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... und viele Fragen offen

Zum Tod von Slobodan Milosevic - Erklärungen, Berichte und Kommentare



Am 11. März 2006 erklärte die Kanzlei des UN-Tribunals in Den Haag:
"Heute, am Samstag, dem 11. März 2006, wurde Slobodon Milosevic leblos auf seinem Bett in seiner Zelle der UN-Haftanstalt in Scheveningen aufgefunden. Der Wärter alarmierte umgehend den Dienst habenden Vorgesetzten und den Mediziner. Letzterer bestätigte, dass Slobodan Milosevic tot war.
Die niederländische Polizei und ein niederländischer Untersuchungsrichter wurden hinzugezogen und leiteten eine Untersuchung ein. Entsprechend seiner Verantwortung nach dem Statut des Tribunals und den Vorschriften für die Inhaftierung hat der Präsident des Tribunals, Fausto Pocar, eine umfassende Untersuchung angeordnet. Slobodan Milosevics Familie wurde unterrichtet."


Der russische Außenminister Lawrow: "... haben wir auch das Recht, nicht zu vertrauen"
MOSKAU, 13. März (RIA Novosti). Russland hat das Recht, den Ergebnissen der Expertise über Todesursachen des Ex-Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, nicht zu vertrauen. Das sagte der russische Außenminister, Sergej Lawrow, am Montag. Er erinnerte daran, dass Russland bereit war, zu garantieren, dass Slobodan Milosevic nach der ärztlichen Behandlung auf dem russischen Territorium nach Den Haag zurückkehren wird. Aber das Internationale Tribunal für ehemaliges Jugoslawien hielt das für unzureichend. "Im Grunde hat man Russland nicht geglaubt... In einer Situation, in der man uns nicht geglaubt hat, haben wir auch das Recht, nicht zu vertrauen. Wir wandten uns schon an das Tribunal mit der Bitte, dass unsere Ärzte an der Expertise teilnehmen oder wenigstens Einblick in ihre Ergebnisse nehmen", erklärte der Minister vor Journalisten.

Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti am 13. März 2006

Russische Ärzte auf dem Weg nach Den Haag

Eine Gruppe russischer Spezialisten aus dem Moskauer Bakulew-Herzinstitut fliegt am Dienstag nach Den Haag, um sich mit den Ergebnissen der Obduktion des verstorbenen Ex-Präsidenten von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, vertraut zu machen.
An der Spitze der Gruppe steht der bekannte Chirurg Leo Bokeria, erfuhr RIA Novosti aus dem Presseamt des Gesundheits- und Sozialministeriums in Moskau.

Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti am 13. März 2006



US-Außenministerin Condoleeza Rice hat den verstorbenen jugoslawischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic als "eine der unheilvollsten Mächte in Europa seit langem" bezeichnet. Möglicherweise wäre es besser gewesen, wenn Milosevic wegen der Gräueltaten in den Balkankriegen verurteilt worden wäre, sagte Rice am 12. März. Das "Urteil der Geschichte" sei jedoch bereits eindeutig gefällt worden. Milosevic sei für den Tod vieler Menschen und für eine Politik verantwortlich gewesen, die schließlich zum Zerfall seines Landes geführt habe, sagte Rice auf einem Flug von Chile nach Brasilien vor Journalisten.
(APA/AP, 13. März 2006)

