Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Reisewarnung für die EU

Nächste Woche beginnt in 25 EU-Staaten die Operation "Mos maiorum". Es ist die bisher größte Kontrollaktion gegen "unerwünschte Migranten"

Von Matthias Monroy *

Migranten ohne gültige Aufenthaltserlaubnis müssen sich noch mehr vorsehen als ohnehin: Die italienische Regierung bereitet eine großangelegte Polizeioperation für das gesamte Gebiet der Europäischen Union vor. Ab dem 13. Oktober wird an Bahnhöfen, Autobahnen und Flughäfen für zwei Wochen verstärkt kontrolliert. Bislang haben 25 Länder ihre Teilnahme zugesagt. Nicht nur Menschen ohne jeden Aufenthaltstitel werden gesucht. Die Behörden wollen sogenannte Overstayer aufspüren, also Personen, die mit gültigem Visum in die EU eingereist, aber nicht im vorgeschriebenen Zeitraum wieder ausgereist sind. Überprüft wird außerdem, ob alle EU-Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen bei der Behandlung Asylsuchender nachkommen. So wird Italien vorgeworfen, nicht wie vorgeschrieben von allen über das Mittelmeer Geflüchteten Fingerabdrücke abzunehmen.

»Gemeinsame Polizeioperationen« werden von der jeweils amtierenden EU-Präsidentschaft organisiert. Italien hat eine Vorbereitungsgruppe eingerichtet, die für operative Einzelheiten zuständig ist und den Einsatzplan festlegt. Der Gruppe oblag auch die Wahl des lateinischen Namens: Die Operation firmiert als »Mos maiorum«, was übersetzt etwa »Die Sitte der Ahnen« bedeutet. Im alten Rom war damit die unbedingte Einhaltung von Recht und Ordnung durch die Bürger gemeint, um den Aufstieg zur Weltmacht zu sichern. Dies schloss religiösen und militärischen Gehorsam ein.

Eigentlich ist im Schengener Abkommen festgelegt, dass Grenzen innerhalb der EU an jeder Stelle ohne Anhalt überschritten werden dürfen. Die Staatsangehörigkeit der Reisenden darf dabei keine Rolle spielen. Die Schengen-Mitgliedstaaten sind sogar verpflichtet, alle Verkehrshindernisse an Binnengrenzen zu beseitigen. Die »Gemeinsamen Polizeioperationen« unterlaufen diese Regelung, denn sie finden mittlerweile halbjährlich statt. Frühere dauerten lediglich um die fünf Tage, bei »Mos maiorum« sind es erstmals 14 Tage.

Neu ist auch, dass nicht nur an den Binnengrenzen kontrolliert werden soll: In »Mos Maiorum« sind nun auch die EU-Außengrenzen einbezogen. Weswegen auch die EU-Grenzagentur Frontex als vollwertiger Teilnehmer eingebunden ist. Bislang war Frontex lediglich als Partner assoziiert und nutzte die Statistiken aufgegriffener Migranten für regelmäßige Risikoanalysen, in denen Migrationsströme festgestellt, bevorzugte EU-Zielländer ermittelt und Prognosen entworfen werden.

Seit die EU, allen voran Italien, die Überwachung des Mittelmeers aufrüstet, weichen viele Migranten wieder auf Routen über Marokko oder Griechenland aus. Einer der zukünftigen »Hot Spots« soll laut Frontex Bulgarien sein – auch das Schwarze Meer würde zunehmend eine Rolle spielen. Das mag ein Grund dafür sein, warum sich Frankreich, Deutschland und die Niederlande weiterhin gegen die Schengen-Vollanwendung für Rumänien und Bulgarien wehren, denn dann würden auch dort die Kontrollen der Binnengrenzen entfallen.

Insgesamt sind an den »Gemeinsamen Polizeioperationen« bis zu 20.000 Polizisten beteiligt. Allerdings handelt es sich dabei – zumindest in Deutschland – vorwiegend um Beamte in der »allgemeinen täglichen Dienstausübung«, also solche, die auch sonst Migranten ohne Papiere aufspüren. Hinzu kommen allerdings »Schwerpunktmaßnahmen«, hierzulande sind dies gewöhnlich Kontrollen an Autobahnen und grenzüberschreitenden Bahnverbindungen in Süd- und Westdeutschland. Bei den vergangenen Operationen »Mitras«, »Hermes« oder »Perkunas« waren in Deutschland jeweils um die 2.000 Menschen ohne gültige Papiere festgestellt worden. Wie viele von ihnen daraufhin inhaftiert wurden, ist nicht bekannt.

Jedoch verlaufen die »Gemeinsamen Polizeioperationen« nicht mehr ungestört. Denn antirassistische Gruppen mobilisieren erstmals mit einer internationalen »Reisewarnung«, die mittlerweile in acht Sprachen übersetzt ist und auch über SMS-Verteiler kursiert. Zwar können Festnahmen dadurch kaum verhindert werden. Jedoch werden die Kontrolleure nun wenigstens ebenfalls kontrolliert. Deutlich wird auch, wie die hochgelobte Freizügigkeit der EU längst Makulatur geworden ist.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 7. Oktober 2014


Zurück zur Seite "Migration, Flucht, Asyl"

Zur Seite "Migration, Flucht, Asyl" (Beiträge vor 2014)

Zur EU-Europa-Seite

Zur EU-Europa-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage