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EU will Schiffe versenken

Außenbeauftragte Brüssels setzt sich vor UN-Sicherheitsrat für Mandat zum Kriegseinsatz gegen Flüchtlingsboote ein. Russland argumentiert dagegen

Von Christian Selz *

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat am Montag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York ein »robustes« Mandat für einen Militäreinsatz der EU im Mittelmeer gefordert. Nach offizieller Lesart will Brüssel damit »Leben retten« und gegen »Schmugglernetzwerke« kämpfen. Letzteren unterstellte Mogherini »Verbindungen und in einigen Fällen die Finanzierung terroristischer Aktivitäten«. Beweise lieferte sie für diese Behauptungen keine. Dem Sicherheitsrat maß Mogherini ohnehin kaum mehr als eine Ermächtigungsrolle zu. »Das Mandat für diese Operation wird derzeit mit den EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel erörtert und wird auf dem Treffen des EU-Außenministerrats am 18. Mai diskutiert werden«, erläuterte die Außenbeauftragte. Die Spitzen der EU-Außenpolitik, so informierte Mogherini das UN-Gremium lediglich knapp, gedenken dann auch »bereits erste Entscheidungen zu treffen«.

Die Begeisterung im Sicherheitsrat hielt sich entsprechend in Grenzen. Mogherini betonte der Nachrichtenagentur AFP zufolge zwar im Anschluss an die Debatte, dass keiner der in dem UN-Gremium vertretenen 15 Mitgliedsstaaten »grundsätzlich dagegen« sei, »zu handeln, um Leben zu retten und kriminelle Organisationen zu zerschlagen«. Einhellige Zustimmung für den EU-Ansatz, dem Leid von Flüchtlingen mit einem Militäreinsatz gegen die von ihnen genutzten Boote zu begegnen, konnte die EU-Vertreterin aber nicht für sich proklamieren. Russland argumentierte gegen eine Mission zur Zerstörung von Schiffen. Daraus schlossen »Diplomatenkreise« gegenüber AFP, »auf die russische Regierung müsse noch eingewirkt werden«.

Was die EU mit dem Mandat vorrangig bezweckt, ließ Mogherini erst auf Nachfrage durchblicken: »Entscheidend ist sicherzustellen, dass die Schiffe nicht erneut verwendet werden können«, erklärte sie auf Nachfrage zu den Einwänden Moskaus. Wie weit Brüssel und seine angeschlossenen Militärmächte – die NATO und die USA erklärten bereits, sich der Mission nicht aktiv anschließen zu wollen – dabei gehen werden, ist noch unklar. Wenn Mogherini allerdings bereits darauf hinweist, nichts »gegen den Willen« Libyens unternehmen zu wollen, darf mit dem Gegenteil gerechnet werden.

Das lässt sich schon an den Formulierungen ablesen, die Mogherini in New York wählte. Achtmal benutzte sie in ihrer Rede das Wort »Verantwortung«. Die EU definiert dieses hehre Ziel allerdings nicht wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der schon im April legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge forderte. Was führende EU-Staaten in Bezug auf Nordafrika unter »Verantwortung« verstehen, wurde spätestens im Jahr 2011 deutlich, als sich das Mandat für die Zerstörung Libyens unter britischer und französischer Federführung auf eine »Verantwortung zu schützen« bezogen hatte. Damals wurde die Angriffskoalition mit der Resolution 1973 ermächtigt, »die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Zivilbevölkerung zu schützen«. Heute ist Libyen ein gescheiterter Staat, Hort von bewaffneten Milizen, die bis weit nach Westafrika hinein Staaten bedrohen – und den Vorwand für neue Militärinterventionen europäischer Mächte liefern. Und Federica Mogherini kündigt dem UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf der EU-Staaten an, der »alle notwendigen Mittel« legitimieren soll.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 13. Mai 2015


Doppelgleisig

EU will »robustes Mandat« gegen Schleuser

Von Arnold Schölzel **


Zur »Begründung« der Kriege, die George W. Bush anzettelte, wurde noch nach Herzenslust gelogen. Das kostete einigen hunderttausend Menschen das Leben, Folter, Mord und Entführung via Bundesrepublik, Polen, Rumänien, Litauen etc. inklusive. Barack Obama verzichtete bei seinen Feldzügen entweder auf Gründe – wie bei der von ihm forcierten Ermordung von mehrheitlich Frauen, Kindern und anderen Zivilisten mit Hilfe bewaffneter Drohnen – oder gab die angebliche Bekämpfung von Terrormilizen bekannt. Die hatten der Westen und seine Verbündeten am Golf zuvor aufgepäppelt, um Krieg zu stiften. Bei dem blieb es eben. Einen etwas altbackenen Grund erhielt der Libyen-Krieg 2011. Ein französischer Schreibtischmassenmörder namens Bernard-Henry Lévy »informierte« seinen Freund und damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy über einen Völkermord. Der fand nicht statt, machte aber nichts. Im Krieg gab es einige zehntausend Tote, und der libysche Staat verwandelte sich in einen Haufen von Räuberbanden. Zudem erfuhr die Welt, dass Sarkozy am Tod von Muammar Al-Ghaddafi interessiert gewesen war, weil der ihm diskret den Wahlkampf finanziert hatte. Die Rede war von 50 Millionen US-Dollar. Es ist selbstverständlich einen Krieg wert, um zu verhindern, dass so einer plaudert.

Nun gibt es eine neue, noch zivilisiertere Variante »Begründung« für Krieg. Schritt eins: Am Montag veröffentlichten die Regierungen der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens in Washington eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihr »starkes Engagement« für die »Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität und nationale Einheit Libyens« hervorheben. Schritt zwei: Am gleichen Tag warb die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, vor dem UN-Sicherheitsrat in New York für einen »robusten Militäreinsatz« gegen sogenannte Schlepper. Das sind vornehmlich libysche, d. h. die Washingtoner Erklärung gilt zusammen mit ihrer Aufhebung. Begründung Frau Mogherinis: Das Geschäft mit den Flüchtlingen im Mittelmeer sei »nicht nur ein humanitärer Notstand, sondern auch eine sicherheitspolitische Krise«. Das kommt einem Völkermord gleich, denn gemeint ist die Sicherheit von EU-Europäern, nicht die von Flüchtlingen. Angesichts solcher Gefahr ist verständlich, dass mehrere EU-Staaten unter Federführung Frankreichs und Großbritanniens an einer UN-Resolution arbeiten, die laut AFP »alle notwendigen Mittel« gegen Schleuserboote legitimieren würde. Die Formel ist bekannt, sie ist die des Blankoschecks.

Ob die Doppelgleisigkeit des Westens Russland und Afrikaner überzeugt, ist noch offen. Käme die Resolution zustande, wäre die Bundesmarine dabei. Sie ist schon vor Ort, »unbegrenzt«, wie die Verteidigungsministerin am Dienstag erklärte. Der nächste, besser »begründete« Krieg in Libyen findet nicht mehr ohne »uns« statt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 13. Mai 2015 (Kommentar)


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