Nun, das was Condoleezza Rice für das "Urteil der Geschichte" ausgibt, ist zunächst doch nur das Urteil der US-Regierung. Die auch über seinen unüblichen Tod in der Gefängniszelle hinaus gehende Dämonisierung Milosevic' ("Schlächter" oder "Hitler des Balkan") hat zugleich den Zweck, von der Verantwortung des Westens für den Zerfall Jugoslawiens und für die Kriege und Vertreibungen, Sezessionen und ethnischen Säuberungen im Südosten Europas abzulenken. Wir haben uns an nie an der einseitigen Schuldzuweisung an die Adresse des früheren Präsidenten Milosevic beteiligt (siehe z.B. den Kommentar zu dessen Festnahme vom 2. April 2001: "Milosevic hinter Gittern und die Selbstgerechtigkeit der Sieger"), sondern immer dafür plädiert, die Genese der Balkankriege und die Verstrickung der Westmächte sowie deren ökonomische und strategische Interessen in der Region in die Gesamtanalyse des Konfliktgeschehens miteinzubeziehen. Die Aufteilung des früheren multinationalen Jugoslawien nach - vermeintlichen - ethnischen bzw. religiösen Gesichtspunkten hat aus einem Staat fünf Staaten gemacht, zwei weitere Staats(aus)gründungen stehen noch auf der Agenda des Westens: Die Loslösung Montenegros aus der Republik Serbien-Montenegro und die Sezession der serbischen Provinz Kosovo. Letzteres war immer das Ziel der früheren terroristisch agierenden UCK gewesen. Dass ausgerechnet jetzt der ehemalige UCK-Kommandant Agim Ceku zum Präsidenten des UN-Protektorats Kosovo ernannt wurde, ist ein besonderer Zynismus der Geschichte und zeigt, dass die Nachkriegsordnung im ehemaligen Jugoslawien eine Ordnung der Sieger ist. Vermutlich wäre der Urteilsspruch in Den Haag auch ein Urteil der Sieger geworden. Diese letzte Schmach - als solche hätte es der einstige starke Mann Jugoslawiens empfinden müssen - ist Milosevic zumindest erspart geblieben.
Pst

Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Artikeln und Kommentaren aus der Tagespresse zum Tod von Slobodan Milosevic.


"Vergessene" Tatsachen

Nach dem Tod Milosevics bleiben Fragen an das Haager Tribunal

Von Marko Winter


Der plötzliche Tod des Politikers war für viele Beobachter gar keine große Überraschung. Engste Vertraute, aber auch eine Reihe angesehener internationaler Experten haben schon seit längerer Zeit die Befürchtung geäußert, dass Slobodan Milosevic das Ende des Prozesses nicht erleben könnte.

Trotzdem hat die Nachricht vom Abbleben des ehemaligen Präsidenten Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) am Sonnabend die Menschen in Serbien-Montenegro und die internationale Öffentlichkeit aufgerüttelt. Sie hat sogar bei einigen Politikern, wie dem Außenbeauftragten der EU, Javier Solana, eine gewisse Sprachlosigkeit ausgelöst. Es dauerte allerdings nicht lange, bis man sich auf eine weitgehend einheitliche Sprachregelung geeinigt hatte. Neben dem Bedauern, dass der inzwischen mehrere Jahre dauernde Prozess in Den Haag nicht zu Ende geführt werden könne, wurde deutlich gemacht, dass das Urteil »lebenslänglich« eigentlich schon feststand: Milosevic war und ist der Hauptverantwortlich für den Zerfall Jugoslawiens, strebte ein Groß-Serbien an und war natürlich der Initiator all der schrecklichen Massaker während der Bürgerkriege in Kroatien und Bosnien. Kosovo natürlich nicht zu vergessen, wo allerdings erst seit der NATO-Aggression gegen die BRJ und seit der Vertreibung von rund 250 000 Serben und Nichtalbanern von einer tatsächlichen humanitären Katastrophe gesprochen werden kann. Einer der Hauptverantwortlichen dafür und für Verbrechen gegen Serben in Kroatien, Agim Cegu, wurde vor einigen Tagen mit dem Segen aus den USA und der EU dort Ministerpräsident.

Das mag auch der Grund dafür sein, dass die Reaktionen seitens der meisten verantwortlichen Politiker in Belgrad wesentlich zurückhaltender sind. Sie verweisen auf die Verantwortung des Tribunals und fordern von diesem Rechenschaft. Nicht verwunderlich ist es, dass die Führung der Sozialistischen Partei Serbiens, deren Vorsitzender Milosevic immer noch war, sogar von einer »systematischen Ermordung« spricht.

Es ist allerdings eine Tatsache, dass der Prozess gegen Milosevic bisher nicht den für die verantwortlichen westlichen Politiker gewünschten Verlauf genommen hatte. Hätte man eine klare Beweislage gehabt, wäre wohl schon längst ein Urteil gesprochen. Wodurch auch erhebliche Kosten hätten gespart werden können. Es muss deshalb auch erlaubt sein, die Frage zu stellen, warum sich niemand an die entscheidende Rolle erinnert, die Milosevic beim Zustandekommen des Daytoner Abkommens gespielt hat oder an seine Unterstützung für die verschiedenen Pläne seitens der UN-Vermittler für eine Friedensregelung in Bosnien. »Vergessen« wurde auch das von ihm verhängte Embargo gegen die bosnischen Serben, was ihm den Vorwurf einbrachte, »Verräter serbischer Interessen« zu sein. Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass erst kürzlich der Antrag abgelehnt wurde, den ehemaligen USA-Präsidenten Bill Clinton, als Zeugen der Verteidigung vorzuladen. Teilnehmer an den Verhandlungen von Dayton wissen von mehreren Gesprächen zwischen Clinton und Milosevic. Sie gehen davon aus, dass Fragen Milosevics zu dem Inhalt der Gespräche und der dort gemachten Versprechungen sehr peinlich hätten werden können.

