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"Die NATO ist gegen niemanden gerichtet" - "Wir haben eine Erfolgsstrategie für Afghanistan"

Bundeskanzlerin, Außenminister und Verteidigungsminister in einer Pressekonferenz nach dem NATO-Gipfel in Bukarest


Vorbemerkung:

Die im Folgenden dokumentierte Mitschrift einer Pressekonferenz, welche die deutschen Spitzenpolitiker zum Abschluss des Nato-Gipfels in Bukarest abgehalten haben, ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens lässt sich daran gut zeigen, wie vage und ausweichend die deutschen Politiker zu Themen von allgemeinem politischen Interesse Stellung nehmen. Geradezu orakelhaft-dunkel etwa Frau Merkels Antwort auf die Frage nach den Beziehungen zu Russland: "Für das deutsch-russische Verhältnis bedeutet das, dass es so gut ist, wie es vor dem Gipfel war und nach dem Gipfel ist." Kabarettisten vom Schlage eines Urban Priol sind dankbar für solche Sätze. Zweitens ist es - wieder einmal - ein Dokument der Zahnlosigkeit der Medien. Keine wirklich präzisen Fragen, kein Nachhaken, wenn die Antwort ausweichend war, keine wirklich kritischen Fragen, die da gestellt wurden. Diesbezüglich könnte deutsche JournalistInnen von ihren amerikanischen KollegInnen noch eine Menge lernen.
Dennoch bestätigt sich in der Pressekonferenz der Eindruck, dass die Nato ihren Weg zur Einkreisung Russlands konsequent weiter gehen wird.
  • Die Raketenabwehrpläne der USA sind unter Dach und Fach gebracht worden;
  • Kroatien und Albanien werden Mitglied der Nato.
  • die Aufnahme von Georgien und der Ukraine wurde lediglich zeitlich verzögert. Dazu Steinmeier: "... es ist das Signal, dass sowohl in der Ukraine als auch in Georgien verstanden worden ist, dass sie auf dem Weg in Richtung NATO sind und dass wir uns das wünschen." Das Abschlussdokument sagt das noch deutlicher: "NATO welcomes Ukraine’s and Georgia’s Euro Atlantic aspirations for membership in NATO. We agreed today that these countries will become members of NATO."
  • Und die Afghanistan-Strategie bleibt weiter auf den militärischen Sieg gerichtet. Was im Abschlussdokument und in dem Papier ISAF’s Strategic Vision" als "comprehensive approach" etikettiert wurde, ist nicht anderes als die Fortsetzung des bisherigen massiven militärischen Einsatzes mit einer lächerlich geringen zivilen Komponente. Angela Merkel will sich auch nicht festlegen, ob der Bundeswehreinsatz im Herbst nicht doch ausgeweitet werden soll, wenn sie sphinxähnlich zu Protokoll gibt: "Sie wissen, wann unsere Diskussionen über neue Mandate stattfinden. Sie kennen unsere jetzigen Mandate. Die Mandate werden so ausgeführt, wie sie sind."
Im Lichte des Gipfelergebnisses erweist sich somit die vermeintliche Aufmüpfigkeit der Kanzlerin als mediengerechte Inszenierung ohne politische Substanz. (Siehe hierzu auch den Kasten am Ende dieser Seite.)
Pst

Mitschrift Pressekonferenz

Pressekonferenz der Bundeskanzlerin, des Bundesaußenministers und des Bundesverteidigungsministers in Bukarest
Fr, 04.04.2008

Thema: NATO-Gipfeltreffen
Sprecher: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung

BK'IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, wir sind am Ende eines NATO-Gipfels, den ich als sehr erfolgreich einstufen würde, angelangt. Wir haben eine wunderbare Gastfreundschaft der rumänischen Gastgeber genießen können. Ich glaube, es war ein sehr politischer NATO-Gipfel, der auch in den politischen Fragen sehr erfolgreich war.

