"Die NATO ist der Gewinner"
Slobodan Samardzic: Die Situation in Kosovo ist chaotisch, Serbien sollte eigenständig agieren
Der 55-jährige serbische Politiker Slobodan Samardzic lehrt Europäische Studien und Politologie an der Universität Belgrad. Samardzic ist Mitglied der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des ehemaligen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica und war in dessen Regierung Minister für Kosovo und Metochien (Mai 2007 - Juli 2008). Hannes Hofbauer sprach mit ihm in Belgrad.
Das Interview, das wir im Folgenden dokumentieren, wurde im "Neuen Deutschland" veröffentlicht.
ND: Zehn Jahre nach den missglückten Verhandlungen zwischen Jugoslawien und kosovo-albanischen Führern im französischen Rambouillet, deren Scheitern am 24. März 1999 zum NATO-Angriff auf Jugoslawien geführt hat, ist nach wie vor nicht klar, wer eigentlich in Kosovo das Sagen hat.
Samardzic: Die Situation in Kosovo ist extrem chaotisch. Es gibt eine Reihe von Regierungsinstitutionen. Da ist einmal die »provisorische Institution der Selbstverwaltung«, wie wir die Regierung in Pristina nennen, weil wir diese Institution als Vertreterin eines sogenannten unabhängigen Kosovo nicht anerkennen. Für uns sind das provisorische Institutionen, die wir im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1244 (die Kosovo als Teil Jugoslawiens bzw. Serbiens begreift -- H.H.) sehen. Sie kontrollieren einen Teil der Gesellschaft, haben aber keine große Schlagkraft die globale Politik in Kosovo betreffend. Dann gibt es ein interessantes Mischmasch an internationalen Einrichtungen, an oberster Stelle den Repräsentanten des UN-Generalsekretärs, Lamberto Zannier, dessen Macht sich zunehmend selbst limitiert.
Was meinen Sie damit?
Zanniers Vorgänger Joachim Rücker war schon darangegangen, die Macht der UNMIK Schritt für Schritt an die provisorischen Institutionen in Pristina abzugeben.
Also das, was man in Deutschland »Regierung Kosovos« nennt?
Ja. Dieser Machttransfer in Fragen der Verwaltung ist seit drei, vier Jahren im Gange. Ich interpretiere diese Entwicklung dahingehend, dass der UN-Verwalter Zannier das Mandat hat, die UN-Mission in Kosovo zu schließen.
Um sie an die EU-Mission zu übergeben?
So sieht offensichtlich der Plan aus. Denn wir haben eine neu installierte EU-Mission EULEX in Kosovo, die keine Legitimität vorweisen kann und deshalb problematisch ist. Es gibt nur zwei Reports des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon von Juli und November 2008, in denen die EULEX-Mission angesprochen wird. Aber ein solcher Report kann niemals eine legale Grundlage für eine internationale Mission sein, dafür bräuchte es ein Mandat des Sicherheitsrats.
Auch Belgrad stellt den Machtanspruch. Wo endet dieser?
Es gibt serbische Verwaltungen in Kosovo, die von dort lebenden Serben und von Serbien als Staat betrieben werden. Das betrifft lokale Autoritäten in sechs Gemeinden, überall dort, wo Serben territorial relativ homogen anzutreffen sind, also im Osten und in der Mitte Kosovos sowie nördlich des Flusses Ibar.
Hat sich daran ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung von Pristina etwas geändert?
Nein. Im Osten und im Zentrum Kosovos leben je ungefähr 30 000 Serben. Und im Süden, in der Enklave Strpce, leben weitere 10 000 Serben. Der Fluss Ibar ist nicht die Grenze zwischen serbischem und albanischem Siedlungsgebiet.
All diese Menschen leben als serbische Bürger in Kosovo?
Die Serben folgen den Instruktionen aus Belgrad, ihre Institutionen werden von Belgrad bezahlt. Die lokale Selbstverwaltung inklusive Gesundheitswesen, Erziehung, Sozialsysteme etc. wird von Belgrad aus betrieben. Die Menschen sind loyal zum serbischen Staat.
Wer zählt zu den Gewinnern der Nachkriegszeit in Kosovo?
Die NATO ist der eigentliche Gewinner. Sie stellt mit circa 90 Prozent den größten Anteil der KFOR-Truppen. Das können wir nicht ändern. Die USA haben die Situation dazu genützt, ein riesiges Militärlager zu errichten, das sowohl eine lokale wie regionale, aber auch eine globale Rolle spielt. Camp Bondsteel dient als Drehscheibe zwischen Europa und dem Nahen Osten sowie dem Kaukasus. Gemeinsam mit den NATO-Militärlagern in Rumänien und Bulgarien ist Kosovo damit in diese Strategie total eingebunden.