Nicht zuletzt bleibt auch die Frage, ob Slobodan Milosevic tatsächlich hätte sterben müssen. Eine Antwort darauf ist sicher schwer zu geben. Es ist bekannt, dass der Ex-Präsident seit langem ernsthaft herzkrank war. Obwohl dafür klare Beweise von international anerkannten Spezialisten vorlagen, wurde seitens der Anklage immer wieder versucht, ihn als Simulanten darzustellen. Im Ergebnis wurde Milosevic Ende Februar verweigert, sich in einer Moskauer Spezialklinik behandeln und heilen zu lassen. Dabei lag dem Tribunal eine Garantieerklärung der russischen Ärzte und sogar der Regierung vor, die seine Sicherheit betraf und die Verpflichtung enthielt, Milosevic nach Abschluss der Behandlungen nach Den Haag zurückzubringen. Neben der Tatsache, dass das eine unverantwortliche Brüskierung der russischen Regierung war, trägt das Tribunal in Den Haag, das von Slobodan Milosevic nie anerkannt wurde, ein hohes Maß an Verantwort für dessen Tod.

Aus: Neues Deutschland, 13. März 2006


Aus Presse-Kommentaren


Der Wiener "Standard" (Kommentator: Christoph Prantner) stellt fest, dass nach dem Tod von Milosevic "alle Fragen offen" geblieben seien. Diese Situation erschwere den Prozess des Heranführend der Balkanstaaten an die Europäische Union.

(...) Der nicht abgeschlossene Prozess gegen Milosevic ist eine Art juristische Hypothek für die gesamte Region, betreffen die Anklagepunkte doch den Kroatien-, Bosnien- und Kosovokrieg. Die Verantwortung des ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten für die Gräueltaten in den betreffenden Ländern war in dem seit 2002 andauernden Verfahren in der Tat schwer nachzuweisen gewesen. Eine unmittelbare Mitschuld Milosevic' an Kriegsverbrechen konnten die Haager Ankläger wohl nur bei Verbrechen der serbischen Armee im Kosovokrieg belegen, in dem die direkte Befehlskette zu Milosevic führte.
Dennoch: Ein endgültiges Urteil gegen Milosevic hätte eine Zäsur gebracht, so wie sein Tod jetzt alle Fragen offen lässt. Serben (auch Kroaten, Bosnier und Kosovaren) haben weiter jede Gelegenheit, sich gegeneinander und vor allem gegen das Haager Tribunal aufzulehnen. (...)

Aus: Der Standard, 13. März 2006


Hans-Helmut Kohl stellt in seinem Kommentar in der Frankfurter Rundschau drei Fragen: 1) Hätte das Verfahren gegen Slobodan Milosevic schneller geführt werden können, ja müssen? 2) Hätte Slobodan Milosevic auf freien Fuß gesetzt werden müssen, um in Moskau medizinisch behandelt werden zu können? 3) Ist Slobodan Milosevic "unschuldig" an dem hunderttausendfachen Leid, das die Völker des Balkan im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts durchlitten, weil er starb, bevor das Internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag sein Urteil gegen ihn verkündete? Kohl verneint alle drei Fragen und vertritt vollständig den westlichen Standpunkt. Er fordert am Ende die EU auf, sich nun nicht irre machen zu lassen:

(...) Die internationale Gemeinschaft und die europäischen Institutionen dürfen sich deshalb durch die nun gewiss beginnende Legendenbildung um den Tod des einzigen ehemaligen Staatschefs, der je vor einem "Weltgericht" stand, nicht irritieren lassen. Der Druck auf Belgrad und die dort heute Verantwortlichen, mit dem Haager Tribunal zu kooperieren und die noch Flüchtigen festzunehmen und auszuliefern, muss aufrechterhalten werden. Die Opfer und Überlebenden der Balkankriege, aber auch die Gerechtigkeit und die Werte des Humanismus verlangen, dass den Tätern der Prozess gemacht wird.
Slobodan Milosevic hat diese Überzeugung nie geteilt und seine eigenen Entscheidungen zu keinem Zeitpunkt auch nur in Frage gestellt. Das Urteil über ihn wird nun nicht das Haager Tribunal sprechen, sondern die Geschichte. Ob es je eine "gemeinsame Geschichte" der Völker des Balkan sein wird, die allein für Aussöhnung und Frieden sorgen kann, ist nach diesem Wochenende wieder unsicherer geworden.

