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Alltag im Kosovo

Unerwünschte Serben

Nur selten gerät das Schicksal der Serben im Kosovo in den Blick der Medien oder gar der Politik hierzulande. Die bittere Realität passt so gar nicht ins Bild jener Medien, die den NATO-Krieg 1999 so vehement verteidigt hatten. Einen bedrückenden Bericht aus Pristina schrieb Bernhard Küppers für die Süddeutsche Zeitung, den wir hier gekürzt wiedergeben:

Kosovo-Hauptstadt Pristina: Wer bleibt, lebt in Angst. Bittere Heimat

Nur 200 von einstmals 40.000 Serben sind geblieben - sie werden von Albanern schikaniert, und nur KFOR-Soldaten kümmern sich noch um sie / Von Bernhard Küppers

... Stefanka Tisma ist eine der etwa 200 Serben, die von ehemals 40.000 in der Kosovo-Hauptstadt geblieben sind. KFOR-Soldaten beschützen sie und die sechs anderen Serben in dem Viertel um die Nikola-Kirche, die einzige serbisch-orthodoxe Kirche Pristinas im Stadtteil Taslixhe.

Auf der anderen Straßenseite in dem Verhau zwischen Sandsäcken und Stacheldraht ist Schichtwechsel der Wachen. Ein Soldat mit den schwedischen Farben am Uniformärmel kommt herüber. Ob alles okay sei, fragt er. Dazu reckt er fragend den Daumen der rechten Hand erst nach oben, dann nach unten.

Einkaufen verboten

Wenn Stefanka Tisma mit dem Daumen nach unten zeigt, dann ist etwas nicht in Ordnung. Das ist mit den KFOR-Soldaten so ausgemacht, die ihre Sprache nicht verstehen. Das Zeichen macht die 65-Jährige, wenn zum Beispiel albanische Kinder sie wieder mit Steinen bewerfen. Dann versucht einer der KFOR-Soldaten, die Übeltäter zu schnappen und sie mit tadelnden Gesten den Eltern zu übergeben. Ein paar Schritte von ihrem Haus bis zur Nikola-Kirche, weiter reicht der Radius von Stefanka Tisma in Pristina nicht. Ohne bewaffnete Begleitung in die Stadt zu gehen, wäre zu gefährlich. Stefankas Mann, Mitar, hat sich lange Zeit aus Angst nachts nicht einmal ausgezogen und gewacht. Denn einige Häuser von Serben in ihrer Straße wurden nach dem Abzug der serbischen Polizei und der jugoslawischen Armee in Brand gesteckt.

Eines Tages traute sich Stefanka Tisma in den Lebensmittelladen, wo sie früher immer eingekauft hatte. Sie zeigte auf einen Kohlkopf und Suppengrün, wofür sie die albanischen Worte kannte. Die albanische Ladenbesitzerin wartete, bis alle anderen Kunden gegangen waren und sagte: "Dieses Mal will ich Ihnen das noch geben. Aber kommen Sie nicht wieder. Ich will mein Geschäft nicht verlieren. Uns ist es verboten, Serben zu bedienen." Das Ehepaar Tisma hat seit einem Jahr kein frisches Fleisch mehr gegessen. Ab und zu bekommen sie noch von den KFOR-Soldaten oder einer humanitären Organisation Fleischkonserven. Die frühere Textilarbeiterin und ihr Mann beziehen über die Belgrader Organisation "Frieden und Toleranz" ihre Renten von 400 und 550 Dinar. Das sind nach dem derzeitigen Schwarzkurs in Serbien 40 Mark. Mit Dinar lässt sich aber im international verwalteten Kosovo nichts mehr kaufen, außer in den wenigen Enklaven der verbliebenen Serben. Sonst gilt die D-Mark als Währung.

Vergangenen November hörte Stefanka Tisma im Radio, dass in Velika Hoca bei Orahovac, ihrem Heimatdorf, eine Serbin und deren Sohn umgebracht worden seien. Sie habe gleich gedacht, dass dies ihre jüngere Schwester Dobrila und der Neffe Vinko gewesen seien. Ein orthodoxer Priester ihrer Kirche holte die Leichen und beerdigte sie. Das Grab der Schwester in Kosovo Polje, nur ein paar Kilometer von Pristina entfernt, hat die Serbin noch nicht besuchen können. Ein türkischer UN-Polizist sagte ihr später, der Mörder, ein junger Albaner aus Prizren, sei gefasst worden. "Ist er denn jetzt im Gefängnis?", fragte ihn Stefanka Tisma. "Fragen Sie mich nicht", bekam sie zu hören. Im Kosovo werden so manche festgenommen, aber auch wieder freigelassen - mangels Richtern. ...

