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Schuldsprüche einer "Endzeit-Horde"

"Kollateralschaden", der Dichter Peter Handke und der westliche "Medien-Militarismus"

Von Hans-Dieter Schütt *

Einer der großen Dichter der Zeit, Peter Handke, ist seit Jahren gleichsam in intensivstationärer Behandlung. Dichter unterm Messer. Als sei er ein siamesischer Zwilling. Der eine Handke schreibt wunderbare Bücher, die den Mann sogar ins Nobelpreis-Geraune brachten. Der andere Handke äußerte sich regelmäßig, aber der Regel so gar nicht gemäß, zu Jugoslawien, zu dem, was es war und was draus wurde.

Von zweiterem H. fließe, so meinen bösartig Gutwollende, giftiges Blut hinüber zum Dichter H., da wollen die Kritiker mit ihrem Beckmesser - liebe Leute das - natürlich helfen. Sie schneiden und schneiden und kriegen den Peter nicht weg vom Handke. Der dementiert einfach nicht. Der demonstriert der Welt weiter, dass es der Dichter ist, der sich da westwärts empört, der da unbotmäßig politisch wird, der in der Erfindung des Wortes vom »Kollateralschaden« die Sprache im zynischen Kriegsdienst sieht. Just dieser Begriff meint: Bei Nebenwirkungen stellen Sie bitte keine Fragen; Nebenwirkungen kommen von dem, was danebenging: Bomben auf Kinder, Frauen, auf alles, was das Leben bereit hält an Zielen, wenn es so unschuldig wie möglich vor sich her lebt.

Des Dichters hochmütige, hoch mutige Plädoyers für Serbien, gegen den NATO-Angriff auf Kosovo machten ihn zum einsamen Intellektuellen. Handke war unverschämt: indem er sich in keiner Äußerungssekunde verschämt verhielt und etwa nach einer lauwarmen Konsensmöglichkeit fischte zwischen heißer Liebe zum Balkan und kaltem Dichterblick auf eine schrecklich verworrene Kriegsgegenwart.

Er betonte seine Hilflosigkeit beim Schauen auf die Welt, die Niederlage ist der Sieg des Poeten, die Ohnmacht sein Heldentum, und diese Schwäche hat Erhabenheit: »Mein Platz ist beim tragischen Volk«, sagt eine der Figuren im Stück »Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film vom Krieg«, 1999 von Claus Peymann am Burgtheater Wien uraufgeführt. Handke vollzog darin eine grandios predigende Gegenwartsvernichtung; unsere Zeit wird erkennbar als Zerstörungswerk von westlichen »Humanitätshyänen« und »Zwangsherren der Aktualität«.

Der Krieg gegen das einstige Jugoslawien als Metapher: der Ort, von dem wir alles wissen - aber nichts erfahren. Der Ort, von dem wir täglich alles erfahren - und nichts wissen. Ein Markt für Moral. Der Westen, die NATO, seine Propagandisten: »... diese Endzeit-Horde braucht für die Geschichte hier den einen Schuldigen und hat für sich selbst die Rolle des Guten bestimmt; hier, jetzt aber ist die Zeit aller Schuldigen, es ist das Land, oder Europa, oder die Welt der Allerschuldigsten - nur daß die einen Schuldigen zu Gericht sitzen über die anderen.«

Handkes Zorn. Es ist Verachtung gegen einen westlichen Medien-Militarismus, der Objektivität und Ausgewogenheit behauptet, aber letztlich verräterisches Sinnbild einer groß angelegten Simulationsübung bleibt. Nachrichten klingt wie Hinrichten; Information ist nur das andere Wort für Deformation. Und das Gewissen wird gezüchtet, gut zu sein, indem man die Moralkeule schwingt: Wer gegen den Kosovo-Krieg sei, so Joschka Fischer, schüre die Gefahr eines neuen Auschwitz.

Handke schrieb just gegen diesen westeuropa-monotonen »antiserbischen Klimax«, unfähig zur Abrichtung auf die allgemeine westeuropäische Serbenfresserei. Aber: Er hat niemals serbische Verbrechen geleugnet. Er lehnte auch einen Prozess gegen Slobodan Milosevic nicht ab. Nur lehnte er ab, ein Mörder- und Verbrecherbild weit vor dem Urteil zu akzeptieren. Er sah die Notwendigkeit der Wahrheitsfindung, aber er sah in Den Haag »das falsche Gericht«. Er zürnte gegen alle Täter-Opfer-Einseitigkeit, stur wie ein Ungepanzerter. Das Syndrom der Gegenwart: Eindeutige Geschichts-befunde, ausgestellt von jeweiligen Siegern (und seien es Sieger aus bestem Anliegen gewesen), schaffen neues Unrecht, treiben anders Denkende an den Rand der Stummheit, wo neue Anpassung, neues Mitläufertum, neues Verschweigen, neues Wegsehen auf ihre staatsbildende Arbeit warten.

»Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien« (1996) hieß der Text, mit dem Handke zuerst ins Kreuzfeuer eines erbosten richterlichen Polit- und Kulturjournalismus geriet. Es folgten ein »Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise« und »Unter Tränen fragend« (Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, 1999).

In seinen Berichten hatte er auch eine umfassende Medienkritik entwickelt, welche den vielen »Fernfuchtlern« - so bezeichnet er Auslandskorrespondenten im ehe-maligen Jugoslawien - ein einseitiges, zwischen Kälte und Eiferertum festgezurrtes Feindbild attestierte. Mit Ziselierzorn klagte Handke gegen den differenzierungsunwilligen, schnarrenden Generalston bestimmter journalistischer »Balkanexperten«.

Auch als einer von 1600 Verteidigungszeugen in Den Haag war Handke benannt worden. Er traf Milosevic, beobachtete das Gericht. Eine Zeugenschaft vor den Schranken dieses »Schuldspruch-Theaters« aber lehnte er ab. Aus Den Haag entwickelt Handke eine eigene, utopische Vorstellung von Richtern, »die den Hauptantrieb ihres Wirkens weniger im Befolgen eines geltenden Rechts sehen als vielmehr im Geltendmachen von moralischen, humanitären und ästhetischen Kategorien, aus denen sie ein neues Recht ableiten«.

Handke wiederholte immer wieder, was da wie von wem in Jugoslawien zerschlagen wurde. Es geschah (der Dichter jetzt im langen Zitat), »dass auf dem Balkan Anfang der neunziger Jahre eine Höllenmaschine in Gang kam, welche von innen her, von den einzelnen Republiken, Regionen, Tälern und Schluchten, nicht zu stoppen war, von keiner Macht, von keiner Person, von keiner Einzelperson - wohl aber, bevor sie in Gang kam, zu steuern gewesen wäre von außen her, und nur von außen - und von dort wohl auch gesteuert wurde, aber genau in dem Höllensinn - und dann, als die Maschine in Gang war, weiter und stärker außengesteuert wurde, einseitig, Partei ergreifend, und so nun auf vollen Höllenkurs ... immer noch weitergesteuert wird«.

Gerade im Wort »Kollateralschaden« stecke die ganze rhetorische Beihilfe zu diesem Morden. Gestanzte Repliken in tonangebenden Medien böten »zeitgenössische Journalisten-Weltliteratur«, ein »übermächtiges Serienschema« von neuerer EU- und NATO-Glaubwürdigkeit und -Gerechtigkeit. »Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit, was für schöne Worte? Was für unverschämte, verwundbar ge-wordene, zu verbietende Worte!«

* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2009


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