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Grenzschutz tötet

Fast täglich Flüchtlingstragödien im Mittelmeer. EU macht Druck auf Libyen

Von Lena Kreymann **

In den letzten Tagen sind erneut zahlreiche Menschen der Abschottungspolitik der Europäischen Union zum Opfer gefallen. Bei einem Schiffsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa kamen mehrere Flüchtlinge ums Leben, wie die Nachrichtenagentur Ansa am Montag berichtete. Von den rund 400 Menschen an Bord konnten die Rettungskräfte laut Medienberichten zunächst etwa 200 in Sicherheit bringen. In der Ägäis erreichte der Nachrichtenagentur dpa zufolge ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache gerade noch rechtzeitig ein sinkendes Flüchtlingsboot und nahm 40 Migranten auf. Vor der Küste Libyens ertranken am Sonntag mindestens 40 Menschen, die mit einem Boot nach Europa gelangen wollten. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete, das Boot mit den Migranten sei östlich der Hauptstadt Tripolis gekentert.Wie die Regierung in Tripolis am Sonntag weiter mitteilte, konnten 51 Menschen gerettet werden.

Libyens Übergangsinnenminister Salah Mazek hatte noch am Samstag davor gewarnt, Tripolis könnte Flüchtlingen zukünftig den Zugang zur EU »erleichtern«, wenn diese nicht ihre »Verantwortung« wahrnehmen würde, das nordafrikanische Land beim Grenzschutz mehr zu unterstützen. »Libyen hat den Preis bezahlt, jetzt muß Europa zahlen«, erklärte er laut Al-Arabija.

Die Drohung rührt an reale Ängste der europäischen Machthaber. Schließlich hat sich Libyen laut Europäischer Kommission in den vergangenen drei Jahren zum wichtigsten »Transitland« für Flüchtlinge ins Mittelmeer entwickelt. Das EU-Gremium führt dies auf »poröse Grenzen« sowie »den Mangel an effektiven Sicherheitsinstitutionen« zurück und benennt die Grenzkontrolle als einen der sechs wichtigsten Punkte in der Sicherheitspolitik.

Um diesem selbstgesetzten Ziel näher zu kommen, hat die EU im Mai 2013 die Grenzschutzmission EUBAM Libya beschlossen, die zunächst auf zwei Jahre ausgelegt ist.

»Libyen wird von der EU gedrängt, mit militärischen Mitteln die Grenzen gegen Migranten aus den Nachbarstaaten zu schließen. Auch das geschieht mit Hilfe der EU, die im Moment 70 Polizisten nach Libyen entsandt hat«, erklärte dazu die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke auf dem Ostermarsch in Düsseldorf im April dieses Jahres. Daran sind aktuell auch drei deutsche Polizisten beteiligt, laut Bundespolizei können bis zu 20 Beamte entsandt werden. Nach offiziellen Angaben sollen mit der Mission die libyschen Behörden hauptsächlich durch Wissenstransfer und nicht durch finanzielle Mittel unterstützt werden, sämtliche Grenzsysteme auszubauen.

Die EU versucht mit derartigen Maßnahmen, Flüchtlinge gar nicht erst an ihre eigenen Außengrenzen herankommen zu lassen. Dafür übt sie regelmäßig Druck auf ihre Nachbarstaaten aus oder steht diesen mit Geld, Personal und Know-how beim Grenzschutz zur Seite.

Wohin diese »Zusammenarbeit« führt, zeigte sich im Falle Libyens beispielsweise im vergangenen Oktober. Nachdem kurz nach der Katastrophe von Lampedusa in der Nähe der Insel ein weiteres Flüchtlingsboot gesunken war, berichteten Überlebende gegenüber der Zeitung Malta Today, daß libysches Militär auf das Schiff geschossen und zwei Menschen getötet hätte. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werfen dem nordafrikanischen Land vor, Menschen in Auffangzentren und Gefängnissen ohne ausreichende medizinische Versorgung festzuhalten und zu foltern. Dennoch hat in der Vergangenheit insbesondere Italien Menschen noch auf See nach Libyen zurückgeschickt und beteiligt laut der Informationsstelle borderline-europe auch libysche Offiziere an seiner Mittelmeeroperation »Mare Nostrum«.