Wie es dazu kam, was im Kosovo geschah, darüber will sie nicht nachdenken. "Ich beschäftige mich nicht mit Politik", sagt sie. "Die Politik hat uns gegeneinander aufgebracht." Ab und zu kommt sogar ein Albaner zu ihnen auf einen Kaffee ins Haus. Der Schwager habe ihn im Frühjahr 1999 in seiner Wohnung versteckt, sagt sie. Damals waren Albaner aus ihren Wohnungen in Pristina vertrieben und zum Abtransport an die mazedonische Grenze in Züge gepfercht worden. "Nicht alle sind gleich", lautet ein Erfahrungssatz, der in den Geschichten von Stefanka Tisma immer wieder vorkommt. Soll heißen: Sogar unter den Albanern gibt es gute Menschen.

Im Hof sitzt der Priester der Nikola-Kirche, Pater Miroslav, mit seiner Frau. Die Kirche stammt aus dem Jahr 1830, als der Kosovo noch unter türkischer Herrschaft war, der Pater zeigt die kostbaren Schnitzereien an der Ikonenwand. Im Zentrum von Pristina gibt es außerdem noch den Rohbau einer Kirche mit einer großen Kuppel. Sie war nicht mehr fertig geworden und muss jetzt auch von KFOR-Soldaten bewacht werden. An den Gottesdiensten von Pater Miroslav nehmen selten mehr als vier KFOR-Schützlinge aus dem Viertel teil. Im Körbchen liegen trotzdem etliche Dinar-Scheine. Manchmal bringt ein KFOR-Soldat aus eigenem Antrieb Serben aus einem anderen Stadtteil in die Kirche. Zu taufen oder trauen hatte der Priester seit einem Jahr niemanden mehr.

Verräterische Sprache

Sein kirchlicher Vorgesetzter, der Kosovo-Bischof Artemije, residiert seit seinem Rückzug aus Prizren - von KFOR bewacht - im Kloster Gracanica südlich von Pristina. Artemije und sein Sprecher, der Mönch Sava, sind Kritiker des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic und werden von Belgrad als Verräter beschimpft. Sie dringen auf mehr Sicherheit für Kosovo-Serben und Rückkehrer, haben aber auch das Vorgehen des serbischen Regimes im Kosovo bedauert. Eine Vertreterin ihres Serbischen Volksrats sitzt zusammen mit Albaner-Führern in einem Rat des UN-Verwaltungschefs Bernard Kouchner. Aber der Einfluss Artemijes auf die im Kosovo verblieben Serben reicht über die Enklave Gracanica kaum hinaus, hat auch dort Widersacher und endet vor allem in der größten Serben-Enklave, dem Nordteil von Kosovska Mitrovica mit dem Nordzipfel der Provinz an der Grenze zu Innerserbien.

Stefanka Tisma war verwundert, als sie einer ihrer Beschützer von der KFOR fragte, für wen sie denn bei den Kosovo-Lokalwahlen im Oktober stimmen würde - für die Partei des früheren "Präsidenten" der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, oder die des früheren politischen Kommissars der Kosovo-Befreiungsarmee UCK, Hashim Thaci. "Was bleibt mir, als unseren Mann zu wählen", redete sie sich heraus. Aber in Wahrheit boykottieren die Serben die Wahl. Ihren Ohren nicht trauen wollte Stefanka Tisma dieser Tage, als ein UN-Polizist mit zwei Serbisch sprechenden Uniformierten vom entstehenden einheimischen Kosovo-Polizeidienst vorbei kam. Sie hießen Milorad und Velimir, die beiden Serben, ein seltener Anblick. Noch stehen sie nicht auf der Liste von Beschützern.

Es müssen aber nicht nur Serben in Pristina Angst haben, schikaniert zu werden. Ein albanischer Politiker, mit dem sich der Reporter früher immer Serbisch unterhalten hatte, weicht jetzt lieber auf Englisch aus. Bei einem Treffen im Café sagt er: "Besser nicht. Der Kellner könnte es falsch verstehen."
Aus: Süddeutsche Zeitung, 26-08.2000

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