Wir haben über das, was gestern erreicht wurde, bereits berichtet. Insofern möchte ich mich auf die Fragen konzentrieren, die heute im Mittelpunkt standen. Das waren vor allen Dingen der NATO-Ukraine-Rat und der NATO-Russland-Rat. Mit der Ukraine hatten wir uns gestern schon ausführlich beschäftigt. Das Ergebnis ist seitens des ukrainischen Präsidenten noch einmal begrüßt und als vorwärts gerichtet eingestuft worden. Ich glaube, das war insofern heute eine sehr konstruktive Begegnung mit Präsident Juschtschenko.

Wir haben auf der anderen Seite nach sechs Jahren endlich wieder einen NATO-Russland-Rat durchgeführt, der auf Chefebene stattgefunden hat. Ich habe deutlich gemacht, dass ich mir wünsche, dass eine solche Begegnung routinemäßig und öfter stattfindet. Sie muss aus meiner Sicht selbstverständlich werden, um bestimmte Vorbehalte oder Missverständnisse, die es gibt, ausräumen zu können, und zwar auch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs.

Das bezieht sich vor allen Dingen auch auf den Charakter der NATO. Die NATO ist ein Zusammenschluss von Staaten, die sich gegenseitig verpflichten - basierend auf gemeinsamen Werten -, ihre Sicherheit zu verteidigen. Die NATO ist gegen niemanden gerichtet, schon gar nicht gegen Russland. Sie ist natürlich gegen die Kräfte gerichtet, die zum Beispiel terroristische Aktivitäten unternehmen und die Sicherheitszone verletzen. Aber Russland ist ein Partner.

Wir haben heute im NATO-Russland-Rat natürlich über die kontroversen Themen gesprochen, die Sie auch alle kennen, zum einen die Einschätzung der Lage in und um den Kosovo, zum anderen die Frage des KSE-Vertrags sowie andere Dinge. Aber es gab auch sehr positive Beispiele. Man muss noch einmal daran erinnern, dass mit Russland eine ganze Reihe gemeinsamer Aktivitäten durchgeführt wird, zum Beispiel die Operation "Active Endeavour" im Mittelmeerraum, und dass sich jetzt auch eine sehr gute Kooperation im Hinblick auf Afghanistan entwickelt, sodass ich glaube, dass wir das Konstruktive in den Mittelpunkt stellen und ansonsten das regelmäßige Gespräch suchen sollten, wie das hier bei diesem Gipfel möglich war.

Es ist auf diesem Gipfel möglich gewesen - das schätze ich sehr -, politisch zu diskutieren. Ich betone das deshalb sehr, weil das auch damit zu tun hat, dass die Haltung von Frankreich wieder stärker auf die NATO ausgerichtet ist und dadurch gestern zum Beispiel eine sehr substanzielle Afghanistan-Diskussion mit Präsident Karsai und dem UN-Generalsekretär möglich gewesen ist. Das ist natürlich sehr viel besser, weil wir wissen, dass militärische und zivile Anstrengungen eben nicht einfach zu trennen sind und dass der politische Erfolg mit dem militärischen zusammenhängt, aber der militärische Erfolg eben auch mit dem politischen Erfolg.

Insofern fahre ich sehr zufrieden nach Hause. Die beiden Kollegen werden jetzt noch Ausführungen zu bestimmten Facetten des Gipfels machen.

BM DR. STEINMEIER: Meine Damen und Herren, ich glaube, mit Blick auf den gesamten Gipfel wird man sagen können: Das war ein nicht ganz einfacher Gipfel, aber ein ausgesprochen ertragreicher Gipfel. Das will ich auch bezüglich der beiden Themen bekennen, die ich in meinen Ausführungen herausgreifen will.