Mit einem neuen Beschluß des Europäischen Parlaments zur Grenzagentur Frontex vom 16. April dieses Jahres soll diese Zurückweisungspolitik nun legitimiert werden. Zwar feierten die Mainstream-Medien die Abstimmung als positive Entwicklung, da darin der Schutz von Menschenleben und die Pflicht zur Seenotrettung festgeschrieben werden. Tatsächlich berechtigt aber die Entscheidung Frontex dazu, Flüchtlingsboote zu kontrollieren, zu durchsuchen und zur Kursänderung zu bringen. Betroffene dürfen in Drittstaaten überführt werden, in denen sie nicht »Folter, unmenschliche Behandlung oder andere Menschenrechtsverletzungen« erfahren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 13. Mai 2014


Schutz pervertiert

Regierung will Flüchtlinge einsperren. Gastkommentar

Von Ulla Jelpke **


Schon semantisch zeigt sich der blanke Zynismus: Flüchtlinge bei »Fluchtgefahr« einzusperren, beabsichtigt das Bundesinnenministerium. Ja, Flüchtlinge sind in Gefahr, und deswegen fliehen sie. Unter anderem nach Deutschland, wo dann aber kein Schutz, sondern der Knast auf sie wartet. 21 Jahre nach der rigorosen Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz droht eine weitere Verrohung im Umgang mit Flüchtlingen.

Der Referentenentwurf, der mittlerweile im Wortlaut vorliegt, spricht von einer »Modernisierung des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts«. Im Klartext bedeutet das, alle Flüchtlinge einzusperren, die sich folgender Vergehen schuldig machen: Sie haben schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt, dort den Bescheid aber nicht abgewartet – was etwa im Fall von Griechenland und Italien nur allzu verständlich ist. Denn dort bleiben Asylsuchende häufig sich selbst überlassen, oder sie werden erst in ein Aufnahmelager gesperrt, um von dort in ein Abschiebungslager zu kommen. Das kann 18 Monate dauern. Wer davor flieht, wird künftig eben in Deutschland inhaftiert. Weitere Haftgründe: Der Flüchtling ist »unter Umgehung einer Grenzkontrolle« eingereist, hat »über seine Identität getäuscht«, macht sich fehlender Mitwirkung schuldig oder hat in bezug auf seinen Reiseweg »unstimmige oder falsche Angaben« gemacht.

Diese »Vorwürfe« umfassen so ziemlich alles, was einen Flüchtling im abgeschotteten Europa nun einmal ausmacht. Der »verreist« ja nicht so, wie das deutsche Touristen machen, mit ordentlichen Papieren und Linienmaschine, sondern ist froh, wenn er mit dem, was er am Körper trägt, irgendwie lebend in die EU geschleust wird. Das weiß man auch im Innenministerium. Dort ist man nicht lebensfremd, nur schrecklich pragmatisch: Die EU will sich abschotten, und wer trotzdem durchschlüpft, gilt als kriminell. Erst mal alle einsperren, und dann schauen, wen man vielleicht wieder freiläßt – so sieht es aus, wenn deutsche Behörden ihren »Verwaltungsaufwand« beim Abschieben »auf ein vertretbares Maß zurückführen« wollen, wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Ob der Entwurf so durchgeht – mit dem Justizministerium ist er offenbar nicht abgesprochen –, ist fraglich. Er zeigt aber, wie sehr der Gedanke des Flüchtlingsschutzes im Innenministerium pervertiert ist.

Zur Peitsche legt es ein vermeintliches Zuckerbrot: Langjährig geduldete Ausländer sollen ein Bleiberecht erhalten, aber nur, wenn sie ordentlich integriert sind. Das heißt vor allem, wenn sie ihren Lebensunterhalt »überwiegend« selbst bestreiten. Wie sie trotz anfänglichen Arbeitsverbotes, Residenzpflicht, ständig drohender Abschiebung und Vorrangprüfung für Deutsche und EU-Bürger eine gutbezahlte Arbeit finden sollen, verrät der Entwurf nicht.

** Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: junge Welt, Dienstag, 13. Mai 2014 (Kommentar)



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