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"Strafanzeige wäre durchaus möglich"

Exkanzler Schröder hat zwar den Bruch des Völkerrechts gestanden, muß aber wohl nicht vor Gericht. Ein Gespräch mit Norman Paech *


Norman Paech ist emeritierter Professor für Internationales Recht an der Universität Hamburg, er war von 2005 bis 2009 Bundestagsabgeordneter der Linkspartei.


Exbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat kürzlich in einem Fernsehinterview zum Thema Krim erklärt, auch er habe in seiner Regierungszeit das Völkerrecht gebrochen, und zwar im Fall des Serbien-Krieges. Ist Völkerrecht etwas Beliebiges, das man mal brechen, mal befolgen kann – je nach Interessenlage?

Schröder hätte gleich miteingestehen sollen, daß auch seine heimliche Unterstützung des Irak-Kriegs völkerrechtswidrig war. Es ist schon seltsam, bisher hat die politische Klasse der NATO-Staaten je nach politischer Interessenlage das Völkerrecht verbogen und an ihm herumgeschraubt – jetzt beschwört sie es wie nie zuvor, benutzt es allerdings nur als politischen Hebel gegen den auftrumpfenden Rivalen. Sie zeigt auf den Splitter im Auge Putins, versucht aber damit, vom Balken im eigenen Auge abzulenken – den zahlreichen eigenen Völkerrechtsverletzungen. Um die Frage zu beantworten: Das Völkerrecht ist für alle Staaten verbindlich, das gilt für den Schutz der territorialen Integrität ebenso wie vor allem für das Gewaltverbot.

Wie weit wird das durch die nationale Gesetzgebung berücksichtigt? Das Grundgesetz untersagt bekanntlich jede Vorbereitung eines Angriffskrieges.

Ja, Artikel 26 GG stellt dies sogar unter Strafe. Eine Art Ausführungsbestimmung dazu ist Paragraph 80 des Strafgesetzbuches. Darin heißt es: »Wer einen Angriffskrieg vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.« Das trifft voll und ganz auf den Einsatz der Bundeswehr gegen Ex-Jugoslawien im Frühjahr 1999 zu – ohne Vorbereitung läßt sich kein Krieg führen. Und Schröder hat jetzt zugegeben, daß die Entscheidung dazu im vollen Bewußtsein getroffen wurde, obwohl das rechtswidrig war.

Man könnte Schröder und vor allem seinen damaligen Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) also vor Gericht stellen?

Es wäre durchaus eine Strafanzeige möglich. Das ist damals vereinzelt wohl auch geschehen, die Anzeigen wurden aber von der Bundesanwaltschaft mit der Begründung abgewiesen, es sei kein Angriffskrieg gewesen.

Mit seinem Geständnis, daß Serbien völkerrechtswidrig angegriffen wurde, hat Schröder aber höchstpersönlich diese Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft widerlegt.

Es lag weder ein Fall der Verteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta vor, noch gab es ein völkerrechtliches Mandat des UNO-Sicherheitsrats dafür. Verteidigt haben sich damals die Serben – es war also eindeutig ein Angriffskrieg.

Gäbe es nicht auch Chancen bei einer europäischen Gerichtsinstanz? Schließlich haben damals alle beteiligten Staaten gemeinsam das Völkerrecht gebrochen.

In der Tat hat es 2000 eine Anzeige beim Internationalen JugoslawienTribunal in Den Haag gegeben. Die wurde von der damaligen Chefanklägerin Carla Del Ponte mit dem Argument abgewiesen, es gebe keine Anzeichen dafür, daß die NATO Kriegsverbrechen begangen habe. Das war schon damals offensichtlich falsch, was sich im Laufe der Jahre bestätigt hat.

Wer könnte eine solche Klage einreichen?

Jedermann hat das Recht dazu. Eine Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof ist aber insofern schwierig, als der Tatbestand der Aggression zwar jetzt definiert ist und auch unter Strafe gestellt wird. Das tritt allerdings erst im Jahre 2017 in Kraft, wenn alle beteiligten Staaten die entsprechenden Dokumente ratifiziert haben.

Welche Aussichten geben Sie einer Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft?

Es ist doch so, daß die Bundesanwaltschaft eine Behörde desjenigen Staates ist, der beklagt wird. Sie ist von der Regierung abhängig, die sie anklagen soll. Sie wird also Wege finden, einer solchen Anzeige nicht nachgehen zu müssen. Ich möchte nur daran erinnern, daß auch alle Versuche gescheitert sind, das Massaker von Kundus vor Gericht zu bringen, bei dem die Bundeswehr etwa 150 Menschen töten ließ. Kurz gefaßt: Die Chancen sind sehr gering, mit Hilfe der staatlichen Justiz gegen Spitzen des eigenen Staats vorgehen zu können.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. April 2014


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