Beginnen will ich mit dem westlichen Balkan. Wir haben heute sehr nachhaltig bekräftigt, dass wir, die NATO, im Kosovo präsent sein wollen, um, was sich in den letzten Tagen und Wochen als Notwendigkeit gezeigt hat, dort Stabilität zu gewährleisten. Wir dürfen aber - das war vor allen Dingen gestern Inhalt der Diskussionen - unseren Blick auch nicht allein auf den Kosovo richten. Deshalb haben sich die Erweiterungsfragen auch auf andere Länder des westlichen Balkans gerichtet, wie Sie wissen. Gerade unter den schwierigen Umständen, unter denen wir die Stabilität auf dem westlichen Balkan diskutieren, war es, denke ich, richtig, dass wir uns nach Diskussionen im Vorfeld dieses Gipfels dazu entschlossen haben, Serbien die ausgestreckte Hand zu reichen, jedenfalls den intensivierten Dialog anzubieten, um zu signalisieren: Sie sind uns auf dem Weg nicht nur Richtung Europa, sondern auch in Richtung einer Einbindung in die transatlantischen Strukturen willkommen.

Sie wissen: Wir haben über die Einladung der NATO zur Mitgliedschaft an Kroatien und Albanien positiv entschieden und entscheiden können. Wir sind bereit gewesen, eine solche Einladung auch an Mazedonien auszusprechen. Sie wissen: Das war wegen des noch nicht erledigten Namensstreits nicht möglich. Worauf es jetzt ankommt, ist, das Momentum der letzten Tage, in denen es auch in dieser Frage bei der Lösung des Namensstreits Bewegung gab, nicht zu verlieren. Deshalb begrüße ich es sehr, dass sofort nach dem gestrigen Tag Kontakte zwischen Griechenland und der früheren jugoslawischen Republik Mazedonien stattgefunden haben und jetzt hoffentlich die Situation entsteht, dass nicht neuer Streit aufbricht, sondern intensiv im Rahmen der Suche nach geeigneten Lösungen weitergearbeitet wird.

Meine Damen und Herren, ein zweiter Bereich, den ich herausgreifen will und der Sie vielleicht etwas überraschen wird, ist das Thema "Abrüstung und Rüstungskontrolle", und zwar deshalb, weil das in den letzten Jahren in den Gipfeldokumenten als Thema nicht mehr vorhanden war. Sie wissen: Wir haben uns seit dem NATO-Außenministertreffen in Oslo intensiv darum bemüht, das wieder zu einem Thema der NATO zu machen, damals durchaus angelehnt an die beginnende Diskussion über "missile defense" vor zwei Jahren. Wir begrüßen, dass es zu den auch von uns erwarteten Gesprächen zwischen Russland und Amerika kommen wird, die, wie ich hoffe, jetzt in Sotschi fortgeführt werden. Aber wir haben darüber hinaus gesagt: Wir können sozusagen bei der Herstellung von Transparenz und der Einforderung von Kooperation nicht stehen bleiben, sondern wir müssen das Thema auch als ein Thema für die NATO insgesamt wiederentdecken.

Ich freue mich und bin zufrieden darüber, dass diese Anregung in Oslo aufgegriffen worden und auf diesem NATO-Gipfel fortgeführt worden ist. Sie sehen in dem Abschlussdokument, dass sich die NATO vornimmt, hierbei in den nächsten Jahren gemeinsame Anstrengungen aufzugreifen. Wir als deutsche Regierung werden hinsichtlich dieses Themas weiterhin aktiv bleiben. Das sehen Sie bezüglich unserer Aktivitäten bzw. unseres Engagements zum Verbot von Landminen. Das sehen Sie auch bezüglich unserer Vorschläge zur Einrichtung eines multilateralen Brennstoffkreislaufes und vieler anderer Stichworte, zu denen wir in den letzten Monaten Vorschläge gemacht haben.

Ich finde, der Weg, den die NATO hierbei geht, ist ein richtiger Weg. Es gilt, diesen in den nächsten Jahren auszufüllen.

