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Sarkozy will Einfluss auf die NATO-Strategie

Streit über die Rückkehr Frankreichs in die militärische Kommandostruktur der Allianz

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die Rückkehr in die militärische Kommandostruktur der NATO soll Frankreich mehr Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Allianz bringen, betonte Präsident Nicolas Sarkozy am Mittwoch (11. März) in Paris auf einem Kolloquium zur Zukunft des Paktes. Auf dem nächsten Gipfel Anfang April werde er den Beschluss zur Rückkehr offiziell übermitteln.

»Wir müssen endlich der Illusion ein Ende bereiten, dass wir uns vor irgendetwas schützen, wenn wir den Kopf in den Sand stecken«, verhöhnte Sarkozy seine Kritiker, die seiner Meinung nach einer veralteten Verteidigungsstrategie anhängen: »Frankreich ist nicht mehr von einer Invasion bedroht. Neue Gefahren wie Terrorismus treten auf. Dazu brauchen wir starke Alliierte.« Die über 43 Jahre verfolgte französische Sonderrolle bringe nur Nachteile. Sie nähre das Misstrauen der Verbündeten über die Bereitschaft, sich für die Allianz zu engagieren. Dabei habe Frankreich an fast allen Auslandseinsätzen der NATO teilgenommen. Mit 1600 Soldaten in Kosovo und 3000 in Afghanistan habe das Land eines der größten Truppenkontingente gestellt.

»Wir engagieren uns massiv, aber wir haben keinen Platz in den militärischen Kommandostrukturen und in den Gremien, die die Operationen planen und die strategischen Linien festlegen«, klagte Sarkozy. Dieser Schizophrenie müsse ein Ende bereitet werden. General de Gaulle hatte das Land 1966 aus der militärischen Struktur der NATO ausgegliedert, um zu verhindern, dass die USA Kommandohoheit über die Pariser Atomstreitkräfte gewinnen, die die Unabhängigkeit Frankreichs und seine Verteidigung »nach allen Richtungen« garantierten.

Diese Bedenken seien heute gegenstandslos, betonte Sarkozy. Frankreich verliere nichts von seiner Unabhängigkeit, bleibe Herr über seine Kernwaffen und werde auch weiterhin von Fall zu Fall über die Beteiligung an Auslandseinsätzen entscheiden. »Ja, wir sind Verbündete der USA, aber aufrechte Verbündete, unabhängige Alliierte und freie Partner.«

Die Rückkehr in die militärische Kommandostruktur der NATO, die einen seit vielen Jahren zu beobachtenden Wiederannäherungsprozess abschließt, wird vor allem von den französischen Linken, aber auch von vielen rechten Politikern scharf kritisiert – als Verzicht auf Unabhängigkeit in der Weltpolitik und Unterordnung unter Vorherrschaftsansprüche der USA. »Sarkozy macht sich die Logik der Stärke und die Kultur der Vorherrschaftsansprüche der Organisation zu eigen und akzeptiert die in ihr herrschenden Hierarchien«, urteilt die Kommunistische Partei. »Er hat die Möglichkeit verspielt, zu einem neuen Sicherheitssystem für Europa und die Welt beizutragen und das Engagement der NATO von der Legitimierung durch Resolutionen der UNO abhängig zu machen.«

Martine Aubry, Parteivorsitzende der Sozialisten, meint: »Dieser Schritt ist durch nichts gerechtfertigt. Es gibt weder eine aktuelle Notwendigkeit noch eine Trendwende bei der Allianz. Es handelt sich um einen Kniefall vor der Ideologie des Atlantismus.« Der ehemalige PS-Außenminister Hubert Védrine kritisiert, dass sich Frankreich ohne Not der Möglichkeit beraubt habe, »seine Rückkehr von einer tief greifenden Reform der NATO abhängig zu machen«.

Der frühere rechte Premier Dominique de Villepin kritisiert scharf, dass Frankreich durch seinen Schritt »einen Sonderstatus aufgibt, ohne eine echte Gegenleistung von den Amerikanern zu bekommen«. Sein Vorgänger im Amt, der Konservative Alain Juppé, erinnert daran, dass Paris Mitte der 1990er Jahre im Zusammenhang mit der geplanten Rückkehr in die NATO-Militärstruktur eine Aufteilung der Verantwortung unter Amerikaner und Europäer sowie die Anerkennung einer Europäischen Verteidigung durch die USA vorgeschlagen habe. »Da diese Bedingungen nicht erfüllt wurden, haben wir seinerzeit den Prozess eingestellt. Auch heute sind die Dinge um nichts klarer. Frankreich sollte seine Besonderheit behalten, seine unabhängige Lageeinschätzung und die Freiheit über seine Entscheidungen, was ganz besonders in der arabischen Welt, in Afrika, Asien und Lateinamerika geschätzt wird.«

Um der Entscheidung von Präsident Sarkozy einen demokratischen Anstrich zu verleihen, findet am kommenden Dienstag in der Nationalversammlung eine kurze Debatte mit anschließender Abstimmung statt. Da dabei nicht nur die linken Abgeordneten geschlossen dagegen stimmen werden, sondern auch mindestens 40 rechte Abgeordnete dazu neigen, will Premier François Fillon diese Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden. Angesichts dieser »Disziplinierung« der Parlamentarier der rechten Regierungskoalition und deren erdrückender Mehrheit im Parlament ist das Votum nur noch Formsache.

* Aus: Neues Deutschland, 13. März 2009


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