Aus: Frankfurter Rundschau, 13. März 2006


Die Frankfurter Allgemeine Zeitung macht sich schon einmal Gedanken darüber, wie groß wohl der Trauerzug bei der Beerdigung Milosevic' sein wird - gleichgültig ob er in serbischem oder russischem Boden seine letzte Ruhe findet. Am Ende des Leitartikels von Michael Martens werden die Serben ermahnt, doch das zu tun, was angeblich in ihrem Interesse ist: den Anschluss an die EU zu suchen:

(...) Das Jahrzehnt der Herrschaft Milosevics über Serbien wurde einmal als permanenter politischer Ausnahmezustand bezeichnet: Milosevic brauchte Krisen, er suchte und schuf sie, um sich dann als Retter darzustellen - ein Pyromane, der den Feuerwehrchef spielte. Als Spätfolge dieser Politik steht einer Mehrheit von Serben, die eine Annäherung an die EU befürwortet, eine starke nationalistische Schicht gegenüber, welche die europäische Perspektive ablehnt. Es sind Kreise, die das 20. Jahrhundert nicht verstanden haben und Serbien in der Vergangenheit halten wollen. Wer als Ministerpräsident in Serbien Fortschritte erreichen will, darf die Auseinandersetzung mit ihnen nicht scheuen. Milosevics Tod sollte ein weiterer Anlaß sein, sie zu suchen.

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. März 2006


Caroline Fetscher begibt sich im Berliner "Tagesspiegel" in die Niederungen des Boulevard - um selbst in ihm zu landen. Nicht nur werden Milosevic alle Verbrechen der Balkankriege angelastet, am Ende soll er auch auch noch selber vergiftet haben: Diesem "Tyrannen" ist eben alles zuzutrauen:

(...) Dass in Serbien Boulevardblätter nun Schlagzeilen wie „Sie haben ihn ermordet!“ drucken, beweist, wie wenig sich ein Bewusstsein für Justiz, Transparenz, vergangene Schuld und demokratische Reform in der Gesellschaft durchgesetzt hat. Womöglich hat Slobodan Milosevic, fürchten manche Beobachter, tatsächlich Gift genommen, um seinen Tod dem Tribunal anlasten zu können. Es würde zu ihm passen. Das wäre sein letzter Coup, ganz im Sinne der Verschwörungstheorien seiner Anhänger. (...)

Aus: Der Tagesspiegel, 13. März 2006


Jürgen Elsässer geht in der "jungen Welt" der Vergiftungstheorie nach und lässt viel Raum für Spekulationen. Ernst zu nehmen ist sein Hinweis auf - zumindest - eine "Vernachlässigung der Obhutspflicht für den Inhaftierten" durch das Haager Tribunal:

(...) So hatte sich Milosevics Herzkrankheit seit Verhandlungsbeginn im Februar 2002 kontinuierlich verschlimmert. Der Prozeß mußte immer wieder unterbrochen werden. Im November letzten Jahres sah eine internationale Ärztegruppe das Leben Milosevics bei Fortsetzung der Verhandlungen in Gefahr. Der Angeklagte stellte daraufhin einen Antrag, sein Leiden von Spezialisten in Moskau behandeln zu lassen. Trotz der Zusicherung der russischen Regierung, Milosevic danach wieder zu überstellen, lehnte das Gericht den Antrag Ende Februar ab. – Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht liegt auch vor, sollte der Tod des Expräsidenten tatsächlich "erst nach mehreren Stunden" entdeckt worden sein, wie neben serbischen Medien auch die Online-Ausgabe der Welt meldete.