BM DR. JUNG: Meine Damen und Herren, ich beurteile diesen Gipfel aus sicherheits- und verteidigungspolitischer Sicht als sehr erfolgreich. Es ist das erste Mal gelungen, eine Erfolgsstrategie, eine gemeinsame Strategie für Afghanistan zu vereinbaren, und zwar auf der Basis unserer Konzeption eines gesamten Ansatzes oder, wie wir es nennen, der vernetzten Sicherheit bzw., in der NATO-Sprache, der "comprehensive approach". Wir haben auf dem letzten Gipfel in Riga erste Akzente in diese Richtung beschlossen. Aber wir haben hier konkretisiert, dass wir letztlich nur erfolgreich sein werden, wenn wir Sicherheit, aber auch Wiederaufbau und Entwicklung vorantreiben, (wenn wir bekräftigen), dass diese Elemente insgesamt zusammengehören und dass dies eine Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung der Mission in Afghanistan ist.

Den zweiten Punkt, den ich unter diesem Aspekt für sehr wichtig erachte, ist, dass wir das erste Mal sehr konkret vereinbart haben, was die Voraussetzungen sind, um Afghanistan in die Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit und für das zu sorgen, was wir "selbsttragende Sicherheit" nennen. Das heißt im Klartext: Wir sind der Auffassung, dass es 80.000 ausgebildete afghanische Streitkräfte geben muss. Deshalb werden wir hierbei unsere Anstrengungen auch noch einmal verstärken. Wir wollen die Ausbildung verdreifachen. Aber auch andere Nationen haben dies angekündigt. Es bedarf dann selbstverständlich auch noch der Ausbildung der Polizei, was ebenfalls in diesem Strategiepapier niedergelegt ist.

Ich finde, dass wir unter diesem Aspekt eine wichtige gemeinsame Positionierung im Hinblick auf eine erfolgreiche Operation und Umsetzung einer friedlichen, stabilen Entwicklung in Afghanistan und damit auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beschließen konnten. Dies ist ein ganz wichtiges Zeichen für das gemeinsame Operieren der NATO und für die Handlungsfähigkeit der NATO in diesem Einsatz für den Frieden in Afghanistan.

FRAGE: Herr Steinmeier, ich möchte zum Thema "Ukraine und Georgien" fragen, ob Sie im Dezember bei dem Außenministertreffen vielleicht Georgien und die Ukraine akzeptieren werden.

BM DR. STEINMEIER: Sie finden in dem Gipfeldokument das gestern vereinbarte Verfahren wieder. Lassen Sie mich vorab werten: Das, was wir vereinbart haben, ist mehr als ein Kompromiss. Ich glaube, es ist das Signal, dass sowohl in der Ukraine als auch in Georgien verstanden worden ist, dass sie auf dem Weg in Richtung NATO sind und dass wir uns das wünschen.

Was das weitere Verfahren angeht, so ist festgehalten worden - und daran werden wir uns halten -, dass die Außenminister der NATO im Dezember eine erste Überprüfung dessen, wie weit beide Staaten auf ihrem Weg gekommen sind, vornehmen werden. Dann werden wir miteinander diskutieren müssen, was das für den Zeitplan und zum Beispiel auch für den "Membership Action Plan" bedeutet.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Herr Steinmeier, Sie hatten anfangs eine sehr zurückhaltende Meinung zum Thema "missile defense". Gestern gab es das offizielle Ja des NATO-Gipfels zu diesem Projekt. Wie haben Sie diesen Prozess Herrn Putin erklärt? Wie hat er auf diesen Prozess und Ihre Haltung reagiert?

Herr Jung, ich habe eine Frage an Sie, weil es die Heimatredaktion interessiert. Deutsche Sicherheitskräfte haben offenbar in Libyen Sicherheitskräfte ausgebildet. Wie ist Ihr Stand dazu?


BK'IN DR. MERKEL: Was "missile defense" anbelangt, ist hier durch viele Gespräche - im Übrigen auch mit Russland - eine Weiterentwicklung erreicht worden. Ich erinnere mich an den G8-Gipfel in Heiligendamm, wo der russische Präsident bestimmte Vorschläge gemacht hat, die, so denke ich, jetzt auch bei dem Treffen in Sotschi zwischen dem russischen Präsidenten und dem amerikanischen Präsidenten eine Rolle spielen werden.

