Rumäniens "transatlantischer Anspruch"
Präsident Basescu erregt selbst in Westeuropa bisweilen Misstrauen und Verärgerung
Von Anton Latzo *
In Bukarest herrscht Ausnahmezustand. Während die Normalbürger allerlei Einschränkungen in
Kauf nehmen müssen, posieren die Regierenden im Scheinwerferlicht, das auf die Großen der Welt
gerichtet ist. Rumänien sehe sich erstmals als »Teil der Welt jener, die die Welt führen«, hieß es in
einem Fernsehsender.
Seit April 2004 ist Rumänien Mitglied der NATO. Die regierenden Kreise des Landes hatten ihre
außenpolitische Orientierung -- und damit die Sicht auf die westliche Militärallianz und deren Politik --
schon bald nach 1989 grundsätzlich verändert. Die Außenpolitik, so wird in Bukarest betont, soll die
nationale Sicherheit und die Entwicklung des Landes garantieren und Rumänien endgültig aus der
»Grauzone« der regionalen und europäischen Politik herausführen. Nach den Vorstellungen von
Präsident Traian Basescu, der sein Amt Ende 2004 übernahm, soll dies durch die Festigung der
rumänischen Positionen in der NATO und in der EU erfolgen. Die Zugehörigkeit zum Militärpakt
dient, so Basescu, der »Gewährleistung eines Sicherheitsschirms« für Rumänien. Die Mitgliedschaft
sei eine wichtige Etappe der Wiedereingliederung Rumäniens »in die Familie der euro-atlantischen
Demokratien«. Man verstehe sich »als europäischer Verbündeter mit transatlantischem Anspruch«.
Damit erklärt der Präsident seine Vorliebe für eine »strategische Partnerschaft« mit den USA und
Großbritannien. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt rief er die Gründung einer »Achse Washington-
London-Bukarest« aus. Ähnlich wie die damalige Regierung Polens diente sich Rumänien den USA
als wichtigster Verbündeter im »neuen Europa«, zumindest jedoch in der Region des Schwarzen
Meeres an.
Mit einer solchen Außenpolitik geriet Bukarest zwangsläufig in Widerspruch zu den Interessen
Russlands. In Moskau musste die Ankündigung, Rumänien werde am Schwarzen Meer eine »aktive
Politik« verfolgen, die »eine demokratische Entwicklung der Region sichern und stimulieren« und
»Konturen von Alternativen zur Energieversorgung der EU-Staaten« aufzeigen solle,
Nachdenklichkeit erregen. Zumal Basescu die Beziehungen zu Russland in seinen außenpolitischen
Prioritäten unerwähnt ließ, obwohl Rumänien vom Import russischer Energieträger abhängig ist.
Misstrauen und Verärgerung weckte Basescu selbst in der EU und bei deren Mächtigen, die
argwöhnten, Rumänien wolle die Rolle eines Trojanischen Pferdes der USA in Europa übernehmen
und die Versorgungswege in den Nahen und Mittleren Osten kontrollieren.
Tatsächlich glaubt die Regierung Rumäniens, sich in eine Schlüsselrolle manövrieren zu können.
Sie will die geografische Lage des Landes und die politische Situation in der Region nutzen, um sich
politisch sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber der EU und den USA aufzuwerten und
sich als unverzichtbare Regionalmacht darzustellen. Konkreten Ausdruck fand diese Politik in der
Errichtung US-amerikanischer Militärstützpunkte in Rumänien. Die Luftwaffenbasis Mihail
Kogalniceanu am Schwarzen Meer dient USA-Truppen nicht nur als Zwischenstation auf dem Weg
nach Irak, sondern wurde auch als Standort eines der geheimen CIA-Gefängnisse ausgemacht.
Über die Installierung von Raketenabwehrsystemen wird auch schon gesprochen. Und geradezu
selbstverständlich beteiligt sich Rumänien mit mehr als 600 Soldaten am »Antiterrorkrieg« in
Afghanistan.
Adrian Severin, ehemaliger Außenminister und derzeit Abgeordneter des Europäischen Parlaments,
kritisierte in einer Analyse kürzlich die »Traian-Basescu-Doktrin«, durch die sich Rumänien
international isoliert habe. Die Bevorzugung der Partnerschaft mit den USA habe den Beziehungen
zu anderen Staaten -- sowohl den Nachbarn im Osten als auch EU-Mitgliedern -- geschadet. Und sie
habe nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Denn Washington habe nie auf die Interessen
Bukarests Rücksicht genommen, weder in der Frage der Energietransportwege noch hinsichtlich
Kosovos. Rumänien war nicht zuletzt mit Blick auf die eigene ungarische Minderheit stets ein
Gegner der Abtrennung Kosovos von Serbien und hat das EU-Protektorat bis heute nicht als
unabhängigen Staat anerkannt.