Oberflächlich betrachtet fühlen sich auch die Albaner als Gewinner, weil sie ihr Ziel erreicht haben, nämlich von Serbien unabhängig zu sein. Aber eine weitergehende Unabhängigkeit haben sie nicht erreicht. Es gibt keine funktionierende Wirtschaft und Verwaltung innerhalb Kosovos. Psychologisch haben die Albaner ihr Ziel erreicht; ökonomisch, sozial und politisch können sie sich nicht zu den Gewinnern zählen.
Im Herbst 2008 scheint die serbische Diplomatie wieder ein wenig in die Offensive gekommen zu sein: Die UN-Vollversammlung beauftragte den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, die Rechtmäßigkeit der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung zu prüfen. Und Belgrad akzeptierte den Sechs-Punkte-Plan von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der Gespräche über das Erziehungssystem und andere Probleme bis zur inneren Sicherheit einschließt und damit eventuell eine Wiederaufnahme von Status-Verhandlungen möglich macht.
Die von der großen Mehrheit der UN-Staaten an Den Haag delegierte Befassung des Internationalen Gerichtshofs mit der Unabhängigkeitsfrage würde ich als Erfolg einschätzen, obwohl meine Partei eher eine gerichtliche Verfolgung einzelner Staaten anstreben wollte, die Kosovo anerkannt haben. Der Sechs-Punkte-Plan von Ban Ki Moon ist indes mehr als vage. Es ist unklar, wer da überhaupt verhandeln soll und wer eventuelle Ergebnisse durchsetzen würde. Dieser Plan soll wohl eher der letzte Ausläufer der UNO als Mediator in Kosovo sein. Belgrad und Pristina würden diesem Plan zufolge über gemeinsame technische Probleme wie das Polizei- oder das Gerichtswesen in serbischen Siedlungsgebieten verhandeln. Dieser Plan könnte als Mittel zur Anerkennung Pristinas durch Belgrad gedacht sein. Insofern war die Zustimmung der serbischen Regierung falsch.
Warum ist die albanische Seite so gegen den Plan?
Die wollen mit Belgrad nur diskutieren, wenn ihnen Garantien gegeben werden, dass es keine Statusverhandlungen mehr gibt.
Was wäre in dieser vertrackten Situation zu tun?
Es gibt keine gemeinsamen Initiativen, jede Seite taktiert für sich. Nach dem Scheitern der Verhandlungen und der Durchführung des Ahtisaari-Plans wurden Tatsachen geschaffen. Serbien hat dabei verloren. Andererseits hat Serbien Teile Kosovos unter seiner Kontrolle. Sogenannte parallele Institutionen gibt es nicht nur im Norden. Ich denke, Serbien sollte unilateral agieren. Der Prozess ist noch nicht zu Ende. Eines Tages werden erneut Verhandlungen beginnen, weil wir die Statusverhandlungen nicht beendet haben. Ein dauerhafter Friede kann nur durch das Gespräch und durch Kompromissbereitschaft erreicht werden.
* Aus: Neues Deutschland, 25. März 209
Streit in der UNO
Pristina und Belgrad tauschen Vorwürfe aus **
New York (dpa/ND). Pristina und Belgrad haben einander am Montag vor dem UN-Sicherheitsrat in
New York mit Vorwürfen zur Lage in Kosovo überhäuft. Serbiens Präsident Boris Tadic warf den
»ethnisch-albanischen Behörden unserer südlichen Provinz Kosovo« vor, den serbischen Mitbürgern
»keine Sicherheit, keine Bewegungsfreiheit, kein Recht, keinen Strom und kein Wasser« zu
gewähren. Pristinas Außenminister Skender Hyseni wiederum beschuldigte Belgrad, den Norden
Kosovos »in eine Schutzzone für kriminelle und illegale Aktivitäten« verwandelt zu haben. Der Leiter
der UN-Mission (UNMIK) in Kosovo, Lamberto Zannier, berichtete dem UN-Gremium, dass
ethnische Spannungen besonders im und um den Norden von Mitrovica Anlass zur Sorge geben. In
letzter Zeit sei es zu mehreren alarmierenden Vorfällen mit Waffen und Sprengstoff gekommen.
Dank der EU-Mission EULEX habe UNMIK seine Polizeitruppe seit Dezember von 1288 auf 49
Mann abbauen können und konzentriere sich jetzt auf die »umfassende Überwachung« Kosovos.
Tadic würdigte den Einsatz beider Missionen in Kosovo und erklärte sie angesichts der Bedrohung
durch »die ethnisch-albanische Mafia mit ihrem Drogen-, Menschen- und Waffenhandel« auch in der
Zukunft für absolut erforderlich. Dagegen betonte Hyseni, dass sich seine Regierung in Pristina um
gute Beziehungen unter den eigenen Bürgern sowie mit den Nachbarländern bemühe und bald in
der Lage sein dürfte, auf eigenen Füßen zu stehen.
** Aus: Neues Deutschland, 25. März 2009
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