Es gibt ein klares Bekenntnis dazu, dass ein solcher Schirm durchaus Bedrohungen entgegenwirken kann. Es ist aber in den vergangenen Monaten deutlicher gemacht worden, dass er niemandem entgegengesetzt ist, auch nicht auf Partner wie zum Beispiel Russland gerichtet ist. Ich glaube, dieses Verständnis hat es auch ermöglicht, eine sehr gute Einigung auf diesem Gipfel zu erreichen.

Es sind Fragen wie die zu erledigen, wie sich die einzelnen Systeme verhalten, wie sich das NATO-System zu dem amerikanischen System verhält und wie man sicherstellen kann, dass der gesamte Bündnisbereich sicherheitsmäßig auch wirklich erfasst wird. Aber die grundsätzlichen politischen Aussagen - erstens, dass so etwas gegen neuartige Bedrohungen durchaus ein Schutz sein kann, und zweitens, dass viel mit Russland gesprochen worden ist und weiterhin gesprochen werden wird - sind, glaube ich, die Voraussetzungen dafür gewesen, dass das heute so im Gipfeldokument steht, wie es dort steht.

BM DR. STEINMEIER: Ich glaube auch, Frau Bundeskanzlerin, dass wir den deutschen Beitrag daran, dass wir in dieser Diskussion so weit gekommen sind, wie sich das jetzt im Gipfeldokument wiederfindet, gar nicht kleinreden müssen.

Ich darf daran erinnern: Ich erinnere mich an Pressekonferenzen vor Heiligendamm, in denen das Thema sozusagen als öffentliches Thema hochkam und bei denen ich von vornherein - dazu hat sich meine Haltung auch nicht verändert - zwei Dinge gesagt habe, nämlich erstens, dass wir neue Bedrohungen ernst nehmen und analysieren müssen, wen sie treffen können. Wenn sie nicht nur die Amerikaner, gegebenenfalls nicht nur die Europäer, sondern auch Russland betreffen, dann spricht nichts dagegen, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Ich glaube, durch die Kommentierungen, die wir auch von deutscher Seite dazu geleistet haben, haben wir einen Gesprächsprozess in Gang gebracht, der hoffentlich auch seinen Niederschlag in den morgigen Gesprächen in Sotschi finden wird. Insofern bin ich mit dem Verlauf der Diskussion in der Tat sehr zufrieden.

BM DR. JUNG: Zu diesem Thema (Ausbildung von Sicherheitskräften in Libyen) ist mein derzeitiger Informationsstand, dass ein aktiver Soldat während seines Urlaubs an einer derartigen Maßnahme teilgenommen hat. Dies ist unter keinen Umständen zu akzeptieren. Wir haben deshalb auch ein Disziplinarverfahren eingeleitet und diesen Soldaten vom Dienst suspendiert.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Frage, die ein bisschen in den Bereich der politischen Psychologie geht. In den etwas aufregenden Stunden vor der Ukraine-Entscheidung - beim Abendessen, am Tag davor und auch an jenem Morgen noch - hatte man vor allem aus osteuropäischen Ländern Töne gehört, die etwas ungewöhnlich sind. Es war die Rede von Appeacement-Politik [sic!] und Erinnerungen an 1936 sowie davon "Die Deutschen machen gemeinsame Sache mit den Russen gegen uns". Das hörte man nicht nur von irgendwelchen Kommentatoren, sondern auch von Politikern oder hier auf dieser Bukarest-Konferenz vom German Marshall Fund.

Die erste Frage lautet: Ist das etwas, das Ihnen auch in Ihren Gesprächen begegnet ist? Sind Sie sich dessen bewusst? Die zweite Frage: Wie geht man eigentlich als deutsche Regierung mit so etwas um?


