlich, ihren politischen Schützlingen eine Hintertür zu öffnen: Warum nicht Georgien und die Ukraine aufnehmen, ohne zuvor einen »Aktionsplan für die Mitgliedschaft« zu vereinbaren, für den die so schwer erreichbare Einstimmigkeit notwendig wäre. Außenministerin Condoleezza Rice schlug vor, die Vorbereitungen für die Aufnahme stattdessen in den Kommissionen der Allianz stattfinden zu lassen.
Das lehnte die Bundesregierung ab. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ihr sozialdemokratischer Konkurrent im nächsten Bundestagswahlkampf, zeigten sich in diesem Punkt einig. Nach Informationen der »International Herald Tribune« sollen insgesamt zehn NATO-Staaten ähnlich gedacht haben. Von einem »gefährlicher Präzedenzfall« war die Rede, sollte der ohnehin nur nach sehr langwierigen und schwierigen Verhandlungen gefundene Kompromiss von Bukarest de facto aufgekündigt werden. Damit würde der Bündniszusammenhalt unnötig auf die Probe gestellt werden, hieß es unter NATO-Diplomaten in Brüssel.
Nun also scheint ein Kompromiss zum Kompromiss gefunden worden zu sein. Danach will man Georgien und die Ukraine zunächst mit »nationalen Jahresprogrammen« auf einen späteren Beitritt vorbereiten. Die jährlichen Überprüfungen sollen, wie von Washington gefordert, in den bereits bestehenden gemeinsamen Kommissionen der NATO mit den beiden Ländern vorgenommen werden. Allerdings werde dadurch die MAP-Stufe nicht ersetzt, war aus Berlin zu hören. Wie die Quadratur des Kreises konkret aussehen soll, blieb gestern aber noch offen.
Im Schatten dieses Streits wird der Konflikt um einen anderen Beitrittskandidaten öffentlich kaum wahrgenommen: Griechenland bemühte sich sehr, eine Einladung zum heutigen Treffen an Mazedonien zu verhindern. Grund ist der Namensstreit zwischen Skopje und Athen. Die ehemalige jugoslawische Republik hat inzwischen sogar Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereicht. Griechenland lehnt den Staatsnamen Mazedonien mit Hinweis auf seine gleichnamige Region kategorisch ab.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Dezember 2008
NATO-Beitritt aufgeschoben?
Außenminister beraten in Brüssel über Fortschritte Georgiens und der Ukraine **
Der geplante NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine ist weiter aufgeschoben. Beide Länder hätten keine entscheidenden Fortschritte auf dem Weg zur Mitgliedschaft gemacht, hieß es am Montag (1. Dez.) vor einem Außenministertreffen der Allianz von seiten Brüsseler Diplomaten. Auf Druck der USA hatte der NATO-Gipfel in Bukarest den beiden osteuropäischen Staaten im April erstmals einen Beitritt in Aussicht gestellt. Die Außenminister sollen die Lage am heutigen Dienstag und am Mittwoch bewerten.
Über die Bedingungen für die Mitgliedschaft wird im Bündnis gestritten. Deutschland pocht darauf, daß Georgien und die Ukraine das normale Aufnahmeverfahren durchlaufen müssen. Dieses sieht zwei Hürden vor: zunächst eine Aufnahme in den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (MAP), in dem die Länder auf den Beitritt vorbereitet werden. Das Vorgehen habe sich bewährt: »Wir wollen an dieser Stufe festhalten«, betonte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Montag in Berlin. Die Voraussetzungen für den »Aktionsplan« erfüllten die Ukraine und Georgien »im Moment und auf absehbare Zeit nicht«, fügte er hinzu.
Die zweite Hürde ist eine förmliche Beitrittseinladung. Für beides ist ein einstimmiger NATO-Beschluß nötig. Die USA wollen das Verfahren abkürzen. Washington will den Beitritt der beiden osteuropäischen Länder zunächst ohne die Aufnahme in den »Aktionsplan« vorantreiben. US-Außenministerin Condoleezza Rice hat sich nach Auskunft von Außenamtssprecher Jens Plötner in einem Telefongespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier für diese Beschleunigung eingesetzt. »Wir sehen in der Tat Bestrebungen, unter anderem der USA, auf das Institut des MAP zu verzichten«, sagte er. Er zeigte sich zuversichtlich, daß diese Meinungsverschiedenheit ausgeräumt werden könne.
Als Bedingungen für die Aufnahme beider Länder in das Beitrittsprogramm nannte Steg, daß sie keine schwelenden Konflikte in die NATO hineintragen und daß die Mitgliedschaft in der Militärallianz auch von der Mehrheit der Bevölkerung dort getragen wird. Zwar hätten Länder außerhalb der NATO kein Vetorecht hinsichtlich einer Erweiterung des Bündnisses, doch sollten entsprechende Schritte auch mit Rußland abgestimmt werden, sagte Steg.(AFP/AP/jW)
** Aus: junge Welt, 2. Dezember 2008
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