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"Polizei hat 'gnadenloses Vorgehen' angedroht"

Demo-Organisator Monty Schädel im derStandard.at-Interview über Geburtstagswünsche an die Nato und Proteste zum Jubiläumsgipfel

Die Vorbereitungen für den für den NATO-Jubiläumsgipfel an der deutsch-französischen Grenze, bei dem am Wochenende das 60-jährige Bestehen des Bündnisses gefeiert wird , laufen auf Hochtouren. Auf der deutschen Rheinseite werden fast 15.000 Polizisten und 600 Soldaten mobilisiert, im Elsass mindestens 9000 Polizisten und Gendarmen. Auch für die Organisatoren der Proteste gegen den Gipfel ist es eine anstrengende Woche. Berthold Eder erreichte den Friedensaktivisten Monty Schädel, als dieser gerade im Auto auf dem Weg von einem Koordinationstermin zum nächsten war.

derStandard.at: Beim G20-Gipfel in London hat sich die Polizei nun doch zu Gesprächen mit den Organisatoren der Gegenkundgebungen bereiterklärt. Der liberale Abgeordnete David Howard hat Vertreter der Gruppe Climate Camp und der Behörden ins Parlament eingeladen. Gibt es im deutsch-französischen Grenzgebiet ähnliche Bemühungen?

Monty Schädel: Im Gegensatz zu ihren britischen Kollegen will die deutsche Polizei Demonstrationen mit allen Mitteln verhindern. Man hat uns bei Gesprächen im Regierungspräsidium angedroht, "gnadenlos" gegen Proteste vorgehen zu wollen. Der Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg, Erwin Hetger, hat angekündigt, dass seine Beamten die Demonstranten "verarbeiten" wollen und in eindeutig faschistischem Jargon von "Selektionen" auf der Brücke von Kehl nach Straßburg gesprochen. Dies ist meiner Meinung nach kein Anzeichen von Kooperationswillen.

derStandard.at: Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 sollen Sie mit Polizei-Einsatzleiter Knut Abramowski gut ausgekommen sein. Wie verläuft diesmal die Zusammenarbeit mit den Behörden?

Schädel: In Heiligendamm ist die Polizei an uns herangetreten, um organisatorische Fragen abzuklären. Hier in Baden-Württemberg habe ich nichts derartiges mitbekommen, die Polizei versucht nicht einmal, sich mit uns abzusprechen.

derStandard.at: Nach dem Polizeieinsatz in Heiligendamm gab es eine Debatte um den Einsatz verdeckter Ermittler. Ein Beamter in Zivil soll Demonstranten aufgefordert haben, Steine zu werfen, und wurde enttarnt. Die Einsatzleitung dementierte dies, bis eine Videoaufzeichnung auftauchte (derStandard.at berichtete). Hatte die Affäre Konsequenzen?

Schädel: Soviel ich weiß, gab es keine Folgen. Ich möchte die Polizei bei dieser Gelegenheit auffordern, diesmal auf den Einsatz von Provokateuren zu verzichten und sich statt dessen zu bemühen, ihre Leute unter Kontrolle zu halten.

derStandard.at: Zum G8-Gipfel in Heiligendamm kamen zehntausende Demonstranten. Damals war mit US-Präsident George W. Bush allerdings auch ein geeignetes Feindbild vorhanden. Wie läuft die Moblilisierung? Erwarten Sie, dass wegen Obama weniger Leute kommen?

Schädel: Die Vorbereitungen laufen seit Monaten, wir erwarten Delegationen aus ganz Europa. Die Leute kommen nicht wegen der Person Bush oder Obama, sondern um gegen die Kriegspolitik zu protestieren, die der neue US-Präsident leider fortsetzt – er will ja den Krieg sogar auf Pakistan ausweiten.

derStandard.at: Wie stehen Sie zum Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Bis auf die Grün-Wähler lehnt laut einer aktuellen Forsa-Umfrage der Großteil der Deutschen diese ab.

Schädel: Das überrascht mich nicht. Die deutsche Bevölkerung lehnte den Afghanistan-Einsatz von Anfang an ab. Die Einsicht, dass man mit Krieg keinen Frieden schaffen kann, setzt sich immer mehr durch.

derStandard.at: Wie ist das Verhältnis zu den Grünen generell? Diese wurden ja mit den Protesten gegen Atomenergie groß, unterstützen aber dann den NATO-Einsatz gegen Jugoslawien und den Afghanistan-Krieg.

Schädel: In der Protestbewegung sind Vertreter der Gewerkschaften und aus der Friedensbewegung aktiv, aber auch Mitglieder der Partei "die Linke", einige Grüne und auch Sozialdemokraten. Solange Parteien mit unsere Ziele mittragen, sind sie willkommen

derStandard.at: Auch die NPD-Jugend will am Freitag in Baden-Baden demonstrieren. Wie gehen Sie mit der Besetzung des Anti-Kriegs-Themas durch Rechtsextreme um?

Schädel: Die Nazis versuchen, überall aufzuspringen. Sie kaschieren ihre ausländer- und menschenfeindliche Politik unter populären Forderungen. Wir wollen mit denen nichts zu tun haben und werden ihrer Kundgebung keine Aufmerksamkeit schenken.

derStandard.at: Polens Außenminister Radoslaw Sikorski hat heute gesagt, dass er eine Aufnahme Russlands befürwortet. Die Aufnahme Kroatiens und Albaniens steht bevor, Georgien und die Ukraine drängen ins Bündnis. Wie geht es Ihrer Meinung nach weiter?

Schädel: Herrn Sikorskis frommer Wunsch wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Die NATO versucht weiterhin, Russland einzukreisen und als militärischen Feind darzustellen, währen sie sich weltweit auszudehnen versucht. Von Friedenspolitik kann man hier kaum sprechen, weil sich die Erweiterungsbemühungen nicht auf afrikanische oder asiatische Länder mit wirtschaftlichem Nachholbedarf konzentrieren, sondern auf reiche Länder, die dadurch ihren Wohlstand absichern wollen.

derStandard.at: Was wünschen Sie der NATO zum sechzigsten Geburtstag?

Schädel: Dass sie endlich in Rente geht, sich auflöst und dadurch Raum und finanzielle Ressourcen für wirkliche Friedenspolitik schafft. Kriegseinsätze, zu denen sich die NATO selbst ein Mandat erteilt, werden nicht besser, wenn mehr Länder daran beteiligt sind.

Zur Person: Monty Schädel ist Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und war Koordinator des Rostocker Bündnisses gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Von 1998 bis 2002 war er auf der Liste der PDS parteiloses Mitglied des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern.

Quelle: derStandard.at (Online-Ausgabe des STANDARD), 31. März 2009


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