NATO – fundamental gewandelt
Kriege ohne UN-Mandat gehören inzwischen zur Strategie
Von Uli Cremer *
Am 24. März 1999 begann die Neue NATO ihren ersten Angriffskrieg – gegen das damalige
Jugoslawien. Sie löste Kosovo aus dessen Staatsverband und verwirklichte die Vorstellungen der
NATO-Staaten von einer Neuordnung Südosteuropas. Seitdem gelten Kriege ohne UN-Mandat in
der NATO als selbstverständlich und sind in der Strategie verankert. Inzwischen ist der De-facto-
Staat Kosovo von über 50 Staaten anerkannt. Und Serbien ist durch ein Partnerschaftsabkommen
mit der NATO verbündet.
Im April 2009 wird die NATO 60 Jahre alt. Beim Geburtstagsgipfel soll die Erarbeitung einer neuen
Strategie in Auftrag gegeben werden. Hierbei droht die Übernahme der US-Präventivkriegsstrategie
aus der Ära Bush.
Nach dem Kalten Krieg hat sich die NATO fundamental gewandelt. Bis 1990 war sie der Militärpakt
des Westens gegen den Osten. Die alte NATO – das waren Rüstungswettlauf, Totrüsten,
Vorwärtsverteidigung, Atomraketen und Atomkriegspläne. Die alte NATO bestand gerade einmal
aus 16 Staaten.
Die Neue NATO ist dagegen der Militärpakt des Nordens gegen den Süden. Sie hat ihre regionale
Beschränkung auf Europa aufgegeben. Sie ist ein flexibles militärisches Netzwerk aus 57 Staaten.
28 sind Mitglieder, 29 weitere haben Partnerschaftsverträge abgeschlossen. Die Armeen aller dieser
Staaten standardisieren ihre Waffen und werden auf Militärinterventionen in aller Welt ausgerichtet.
Sogar eine NATO-Ostasienerweiterung um Staaten wie Japan, Südkorea, Australien oder Singapur
wird diskutiert. Während die alte NATO 1985 an den weltweiten Militärausgaben einen Anteil von 48
Prozent aufwies, hatte ihn die Neue NATO 1995 auf 58 Prozent gesteigert. 2008 beträgt der Anteil
etwa 70 Prozent!
Derzeit ist der Krieg am Hindukusch die zentrale Front der NATO. Jedes Jahr werden mehr
westliche Soldaten in den Krieg geschickt. 2002 waren es 12 000, Ende 2008 über 70 000! Bei
Realisierung der angekündigten Aufstockungen werden es im Sommer 2009 über 100 000 sein. So
viele Soldaten hatte in den 80er Jahren auch die Sowjetunion im Einsatz. Bekanntlich verlor sie den
Krieg und zog nach zehn Jahren ab. Über 1000 westliche Soldaten sind schon gefallen. Die
Nachschublinien in Pakistan geraten immer mehr unter Druck. Inzwischen gesteht der US-Präsident
unumwunden, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist.
Gleichzeitig ist der Afghanistan-Krieg der Kitt, der NATO und Russland wieder zusammenschweißt.
Der von der neuen US-Regierung ins Gespräch gebrachte »Reset-Knopf« muss gedrückt werden,
damit die NATO ihre Truppen in Afghanistan mit Nachschub versorgen kann. Deutschland und
Russland hatten bereits 2003 ein Transitabkommen über deutsche Militärtransporte durch Russland
abgeschlossen. Am 4. März meldete die »Neue Zürcher Zeitung«: »Russland hat einem Güterzug
mit Nachschub für die amerikanischen Truppen in Afghanistan die Durchreise erlaubt.«
Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin wies im Januar 2009 darauf hin, dass sein Land ein
»objektives Interesse« am Erfolg des Westens in Afghanistan habe. Denn »ein Rückzug der NATO
würde von allen Extremisten, die sich in und um Afghanistan tummeln, als Einladung aufgefasst, den
Kampf über die Grenzen Afghanistans hinaus nach Norden zu tragen ... Um sich schließlich gegen
Russland zu wenden.«
Der Ost-West-Konflikt und die alte NATO sind tot – auch wenn das viele ob der Ereignisse in
Südossetien 2008 noch nicht glauben wollen. Aber seit Anfang 2009 melden sich diejenigen, die
Russland in die NATO einbeziehen wollen, wieder mehr zu Wort. Ex-Außenminister Joschka Fischer
empfiehlt inzwischen die Aufnahme Russlands. Andere raten der US-Regierung als ersten Schritt
gegenüber Russland, »die angebotene NATO-Mitgliedschaft für Georgien und die Ukraine erst mal
auf Eis zu legen«.
Parallel geht Ländern wie Polen, die die NATO wieder in einen Ost-West-Konflikt mit Russland
verwickeln wollen, das Geld für ihre Militäretats aus – ein Kollateralnutzen der Wirtschaftskrise
quasi. Die finanzielle Dimension antirussischer Aufrüstung wäre gewaltig, und dafür fehlt bei den
reichen NATO-Staaten der politische Wille. Die britische Idee, eine 3000 Soldaten starke »Ständige
Solidaritätstruppe« zu bilden, um sich bedroht fühlenden osteuropäischen Regierungen zur Hilfe zu
eilen, kostet dagegen kein zusätzliches Geld. Denn diese Truppe soll sich aus dem existierenden
Pool für die NATO Response Force, eine gemeinsame Schnelle Eingreiftruppe, speisen.
Neuerdings wird die NATO als »indispensable«, also unverzichtbare Organisation bezeichnet, in
Anklang an das US-Selbstverständnis als »indispensable nation«. Die Friedensbewegung hält die
NATO andererseits für sehr verzichtbar und reagiert auf ihren Jubiläumsgipfel mit Protesten, um
zumindest ein wenig »aktive Sterbehilfe« für die NATO zu leisten.
* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2009
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