Neue Zweifel am Massaker von Racak
Was die MONITOR-Sendung vom 08.Februar 2001 enthüllte - Wortlaut der Sendung
Bericht: Jo Angerer, Mathias Werth, Andreas Maus
Volker Happe: "Vor zwei Jahren, im März 1999, begann die NATO ihren Krieg
gegen Jugoslawien - aus angeblich 'humanitären Gründen'. Unter den
Kriegsfolgen leiden die Menschen in Jugoslawien noch heute. Giftiger
Uranstaub und NATO-Blindgänger gefährden die Bevölkerung im Kosovo, die
Umweltfolgen der NATO-Luftangriffe sind bis heute nicht abschätzbar. Der
Krieg hat - wie man heute weiß - die Probleme im Kosovo nicht gelöst,
sondern verschärft. Es waren die Bilder von Massakern, ethnischen
Säuberungen und Grausamkeiten der Serben, die auch bei uns Stimmung machten
für diesen Krieg. Bilder, die sich heute vielfach als Kriegspropaganda der
NATO entpuppen. Wichtiger Grund für den Krieg damals: das angebliche
Massaker von Racak. Doch daran gab es von Anfang an Zweifel. Zweifel, die
neue Recherchen jetzt erhärten. Ein Bericht von Jo Angerer, Mathias Werth
und Andreas Maus."
Das Dorf dieser Kinder im Kosovo ist klein, doch sein Name weltberühmt:
Racak. Hier sollen Serben ein grausames Massaker verübt haben, ein Massaker,
das mit zu den NATO-Angriffen führte.
Racak am 16. Januar 1999: William Walker, amerikanischer Leiter der
Beobachter-Mission im Kosovo, kam mit mehreren Kamerateams. Sie fanden 44
Tote. Ein Massaker, sagte Walker, keine Opfer des Bürgerkrieges zwischen UCK
und Serben - eine Massenhinrichtung.
William Walker, OSZE-Missionsleiter am 16. Januar 1999: "Diese Leichen zu
sehen, mit weggeschossenen Gesichtern, weil man ihnen die Waffen offenbar
direkt auf den Kopf gesetzt hatte, 15 davon offenbar wie bei einer Exekution
hingerichtet - da brauche ich einfach ein paar Minuten, um mich zu fassen,
um meine Worte wieder zu finden."
Doch was war wirklich in Racak geschehen? Hier in der Universität Pristina
hatte die finnische Pathologin Helen Ranta die Toten untersucht. Ihr kamen
Zweifel an einem Massaker in Racak. Ihre Untersuchungen lassen auch einen
anderen Schluss zu. Zum ersten Mal äußert sie sich dazu im Fernsehen.
Dr. Helen Ranta, leitende Pathologin: "Ich bin mir bewusst, dass man sagen
könnte, die ganze Szene in diesem kleinen Tal sei arrangiert gewesen. Ich
bin mir dessen bewusst. Denn dies ist tatsächlich eine Möglichkeit. Diesen
Schluss legen unsere ersten Untersuchungsergebnisse genauso nah, wie auch
unsere späteren forensischen Untersuchungen, die wir im November 1999 direkt
vor Ort vorgenommen haben. Und diese Schlussfolgerung haben wir auch direkt
an den Gerichtshof nach Den Haag weitergegeben. Botschafter Walker kam am
Samstag nach Racak, und es war seine persönliche Entscheidung von einem
'Massaker' zu sprechen. Ich habe es systematisch vermieden, dieses Wort zu
verwenden."
Zweifel, ob es ein Massaker gab. Was sonst könnte zu den Ereignissen in
Racak geführt haben? Helen Ranta hat Hinweise, dass unter den Toten auch
Soldaten der UCK waren.
Dr. Helen Ranta, Leitende Pathologin: "Racak war damals ein Hochburg der
UCK. Meiner Überzeugung nach gibt es genug Informationen, um
nachzuvollziehen, dass es dort Gefechte zwischen der serbischen Armee und
der UCK gegeben hat. Daran gibt es überhaupt keine Zweifel. Außerdem wurde
mir mitgeteilt, und ich habe auch die Informationen darüber lesen können,
dass UCK-Kämpfer dort an diesem Tag getötet wurden."
