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Bundestag verlängert und erweitert Mandat für Bundeswehr im Kosovo

Fischer: Bundeswehr ist eine "Parlamentsarmee"

Am 1. Juni 2001 hat der Bundestag mit "überwältigender" Mehrheit beschlossen, das Mandat der Bundeswehr in ihrem Auslandseinsatz im Kosovo zu verlängern und das Aufgabenspektrum gleichzeitig zu erweitern. Wichtigste Änderung ist dabei, dass die deutschen Soldaten künftig auch in der angrenzenden so genannten Sicherheitszone oder Pufferzone zu Südserbien operieren dürfen. Diese Pufferzone ("Ground Safety Zone") besteht aus einem 5 Kilometer breiten Streifen auf der serbischen Seite entlang der Demarkationslinie zum Kosovo. In ihr durften keine jugoslawischen Streitkräfte stationiert werden. Diese Pufferzone war seinerzeit nach dem NATO-Krieg eingerichtet worden, um die dort lebende albanische Bevölkerung vor den Serben zu schützen.

In Wahrheit hat diese Pufferzone dem UCK-Ableger UCPMB ("Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac") seither dazu gedient, ihre Angriffe auf serbische Polizeistationen und andere Einrichtungen relativ ungehindert fortzusetzen. Dies schien den westlichen Protektoratsmächten im Kosovo auch kein Thema, solange Milosevic in Belgrad an der Macht war. Erst mit der politischen Wende in Jugoslawien hatte die NATO ein Einsehen und lockerte die Behinderungen für die serbischen Sicherheitskräfte, bis ihnen vor kurzem sogar erlaubt wurde, mit regulären Streitkräften in die Pufferzone einzuziehen.

Der Beschluss des Bundestags ermächtigte die Bundeswehr gemäß dem internationalen KFOR-Mandat auch zu Luftpatrouillen, was für die deutschen Einheiten in der Region bislang ebenfalls ausgeschlossen war. In der südserbischen Sicherheitszone dürfen die Bundeswehrsoldaten aber "über die Wahrnehmung des individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsrechts hinaus ... nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden".

In namentlicher Abstimmung sprachen sich im Bundestag 491 von 598 Abgeordneten für das erweiterte Mandat aus. Es gab 92 Gegenstimmen sowie 15 Enthaltungen, darunter auch einige Grüne. Die Gegenstimmen kamen vor allem von der PDS, die den Bundeswehreinsatz grundsätzlich ablehnt, sowie von der FDP. Die FDP, so begründete Guido Westerwelle in der Debatte die widersprüchliche Haltung seiner Partei, befürworte durchaus die Verlängerung des Mandats, spräche sich aber gegen seine "pauschale Erweiterung" aus, da deren "Konsequenzen nicht ausreichend durchdacht" seien. Den Grünen warf er "das unkritische Durchnicken von Anträgen der Bundesregierung" vor.

Außenminister Fischer durfte diesmal die Position der Bundesregierung vertreten. Scharping selbst trat nicht auf. In eindringlichen Worten warnte Fischer vor einer "Katastrophe" für die Region und für "Deutschlands Standing im Bündnis" für den Fall, dass das KFOR-Mandat nicht verlängert würde. Der FDP bescheinigte er ein lediglich von innenpolitischer Taktik geprägtes, "nicht überzeugungsgesteuertes" Verhalten. Damit hatte er, genauso wie Westerwelle mit seiner Kritik an der Grünen-Fraktion, zweifellos Recht. Ansonsten schwadronierte Fischer von der "Parlamentsarmee" Bundeswehr (da das Parlament ja nur das Volk vertritt, warum nicht gleich: "Volksarmee"?), die schon alles richtig machen werde und von der außenpolitischen Verantwortung, die Deutschland in der Welt nun einmal übernommen habe. Unterstützt wurde die Bundesregierung in der Debatte von der grünen Sicherheitsexpertin und früheren Friedensbewegten Angelika Beer. Sie meinte, man dürfe nicht zulassen, dass in der Pufferzone "ein Vakuum" entstehe; sonst könne sich in diesem Gebiet die albanische Untergrundarmee UCK etablieren und den Friedensprozess gefährden. Gernot Erler (SPD) wandte sich in seiner Rede vor allem gegen das "unzulässige und nicht akzeptable Junktim" der CDU, die der Mandatsverlängerung ursprünglich nur zustimmen wollte, wenn die Bundeswehr auch mehr Geld erhielte. Fraktionsführer Friedrich Merz kündigte an, im nächsten Jahr gegen eine Verlängerung zu stimmen, wenn bis dahin die "dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr" nicht korrigiert sei. Für diesmal stimmte seine Fraktion der Mandatsverlängerung aber dann doch geschlossen zu. Merz: "Wir stimmen zu, weil wir uns der Verantwortung bewußt sind, die wir gemeinsam tragen." Merz beschuldigte in seiner Rede Bundeskanzler Gerhard Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die Bundeswehr "in die schwerste Krise seit ihrem Bestehen" geführt zu haben. Im Etat des Ministeriums würden in den nächsten vier Jahren 20 Milliarden DM fehlen. Das Vertrauen der Soldaten sei "tief erschüttert und mittlerweile fast zerstört", sagte Merz. FDP-Parteichef Guido Westerwelle blies in dasselbe Horn: "Es reicht nicht aus, den Soldaten wohlfeil zu danken, aber dann bei den Kürzungen des Verteidigungshaushaltes dafür zu sorgen, dass sie ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden können." Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen betrieben "Schindluder" mit der Bundeswehr.

Der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Karl Lamers, sagte, der Einsatz der KFOR sei notwendig, damit sich die Gewalt nicht wieder ausbreiten könne. Auch die Ausweitung des Mandats, die der Bundeswehr Patrouillen in der Pufferzone zwischen Südserbien und dem Kosovo ermöglicht, sei angemessen. Lamers nannte sie eine "begrenzte Vergrößerung des Risikos". Die Bundeswehr müsse jedoch die gleichen Rechte und Pflichten übernehmen wie die Verbündeten.

Argumente der Friedensbewegung wurden nur von der PDS vertreten. Ihr außenpolitischer Sprecher Wolfgang Gehrcke erinnerte daran, dass das KFOR-Mandat völkerrechtlich und grundgesetzlich nicht gedeckt sei. Der NATO-Einsatz im Kosovo sollte in ein UN-Blauhelmmandat umgewandelt werden.

Die Bundestagsdebatte regte die Kommentatoren der deutschen Zeitungen wenig auf. Es wurde in gebotener Kürze darüber berichtet, als handle es sich beim Kosovo-Einsatz der Bundeswehr um Routineangelegenheiten. Dies spiegelt nur die allgemeine Zustimmung der Medien zu dem militärischen Engagement und die nochmalige nachträgliche Legitimierung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien wider. Dort wo sich ein Leitartikler des Themas annahm, z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, geriet der Kommentar aber zu einer Begründung der CDU-Position. Eine Kostprobe aus dem Leitartikel:
"Aber die Art und Weise, wie die Regierung Schröder mit der Bundeswehr verfährt, kommt mehr und mehr einer zum Skandal werdenden Fahrlässigkeit gleich. Sie weitet das Aufgabenspektrum des Militärs und seinen Einsatzraum aus, meint aber, es bei einer Finanzausstattung für das Nötigste belassen zu können. Mit einer Notversorgung sind diese Aufgaben auf Dauer nicht zu erfüllen. Wer deshalb von Auszehrung der Bundeswehr spricht, malt nicht schwarz, sondern trifft genau den Punkt." (FAZ, 02.06.2001)

Pst

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