BK'IN DR. MERKEL: Mir ist das in meinen Gesprächen nicht begegnet, aber ich habe auch zwei Ohren, um zu hören. Ich gehe damit so um, dass ich einfach auf die jeweiligen Partner zugehe und noch einmal unsere Beweggründe darstelle. Ich glaube, das Dokument, das wir gestern verabschiedet haben, zeigt genau, wie es zu verstehen ist. Wir haben jetzt oft gesagt, dass die Entscheidung, wer Mitglied der NATO wird, eine Entscheidung der NATO gemeinsam mit den jeweiligen Antragstellern ist, dass andere dabei nicht mitzureden haben, dass wir uns die Prozesse aber genau anschauen. Ich habe den Eindruck, dass die gestrige Diskussion sehr hilfreich dafür war, dass aus der Aufregung eine Lösung entstanden ist und dass die Betroffenen, die bei der Diskussion nicht direkt dabei waren, also der georgische und der ukrainische Präsident, diese Dinge durchaus gewürdigt haben. Das ist doch gerade auch das Spannende. Wir brauchen ja keine Gipfel, wenn nicht auch durch Gespräche und Diskussionen auf solchen Gipfeln Fortschritte erzielt werden. Die psychologische Antwort heißt also: Nicht übereinander reden, sondern miteinander reden!

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, wie hat denn der russische Präsident auf die Ukraine-Entscheidung bei dem Treffen reagiert, und was bedeutet diese Entscheidung jetzt für das deutsch-russische Verhältnis?

BK'IN DR. MERKEL: Für das deutsch-russische Verhältnis bedeutet das, dass es so gut ist, wie es vor dem Gipfel war und nach dem Gipfel ist. Zweitens hat der russische Präsident generell zu der Erweiterung Stellung genommen. Er hat natürlich noch einmal auf die historischen Bezüge hingewiesen, aber durchaus auch unsere Diskussion gewürdigt. Es gab heute an dieser Stelle keine sichtbare, irgendwie geartete Aggressivität in der Debatte.

FRAGE: Frau Merkel, ich habe eine kurze Frage zu Afghanistan. Im Vorfeld war immer die Rede davon, es werde ein neuer Druck auf Deutschland ausgeübt, mehr Truppen zu entsenden. Während des Gipfels war alles ganz ruhig gewesen. Selbst der Generalsekretär der NATO hat Sie ein bisschen in Schutz genommen und vor unfairen Dingen gewarnt. Was hat es eigentlich für eine Bewandtnis damit gehabt, dass das ein sehr ruhiger Gipfel geworden ist? Wie steht die deutsche Seite zu weiteren Truppenstellungen, eventuell auch nach der Juni-Konferenz in Paris?

Sie hatten KSE angesprochen. Die zweite Frage: Welche Hoffnung haben Sie, dass diesbezüglich in Sotschi der Durchbruch gelingen wird?


BK'IN DR. MERKEL: Dazu, was diesbezüglich in Sotschi gemacht werden wird, kann ich nichts sagen. Ich glaube, wir müssen bezüglich KSE aber weiter arbeiten. Das Problem halte ich bei gutem Willen auf beiden Seiten auch für lösbar.

Was Afghanistan anbelangt: Sie wissen, wann unsere Diskussionen über neue Mandate stattfinden. Sie kennen unsere jetzigen Mandate. Die Mandate werden so ausgeführt, wie sie sind. Das wird hier in hohem Maße anerkannt. Ich glaube, dass wir dadurch, dass wir auch immer wieder unsere Philosophie erklärt haben, wirklich sehr erfolgreich waren, wenn ich an (den Gipfel) im letzten Jahr in Riga denke. Dort haben wir zum ersten Mal über diesen heute "comprehensive approach" genannten Ansatz, also diesen vernetzten Ansatz, gesprochen. Jetzt ist er ganz selbstverständlich zur NATO-Strategie geworden. Das werden wir weiterhin fortsetzen, und dann wird der deutsche Beitrag auch weiterhin gewürdigt werden.

Quelle: Homepage der Bundesregierung; www.bundesregierung.de

Gipfelergebnisse

In der Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs wurde Afghanistan langfristige Hilfe zugesichert und dafür eine Lastenteilung im Bündnis sowie größtmögliche Flexibilität für den ISAF-Kommandeur beim Einsatz der Soldaten beschlossen. Zudem wurde vereinbart, Afghanistans Nachbarn, speziell Pakistan, stärker in eine Kooperation einzubeziehen.