Was war in Racak passiert? Aufnahmen vom 15. Januar 1999: Serbische
Polizisten durchkämmen Straßen und Häuser in Racak. Zuvor hatte es Angriffe
der UCK gegeben. Erst später wird man hier die 44 Toten finden.
War das vermeintliche Massaker möglicherweise Folge einer militärischen
Auseinandersetzung zwischen UCK und Serben? Ein UCK-Kämpfer von damals
erinnert sich:
Zymer Lubovci, UCK-Mitglied: "Wir sahen die Serben kommen, also gingen wir
in Stellung und eröffneten das Feuer. Uns war schon klar, dass die nach
jedem unserer Angriffe Rache an den Zivilisten nahmen."
Racak - Folge einer Provokation der UCK? Im amerikanischen Außenministerium,
hier in Washington, ahnte man dies, sagt einer, der die geheimen Berichte
der US-Regierung kennt.
Wayne Merry, damaliger Berater der US-Regierung: "Es ist gar keine Frage,
dass die UCK kaltblütig kalkuliert hat, dass der Verlust ihrer eigenen
Zivilisten und deren weltweite Präsentation als Opfer, die Voraussetzung
war, um eine militärische Intervention des Westens zu erreichen."
Auch dem deutschen Verteidigungsminister waren Zweifel an Walkers
Darstellung von einem Massaker bekannt. Denn in diesem vertraulichen Bericht
des Bundesverteidigungsministeriums zur Lage im Kosovo heißt es:
"Die Albaner waren vermutlich am 15.01.1999 während des Angriffs der
serbischen Sicherheitspolizei gegen in der Ortschaft vermutete Angehörige
der UCK getötet worden."
Und einen Tag später, heißt es ergänzend:
"Der Leiter der KVM [der OSZE-Mission im Kosovo], Walker, räumte am
22.01.1999 in Pristina ein, dass ihm bei seinen Beobachtungen in Racak
möglicherweise nicht alle Umstände der Ereignisse bekannt gewesen seien."
Auch in den USA machte Racak Schlagzeilen, und der Ruf nach der NATO wurde
lauter. Das war für William Walker entscheidend.
William Walker, damaliger OSZE-Missionsleiter im Kosovo: "Es hat die Meinung
in Europa und in Nordamerika, einschließlich der OSZE, einschließlich der
Europäischen Union, verstärkt, dass nun etwas geschehen musste. Es war der
Anfang der Entwicklung, die schließlich zur Bombardierung führte."
Die Toten von Racak. Nie wird wohl die ganze Wahrheit bekannt. Doch die
Toten wurden benutzt, um Zweifel am Sinn der NATO-Angriffe verstummen zu
lassen. Auch der damals leitende Bundeswehr-General bei der OSZE, hatte
vergeblich gewarnt.
Heinz Loquai, General a. D., OSZE: "Walker hat etwa 30 Journalisten um sich
versammelt, ist mit denen dahin gefahren, und hat nach kurzer Zeit
verkündet, dass es sich um ein Massaker der Serben handele. Zu dieser Zeit
konnte er überhaupt noch kein Urteil fällen, aber dieses Urteil wurde von
der OSZE übernommen, wurde von den Vereinten Nationen übernommen, wurde
kritiklos von allen nationalen Regierungen übernommen. Die NATO kam am Tag
darauf zu einer Sondersitzung zusammen, ein völlig ungewöhnliches Ereignis.
Man kann schon sagen, mit diesem Verhalten hat Walker die Lunte zum Krieg
gezündet."
Volker Happe: "Zu einem Krieg, der völkerrechtswidrig war, das Leben von
zahlreichen Zivilisten kostete und für den auch deutsche Politiker die
Verantwortung tragen. Was geschah wirklich im Kosovo und was war Propaganda,
mit der die deutsche Öffentlichkeit gezielt getäuscht wurde? Dies ist das
Thema einer sehenswerten
Dokumentation meiner MONITOR-Kollegen Jo Angerer
und Mathias Werth, die gleich im Anschluss an MONITOR um 21.45 Uhr hier im
Ersten ausgestrahlt wird."
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