Aus: junge Welt, 13. März 2006


Die "Berliner Zeitung" macht sich Gedanken um die Zukunft des Haager Tribunals. Negativ vermerkt wird insbesondere, dass sich Milosevic im Verfahren teilweise als Ankläger aufführen konnte. Das dürfe nicht sein, befindet Frank Herold:

(...) Er war angeklagt des Völkermordes und der schlimmsten Verbrechen, die Europa seit dem zweiten Weltkrieg erlebte. Doch streckenweise schien es, als sei das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit von Vorteil für Milosevic und von Nachteil für die Opfer. Der Diktator verstand sich als Ankläger. Er erging sich in zynischer Rechthaberei, verhöhnte und brüskierte das Gericht, demütigte und bedrohte die Zeugen. Die Richter befanden sich in einer heiklen Lage, denn jede drastische Maßregelung des Angeklagten hätte dem Vorwurf der Siegerjustiz Vorschub geleistet. Auch wenn das Verfahren jetzt keinen Abschluss findet, sind diese Erfahrungen wichtig für die Verfahrensregeln in künftigen Prozessen. (...)

Aus: Berliner Zeitung, 13. März 2006


In das selbe Horn stößt die Neue Zürcher Zeitung, wenn es dort heißt:

(...) Das Gericht ist Milosevic im Bemühen um einen fairen Prozess oft entgegengekommen. Auf der andern Seite durfte es aber auch nicht zulassen, dass der Angeklagte den Verlauf des Prozesses bestimmte, denn dann wäre das Verfahren zu einer Farce verkommen. Sollte es Milosevic tatsächlich, wie ihm die Anklage vorwarf, darauf angelegt haben, den Prozess mit allen Mitteln in die Länge zu ziehen in der Hoffnung, dass dieser nie zu einem Ende kommen würde, dann kann sein Tod als sein letzter Triumph bezeichnet werden.
Das Ableben des wichtigsten Angeklagten ist ein schwerer Rückschlag für das Uno-Tribunal. Nun wird es im Falle Milosevics kein Urteil mehr geben. Ein weiterer Hauptverantwortlicher für die Kriege der neunziger Jahre kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Bereits Ende 1999 war der frühere kroatische Präsident Tudjman gestorben. Das Uno-Tribunal hatte gegen ihn ermittelt, aber noch keine Anklage erhoben. Mladic ist trotz grösstem Druck noch immer nicht nach Den Haag überstellt worden, und auch Karadzic befindet sich weiterhin in Freiheit. (...)

Aus: Neue Zürcher Zeitung (online), 12. März 2006


Vor solch "einseitiger Stoßrichtung" warnt Uwe Sattler im "Neuen Deutschland". Denn für die Balkan-Kriege und den Zerfall Jugoslawiens gibt es nicht nur einen Schuldigen:

Sicher war es ein Zufall, dass sich die EU-Außenminister an jenem Tag, als Slobodan Milosevic in seiner Den Haager Zelle starb, mit der "europäischen Perspektive" der westlichen Balkan-Staaten beschäftigten. Die Nachricht vom Tod des jugoslawischen Ex-Präsidenten war noch nicht über die Ticker gelaufen, als die Politiker von den südosteuropäischen Ländern als Bringeschuld für eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft abermals die "vollständige Zusammenarbeit" mit dem Gerichtshof in den Niederlanden einforderten.
Jahrelang standen die Krisen auf dem Balkan für das Versagen der EU, Konflikte auf dem alten Kontinent friedlich zu lösen. Dabei sollte gerade das auf Druck Washingtons eingerichtete Haager Tribunal die Handlungsfähigkeit der Europäer belegen – mit vorgegebener Stoßrichtung. Nicht um NATO-Angriffe auf Brücken und TV-Stationen, nicht um menschliche "Kollateralschäden" während des völkerrechtswidrigen Überfalls auf Jugoslawien, nicht um die Unterstützung separatistischer Terrorgruppen in Kosovo durch den Westen ging es. Zur Debatte standen allein die Verbrechen Milosevics. Für diese allerdings wurden in dem inzwischen vier Jahre dauernden Verfahren keine stichhaltigen Beweise erbracht.
Mit dem Tod Milosevics wird dessen Rolle in den Balkan-Konflikten wohl nie vollständig aufgeklärt werden können. Trotz anderslautender Bekundungen dürfte man in den Hauptstädten der NATO-Staaten darüber nicht traurig sein. Denn auch deren Aggressionspolitik wird nun nicht mehr vor Gericht behandelt.

Aus: Neues Deutschland, 13. März 2006


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