Auf dem Gipfel wurde eine Gesamtstrategie für Afghanistan vereinbart, wonach die zivilen und militärischen Komponenten besser verzahnt werden sollen. In einem vertraulichen Papier zur Gipfelerklärung legte der Pakt auf deutsche Initiative erstmals Ziele für den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte fest, damit diese selbst das Land schützen und ausländische Soldaten stufenweise abziehen können. Eine Zeitschiene gebe es aber nicht, teilten Konferenzteilnehmer mit.

Mit der Aufstockung der französischen Truppen um 700 Soldaten wurde der Streit um Hilfe für die im umkämpften Süden stationierten NATO-Partner vorerst gelöst. Präsident Nicolas Sarkozy sagte, er werde die zusätzlichen Soldaten in den Osten des Landes schicken, weil die USA im Süden Kanada unterstützen wollten. Das französische Angebot verhindert den Abzug kanadischer Truppen aus dem Süden. Kanada verlor dort viele Soldaten und hatte gedroht, seine Truppen ganz abzuziehen, wenn es keine spürbare Unterstützung bekommt. Nun ist gesichert, dass die Kräfte bis 2011 bleiben.

Die von den USA seit langem geplante Installierung von US-Abfangraketen in Polen und einer Radaranlage in Tschechien wurde ohne Einwände akzeptiert. Die USA und Tschechien haben sich in Bukarest über den Aufbau von Anlagen für eine Raketenabwehr in Mitteleuropa geeinigt. Das gaben beide Seiten am Rande des NATO-Gipfels bekannt. Das Abkommen soll in Kürze unterzeichnet werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. In Tschechien wollen die USA eine Radarstation aufbauen. In Polen sollen zudem zehn Abwehrraketen stationiert werden. Die NATO sagte den USA Unterstützung für den Schild zu.

Frankreichs Präsident Sarkozy will sein Land bis 2009 in die NATO zurückführen. Das bekräftigte er in Bukarest. Frankreich hatte sich 1966 nach dem Aufstieg zur Atommacht unter Präsident Charles de Gaulle aus der militärischen Integration im Pakt zurückgezogen. Zur Voraussetzung macht Sarkozy aber die Einigung über eine stärkere militärische EU-Rolle unter dem Ratsvorsitz Frankreichs im zweiten Halbjahr 2008.

Die 26 NATO-Staaten haben eine Erweiterung der Allianz um Kroatien und Albanien beschlossen und an diese offizielle Einladungen für 2009 ausgesprochen. Das Bündnis konnte sich noch nicht darauf einigen, den früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine den Kandidatenstatus für einen Beitritt zuzubilligen. Die Aufnahme wird aber grundsätzlich bejaht. Die Entscheidung über eine Aufnahme Mazedoniens wurde vertagt. Griechenland hatte argumentiert, dass das Balkanland erst Mitglied werden könne, wenn es den Streit mit Athen um den Namen des eigenen Staates beendet.

US-Präsident George W. Bush, der sich zum Fürsprecher des Wunsches Georgiens und der Ukraine nach Aufnahme in einen "Aktionsplan für die Mitgliedschaft" (MAP-"Membership Action Plan") machte, war bei den mehrheitlich ablehnenden Staaten im westlichen Europa zunächst gescheitert. Deutschland und Frankreich waren besonders deutlich dagegen. Sie verweisen auf die ungelösten inneren Konflikte Georgiens und halten einen Beitritt der Ukraine für unmöglich, solange dort eine Mehrheit der Bürger die NATO ablehnt.

Schließlich rang Bush den Verbündeten wichtige Zugeständnisse ab. Schon im Dezember sollen die Außenminister prüfen, ob es noch Hindernisse für die Aufnahme von Georgien und der Ukraine in den MAP gibt.




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