Einziger Gewinn der »Knechtschaft gegenüber den USA« -- wie Severin es nennt -- waren die
»Ratschläge«, die der USA-Botschafter für die Gestaltung der rumänischen Innenpolitik zu geben
geneigt war. Auch die Vorwürfe gegenüber Russland, es wolle das Schwarze Meer in eine
»russische See« verwandeln, haben sich nicht ausgezahlt. Eine Folge war vielmehr, dass keine
einzige Gas- oder Erdölleitung durch Rumänien verläuft, während sich die Nachbarstaaten
Bulgarien, Serbien und Ungarn mit Moskau arrangiert haben. Die originären Interessen Rumäniens
seien in der Außenpolitik der gegenwärtigen Regierung nur schwer auszumachen.
* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2008
Antimilitaristen wurde Einreise verweigert
Alexandra Geissler über die Gipfelproteste *
Alexandra Geissler ist Mitorganisatorin der Antimilitaristischen Infotour, die vor dem NATO-Gipfel durch Osteuropa führte. Nach Rumänien durfte sie nicht einreisen. Martin Ling befragte sie für das "Neue Deutschland".
ND: Rumänien ist relativ neu in der NATO und in der EU. Was bedeutet das für die Protestmöglichkeiten?
Geissler: Rumänien will sich als Neumitglied als gelehriger Schüler präsentieren. Die Austragung des NATO-Gipfels in Bukarest ist einerseits ein Dankeschön für bereits erbrachte Bündnisleistungen wie in Afghanistan. Andererseits wurde Bukarest ausgewählt, weil es dort noch keine längerfristig entwickelte Protestkultur gibt. Das hat selbstverständlich Einfluss auf die Protestformen. Große öffentliche Aktionen sind in Bukarest nicht möglich und auch nicht geplant. Zudem haben die rumänischen Behörden Antimilitarismus-Aktivisten die Einreise verweigert, um zu verhindern, dass sie die kleine einheimische Szene unterstützen können.
Wie viele Antimilitaristen sind nach Bukarest gelangt?
Das ist schwer zu sagen. Generell gilt, dass viele durchgekommen sind, die als Touristen eingereist sind. Andere wie wir als Organisatoren der Antimilitaristischen Infotour, die zwangsläufig mit Informationsmaterial unterwegs waren, wurden abgewiesen. Papier ist Gewalt, hieß das Schlagwort. Auch beim zweiten Versuch ohne Material wurden wir nicht durchgelassen. Befehl direkt aus Bukarest, teilten uns die Grenzbeamten mit.
Ist das in Rumäniens Medien ein Thema?
Thema schon, aber mit nur einer Stoßrichtung. Die Aktivisten werden dort als Hooligans geschildert, die kommen wollen, um Bukarest zu verwüsten. Der unerwünschte Nebeneffekt: Die rumänische Antimilitarismusszene wurde dadurch mobilisiert. Sie hatten nicht erwartet, dass überhaupt Personen aus dem Ausland kommen, um sie zu unterstützen. Das hat sie motiviert, sich jetzt erst recht an den geplanten Protesten zu beteiligen.
Welche Proteste sind in Bukarest offiziell erlaubt worden?
Keiner. Alle Demonstrationen auf der Straße wurden verboten. Selbst eine Food-not-bombs-Aktion wurde untersagt. Dabei ist das eine weltweite Aktionsform, bei der Nahrung gesammelt wird, um öffentlich Essen zu kochen und kostenlos zu verteilen und damit gegen das Missverhältnis von Militär- und Sozialausgaben zu protestieren.
Bis nach Rumänien ist die Infotour also nicht gelangt. Wie war die Resonanz davor?
Sehr gut. Das Publikum war sehr interessiert. In Mazedonien ging es zum Beispiel um den NATO-Beitritt, während sich in Tschechien viel um die neuen Raketenabwehrsysteme drehte. Insgesamt eine runde Sache, die uns und hoffentlich auch die Teilnehmer bereichert hat.
* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2008
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